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Collage des Buchcovers | © Schöffling Verlag

Trompeter: Die Mittlerin

„Noch während sie ihre Getränke bezahlte, trank ich schnell den Rest Sherry aus ihrem riesigen Glas und hatte bis zu Hause noch den Geschmack von Lippenstift auf der Zunge.“ Was sich so schräg unzeitgemäß anhört ist die vielleicht beste nie stattgefundene Liebesbeziehung zwischen einer Autorin und ihrer Mittlerin, einer Melange aus Literaturagentin, Alter-Ego und Über-Ich. In ihrem Debut schreibt Julia Trompeter nichts weniger als einen Anti-Roman, zum Verschlingen gut.

Ein Anti-Roman zum Verschlingen

„The art of good business is being a good middleman.“
Layers cake

Es ist schon eine Zeit her, 1999, da legte Jörg Uwe Sauer mit seinem Romandebut „Uniklinik“ im Bernhardschen Duktus eine Abrechnung mit dem abgehobenen und überaus geschwätzigen, geisteswissenschaftlichen Unibetrieb vor. Spannend am Plot ist, dass der Protagonist nicht ein einziges Wort redet und damit im wortdröhnenden Hochschulbetrieb bestens zurecht kommt. Auch als er endlich zum Seminarleiter ernannt wird, quasseln die Seminarteilnehmer nach einem Moment des anfänglichen gemeinsamen Schweigens darauf los, als wären sie vom Dozenten wortgewaltig dazu animiert worden. Was, so fragte man sich nach diesem großartigen Roman damals, läge wohl noch näher am Bernhardschen Duktus als das selbstgefällige Gehabe weltabgewandter Geisteswissenschaftler in ihren fensterlosen Seminarräumen?

Die Antwort liefert nun der Debutroman von Julia Trompeter. In „Die Mittlerin“ kämpft die Protagonistin mit dem in stereotypen Redewendungen erstarrten Literaturbetrieb, in dem sie nicht nur wie zufällig Anleihen aus dem Literaturfundus Thomas Bernhards nimmt, sondern Autor und Werk selbst thematisiert und im Zuge der Suche nach einem eigenen Plot für ihren ersten Roman, dem literarischen Betrieb einen Bernhardschen Eulenspiegel vorhält.

Doch ist es bei Trompeter nicht so einfach, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. Denn der Roman liefert wesentlich mehr, ohne dieses direkt zu erkennen zu geben. Folgen wir also den ausgestreuten Brosamen, um uns ein gastrosophisches Bild dieses grandiosen Debuts formen zu können.
 

Brosamen picken

„Thomas Bernhard war ein großer Mann“. Der erste Satz des Romans ist auch der einzige, den die Protagonistin bisher zu Papier gebracht hat. Nun aber verzweifelt sie darüber, ob sie in der Lage ist, überhaupt einen Roman schreiben zu können. Wäre der Satz nicht viel besser für ein Gedicht geeignet? Sollte sie ihre Agentin, die Mittlerin, nicht genau diesbezüglich konsultieren? Schon aber ist man mittendrin in einem Labyrinth, das einem die Bernhard’sche Welt ebenso auferstehen lässt, wie die Gegenüberstellung aristotelischer Feststellungen über Poesie und der Verzweiflung der Protagonistin Regelhaftigkeit überhaupt in Literatur, ja geschweige denn in Sätzen zu vermitteln. Also sucht sie Hilfe, Rat und Zuflucht im Gespräch mit ihrer Mittlerin, mit der sie sich in einem türkischen Imbiss verabredet und die dort sozusagen im Herzen des Hackfleischbetriebs angekommen zu Protokoll gibt, Vegetarierin zu sein, seitdem sie David Forster Wallace „Am Beispiel des Hummers“ gelesen habe. Gleichwohl empfiehlt sie der Protagonistin die Köfte des Ladens, die seien so gut, dass ihr Mann sie immer noch nicht über habe, obwohl er sie täglich hier zu essen pflege. Nach der Bestellung stellt sich die Protagonistin den täglich Köfte verspeisenden Mann der Mittlerin vor und kommt zu dem Ergebnis, dass er ob der reichlich genossenen Speise sicherlich schon selbst zu Köfte mutiert und mithin in kleinen Bällchen portioniert auf ihrem Teller liege.

Während das Gespräch in Fragen des Plots dahinplätschert, verspeist die eine Frau mit Genuss und häppchenweise den Mann der anderen. Als unliebsamer Kitzel bleibt lediglich die Gewissheit, dass der Mann der Mittlerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Köfte heißen muss – und also gerade durch die Protagonisten höchstselbst verspeist worden war. In diesem Gedankenspiel natürlich selbstredend ein Mordsgedanke, der hier ins Spiegelkabinett verdrängter Wunschgedanken ins Bewusstsein der Protagonistin aufrückt. Doch der Köfte der Mittlerin wird später höchstpersönlich auftauchen und die Mordsgedanken als reine Theorie in der Theorie des hier geschriebenen ungeschriebenen Romans entlarven. Er wird sich selbst Köfte bestellen und dabei so lässig sein schreiendes Kind schultern, dass dieses unwillkürlich ruhig wird und die Protagonistin diesem wie aus einem Noir-Film entsprungenen coolen Mann den Beinamen Belmondo-Köfte geben wird. Keine Frage, dass die Ausführungen über die Doppelstruktur des Artus-Romans die Protagonisten noch einmal ins Köfte Restaurant treiben werden.
 

Roman – Schreiben – Leben – Essen

Doch erstaunlicher Weise schälen sich im Laufe der Betrachtung der Protagonistin zentrale Element des Lebens und Schreibens heraus. Und sicherlich nicht zufällig entstehen hier ganz beiläufig neuralgische Reflexionen über den Sinn des Lebens, geschrieben oder nicht: Kann der Roman, so eine Überlegung der Protagonistin, nur von Menschen geschrieben werden, die eine langweilige Liebesbeziehung erlebt haben. Langweilig im Sinne von langer Weile. Ist nicht Prosa zu schreiben mit ähnlichen Schwierigkeiten behaftet, wie eine langjährige Beziehung zu führen? Wird nicht Liebes-Leere durch übermäßiges Essen kompensiert, in dem permanenten Versuch die unerschöpfliche Leere gleichzeitig mit Nahrung zu füllen und durch sie existent zu halten? Analog muss man einen Roman befeuern, eine Idee in ihn hineinlegen und ähnlich einer langjährigen Beziehung mit all ihren Höhen und Tiefen, jahrelang an seiner Entstehung feilen. So als würde das Leben selbst zu einem Teil eines Romans, der im vorliegenden Fall aber nicht zu einem Ende geführt werden kann, da er nicht über seinen ersten geschriebenen Satz hinausgeht. Vielleicht hört sich dann auch die stringenteste Begründung dafür, dass die Roman-Autorin angeblich keine Prosa, sondern lediglich Lyrik kann, folgender Maßen an:

„Das Essen und ich, wir sind uns sowieso nicht ganz grün. Eher rot vielleicht: das Essen – ein rotes Tuch, und ich – der schwarze Peter?“ Dass Trompeter hier augenzwinkernd über den leer geputzten Tellerrand schaut versteht sich wenn nicht von selbst, so spätestens nach der Lektüre dieses grandiosen Anti-Romans.

 

Für Sie gelesen

Julia Trompeter: Die Mittlerin. Roman. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2014. 215 Seiten, 19,95 Euro.

Bei amazon zu erwerben

 

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