Selbst Wursten
Stefan Wiesner öffnet seine „Wurstwerkstatt“
Forelle, Lachs, Schwein, Ganz, Ente, Poularde, Kaninchen: Der Inhalt macht die Wurst. Und die Zutaten sollten von guter Qualität sein. Mit einer abgestimmten Würzung lassen sich großartige Ergebnisse erzielen. Ob Pfeffer, Salz, Kräuter, Wein oder Holz Verwendung finden, liegt an den Grundzutaten und den Zubereitungsarten. In Stefan Wiesners Wurstwerkstatt ergeben alle einen Sinn, sogar wenn mit Birkenteer gearbeitet wird
Ist nicht Wurst
Vielleicht haben wir uns zu sehr daran gewöhnt, unsere Würste nicht selbst schmecken zu wollen, sondern sie einfach nur als Träger ihrer Saucen, ohne welche sie einfach nicht genießbar wären, anzusehen. Eine typische Currywurst ertrinkt in der ihr zugesetzten Sauce, eine Bratwurst vom Stand schmeckt in der Regel nach zu starken Röstaromen ist also partiell verbrannt, oder wird so sehr mit Senf gewürzt, dass man gleich noch ein Dosenbier bestellen muss, um alles hinunterzuspülen.
Aber Wurst ist etwas anderes als nur die Zutaten Wasser, Fett und Gewürze in ein schnittfestes Verhältnis zu bringen. Wurst kann ein Genuss sein. Egal ob geräuchert, gepökelt, gebraten, gesiedet, confiert, gegrillt. Es wird Zeit, die Wurst neu zu entdecken und damit all das, was eine gute Wurst kennzeichnet.
Dabei sollten wir uns auch in Erinnerung rufen, dass die Wurst ein historisches Kulturerbe ist. Nicht nur die Germanen, auch die Römer waren begeisterte Wurstfans und es liegt in der Natur der Viehwirtschaft, dass man nach Wegen suchte, alle Teile des Tieres verwerten und konservieren zu können.
Esst mehr Wurst
Stefan Wiesner erlebte schon als Kind in der elterlichen Küche, wie Wurst zubereitet wird. Qualitativ hochwertiges Fleisch, ausgesuchte Zutaten, eine Handvoll von dem, ein paar Hände voll von dem, viel Erfahrung und Geschick sind für ihn die Grundzutaten einer guten Wurst. Wie die Eltern wird auch vom Sohn die Wurst für das eigene Restaurant zubereitet, auch für sein Sternerestaurant. Denn die Wurst ist nicht nur ein Sattmacher. Richtig zubereitet ist sie eine kulinarische Sensation. Wie dieses Buch, das gegen die Mode des propagierten Fleischverzichtes und der grünen Smoothies dazu aufruft, mehr Wurst zu essen. Und wie schön ist es, wenn in Zeiten, in denen minderwertige Nahrungsmittel „to go“ also zum Weglaufen angeboten werden, jemand argumentativ fundiert dazu anregt, sich Zeit für die Wurst zu nehmen. Zeit für die Auswahl ihrer Zutaten, Zeit für ihre Zubereitung, Zeit für den Wurstgenuss.
Schlägt man das Buch auf, merkt man, dass hier nicht nur jemand mit Umsicht gearbeitet hat, sondern auch sehr grundsätzlich an sein Thema herangeht. Wurst wird schon bei den Vorüberlegungen nicht als billige Sättigung verstanden, sondern als ein vielseitiges Kulturgut. Beste Zutaten, einige Grundregeln zum Verhältnis von Fett, Fleisch und Gewürzen und den Willen mit Geduld zu wursten, um Erfahrungen zu sammeln, sind ebenso nötig wie einfache Arbeitsutensilien. Nach den ersten Kapiteln des Buches, freut man sich nicht nur auf die Rezepte, sondern hat einen wahren Grundkurs in gehobener Wursterei hinter sich gebracht. Welche essbaren Hüllen gibt es außer den Naturdärmen? Welche nichtessbaren könnten sinnvoll Verwendung finden? Wie räuchert man? Welche Garmethoden bieten sich für Würste an? Ein Wissen, auf das die Rezepte zurückgreifen werden, denn hier wird stets angegeben, welche Garmethoden sich anbieten. So wird die Theorie schon im Buch praktisch.
Nach einigen Rezepten zum Aufwärmen wie Salami-, Kalbs- oder Wollschweinwurst, gehen die Rezepte in die typische Wiesner-Richtung und das bedeutet, hier kann der Leser grundlegend neues über Zutaten und deren Verwendung lernen. Schon die „Heuwurst im Glas“ zeigt, dass man beim Wursten nicht nur Fleisch und Fett, sondern auch Innereien des Tieres sowie die Maske seines Kopfes verwursten kann. Das Heu wird abgeflämmt und gemahlen, so erhält das fertige Produkt nicht nur einen Kräutergeschmack, sondern zugleich ein dezentes Raucharoma und gewinnt aromatische Tiefe. In Weckgläser luftdicht verschlossen und in Dampf gegart, eignet sich dieses Rezept auch hervorragend für den Vorratsschrank.
Das Heu markiert jedoch nur den Auftakt: Fichtensamen und Fichtensprossen unterstreichen das Aroma der Markwurst, welches durch den Rauch der Fichtenzapfen noch akzentuiert wird. Doch Wurst wird auch ohne Fleisch hergestellt. Hier gibt es Rezepte zu Tofu- oder Blumenkohlwurst. Daneben zeigen Rezepte mit Fisch und Geflügel, wie vielseitig die Wurst sein kann. Und selbstverständlich gibt es passend zum Kochbuch auch ein Rezept für eine Literaturwurst, zu der man als Gewürz lediglich etwas Amtsschimmel braucht. Wer die Wurst bierernst angeht, versteht sein Handwerk halt nicht.
Avantgarde historisch fundiert
Seit Jahren betreibt Stefan Wiesner seine avantgardistische Naturküche im "Rössli" im Schweizerischen Escholzmatt. Bekannt geworden ist er durch seine kulinarische Fokussierung auf die heimische Region. Seine Art des Kochens ist später – besonders durch den Erfolg der neuen skandinavischen Küche – unter dem Namen Nova Regio Küche bekannt geworden. So gesehen kann man die Küche von Stefan Wiesner als Nova Regio bezeichnen. Allerdings zeigt sein Buch ganz nebenbei noch auf, dass wir es hier mit einem Koch zu tun haben, der nicht nur die Landschaft um sich herum kulinarisch verfeinern möchte. Zur Verdeutlichung kommen wir einfach zurück auf den oben angesprochenen Birkenteer. Dieser durch Destillation der Birkenrinde gewonnene Stoff fand schon in der Steinzeit vielseitige Verwendung. Zum einen diente er als Universalkleber für Waffen, Werkzeuge und andere Alltagsgegenstände, zum anderen fand er bei unseren Vorfahren kulinarische Verwendung. An zahlreichen menschlichen Zähnen der Steinzeit lässt sich Birkenteer oder Birkenpech nachweisen, das spezifische Aroma des Birkenteers fand also Eingang in den steinzeitlichen Speiseplan. In Wiesners Wurstküche findet dieser in Vergessenheit geratene Teer seine Verwendung bei der Trilogie der Birke. Um seine Milchferkelwurst herzustellen, greift Wiesner auf Birkensaft, Birkenblätter und eben Birkenteer zurück, so hat er nicht nur drei unterschiedliche Geschmacksstoffe in jeweils verschiedenen Aggregatzuständen des Birkenbaums, die den Geschmack der Birke – kräutrig, saftig, klebrig – akzentuieren, sie verleihen dem Milchferkelfleisch zugleich eine aromatische Dichte und geschmackliches Profil. Zugleich zeigt, dieses kleine Beispiel die typische, so unangestrengt wirkende Arbeit dieses großartigen Kochs: Er zeigt nicht nur auf, welche Teile der Landschaft kulinarisch zu nutzen sind, sondern darüber hinaus, welche Kulturtechniken wir von unseren Vorfahren wieder erlernen können, wenn wir uns ihrer bewusst werden. Hier erhält das sehr moderne Konzept der Nova Regio Küche eine ihm zu Grunde liegende spezifische Erweiterung: ihre historische Verankerung.
Geschmackskombinationen
Abgeschlossen wird das Buch durch ein „Lexikon der Geschmackskombinationen“ von Wiesners langjährigen Partner und Freund Jimmy Studer. Das Thema wird anhand der Geschmacksfamilien aufgerollt. Mittels der Auflistung der Modifikateure zeigt Studer, welche Möglichkeiten sich zur geschmacklichen Abrundung in der Küche – nicht nur beim Wursten – auftun. Darüber hinaus gibt es noch einen sehr detaillierten Überblick über die unterschiedlichen biochemischen Prozesse der verschiedenen Zubereitungsarten, wie Braten, Rösten, Backen, Räuchern, Fermentieren usw.. Eingefasst wird der Band durch Pia Grimbühlers stimmungsvolle Bilder der Landschaft rund um das "Rössli", sowie durch Bilder, welche die Zutaten in ihrer Natürlichkeit gerne dem fertigen Produkt gegenüberstellen. So ist nicht nur ein atmosphärisch dichtes Buch entstanden, sondern eines, dass die Welt der Geschmackskombinationen, die Welt des Wurstens und in die Welt der Küche von Stefan Wiesner durchleuchtet und dies für den heimischen Gebrauch praktisch erfahrbar werden lässt.
Für Sie gelesen
Stefan Wiesner, Monica Wiesner-Auretto: Wurst Werkstatt. Brat- und Siedewürste einfach selber machen. AT-Verlag, Aarau und München 2015, 208 Seiten geb., 34,95€