Sauerkraut
Wie konnte das uns Krauts passieren? Wir essen zu wenig Sauerkraut. Dabei ist das sauer fermentierte Kraut eine wahre Geschmacks- und Mineralienbombe. Zeit, das wunderbar würzige Kraut aus der fleischlastigen Assoziationskiste zu bergen.
Die Alliierten könnten Schuld sein. Schließlich nannten sie die Generation unserer Vorfahren zu Kriegszeiten schlicht Krauts. Wer will da schon zubeißen? Gleichwohl sollte das Sauerkraut neu und wiederentdeckt werden. Auch jenseits der hierzulande immer noch beliebten rustikalen Zubereitungsarten.
Zutreffender ist jedoch, dass wir uns mittlerweile als Kinder der Pasteurisierung ansehen müssen. Wir haben gelernt, Bakterien zu misstrauen. Besonders in unseren Lebensmitteln wollen wir eines: Reinheit. Schimmel und Bakterien sind uns vergrault und sicherlich wird es Zeit, die Segnungen der Fermentation im Sinne einer geschmacklich vielschichtigen und vielseitigen Ernährung neu zu entdecken.
Soja- oder Austernsauce verwenden wir, zumeist ohne über die Fermentationsprozesse, die zu ihrer Herstellung nötig sind, bescheid zu wissen. Doch Asien weist auch andere Prozesse der Fermentation vor, die dem des Sauerkrauts sehr ähnlich sind. In Korea wird nicht nur Kraut, sondern möglichst alle Sorten an Gemüse fermentiert und fast täglich als Kimchi genossen.
Gewöhnlich denken wir bei Sauerkraut an deftige Speisen: Sauerkraut mit Speck, Eisbein oder Kassler wabert ebenso durch unsere kulinarischen Assoziationen wie das Choucroute garnie, die elsässische Schlachtplatte, die in der Berner Platte ihre schweizerische Entsprechung findet. Und sicherlich haben wir das polnische Bigos und das Szegediner Gulasch der ungarischen Küche ebenso im kulinarischen Gedächtnis wie die typische süddeutsche Schlachtplatte, auf der das Sauerkraut zwingend als Ausgleich für deftige Würste und Fleischwaren agiert.
Auch Wilhelm Busch ließ seine Witwe Bolte eine gute Portion Sauerkraut aus dem Keller holen, um die gebratenen Hühner kulinarisch zu begleiten. „Wovon sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt.“ Im Falle von Max und Moritz eine günstige Fügung, stibitzten die Spitzbuben doch die Hühner durch das Ofenrohr, als die Alte mit einem Teller in den Keller geht, um sich eine Portion vom Sauerkohl zu holen. So bleibt der Witwe Bolte nichts anders, als das Sauerkraut im Fett des Federviehs zu erwärmen.
Doch weilt man in der Normandie wird einem ganz ungeniert Sauerkraut mit Meeresfrüchten offeriert. Zunächst staunt der verdutzte Gast, doch schon beim ersten Bissen fällt auf, welche gelungene Kombination die Säure des Krauts mit dem feinen Geschmack des Fisches darstellt Sauerkraut ohne rustikale Gewürze wie Nelke, Wacholderbeere oder Majoran weiß den filigranen Geschmack frischer Fischfilets wunderbar zu akzentuieren, besonders wenn die beiden Komponenten durch eine dezent gewürzte Sahnesauce verbunden werden. Allerdings kann man auch auf Witwe Boltes Spuren wandeln und das Sauerkraut im Bratfett des Huhnes erwärmen und schwärmen.