Rübstil
Der Rübstil wartet auf seine Wiederentdeckung. Schon fast verschwunden in der Abteilung traditioneller Rezepte aus der Region, wäre ihm doch eine Come back zu wünschen wie es der Rauke bereits gelang.
Gibt es eigentlich Verbindungslinien, die sich im Essen widerspiegeln? Rübstiel ist für mich eine. Jedes Mal wenn ich die Blätter zerschneide und zusammen mit in Rinderbrühe gekochten mehligen Kartoffeln zu einem Eintopf verarbeite, muss ich an meine Großmutter denken. Sie zeigte mit in zwei Gerichten die beiden Pole ihrer Kochkunst. Zum einen traditionelle Zubereitung, die sie in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlernte, zum anderen eine, die sie nach dem Krieg als moderne Erleichterung des Hausfrauenalltags erfuhr.
Neben ihrer Rotweincreme, die damals ganz modern aus der Packung mit der kleinen Weinflasche ohne Etikett gezaubert wurde, ist es das Gericht, dessen Zubereitung sie mir zeigte, als ich noch ein kleiner Junge war. Im Unterschied zur fast schon in der Packung fertigen Creme, war ihr Stielmuseintopf ein bodenständiges Gericht, welches neben frischem Stielmus, Rindfleisch und Knochen, mehlig kochenden Kartoffeln lediglich einige Gewürze, diese aber mit Nachdruck forderte. Zunächst wurde die Brühe zubereitet, in welcher später die Kartoffeln gar gekocht wurden. Gegen Ende der Garzeit würde das in mundgerechte Stücke geschnitten Stielmus zugegeben. Gewürzt wurde der Stielmuseintopf mit Salz, weißem Pfeffer und Muskat, dies allerdings erst unmittelbar bevor er serviert wurde. Es war jedes Mal ein Festessen für mich und in meiner Erinnerung war es das Grün des Frühlings, was ich hier auf dem Teller vor mir hatte.
In der 1940 überarbeiteten Version ihres Buches klagte Liselotte Alverdes über die lediglich regionale Bekanntschaft dieses Gemüses: „Ein gutes westfälisches Gericht, das leider im übrigen Deutschland fast unbekannt ist.“ Sie empfiehlt die blanchierten kleingeschnitten Stiele in Fleischbrühe zusammen mit Rindfleisch zu dünsten, um dann die Brühe mit „in Fett gerösteten Semmelbröseln sämig“ zu kochen und sie mit Salz, weißem Pfeffer und etwas Muskat zu würzen. Selbstverständlich ist diese Empfehlung nicht ohne Hintergedanken, ging es doch schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges darum, möglichst viel Nährwert aus dem heimischen Gemüsen und Nährstoffen herauszuziehen. Warum, so die auch in Friedenszeiten berechtigte Frage, sollte man das Grün der Speiserüben einfach achtlos wegwerfen, wenn sich daraus ein nahrhafter Eintopf kochen lässt? Jenseits der Ideologie der Nazis, nach welcher jedes Gemüse lediglich Träger von Vitaminen ist und insofern dessen Geschmack gerne durch Mehlschwitzen oder durch geröstete Semmelbrösel verkleistert werden darf, ist das Gemüse kurz gedünstet oder gekocht ein wunderbarer Genuss.
Wie auch die verwandten Rettich, Senf und Kresse gehört der Rübstiel zur Pflanzenfamilie der Kreuzblütengewächse. Die diesen Pflanzen eigenen Senfölglykoside verleihen dem Gemüse seine weniger an Senf, denn an Meerrettich erinnernde Schärfe, sowie seinen unverwechselbaren Geruch.
In den Niederlanden, dem Rheinland und in Teilen von Westfalen hat dieses Gemüse eine lange Tradition, jedoch ist es in weiten Teilen der deutschsprachigen Länder eher unbekannt. Dies ist umso bedauerlicher, als sich der enge Verwandte des Rübstiels, der Rappa oder Stängelkohl mittlerweile nicht nur bei Einwanderer aus dem Mezzogiorno äußerst beliebt ist. Vielleicht tritt der Rübstiel – wie einst die Rauke – ihren Siegeszug über die mediterrane Küchenhintertür an, diese kam ja auch erst wieder als Rucola auf unsere Küchentische.
Warum nicht? Schließlich kann man Rübstiel auch roh zu Salat verarbeiten.