Ralf Bos: kulinarisches ABC
Ralf Bos gibt sein kulinarisches ABC zum Besten
Wie lernen wir reden? Wie staunen? Den ersten ungläubig staunenden Gesichtsausdruck auf dem Gesicht meiner älteren Tochter habe ich erlebt, als sie etwa acht Monate alt war. Bis dahin war sie kulinarisch lediglich mit Muttermilch und verschiedenen Breien in Berührung gekommen. Doch an diesem Tag besuchten wir eine kleine Lachsräucherei. Vom Fisch, der frisch aus dem Ofen kam, schnitt der Meister ein kleines Stück ab und überreichte es mit einer stillen feierlichen Geste an meine Tochter. Bevor ich darüber nachdenken konnte, ob der Genuss von Fisch vielleicht noch etwas zu früh für das Kind sein könnte, hatte sie das Stück im Mund. Was dann passierte war bewegend. Sie schmeckte etwas ganz Neues, die Welt des Kindes veränderte sich schlagartig, und wir durften in den kommenden Wochen den Nachschub an geräuchertem Fisch nicht abreißen lassen. Geschmack regt uns an. Manches Mal so sehr, dass wir darüber reden wollen. Leider unternehmen wir das immer noch zu selten. Doch Ralf Bos geht nun voran und entert lexikalische Welten für die Ausbreitung der Kulinaristik in Wort und Gedankengang.
Wortgenuss
Kann ein lexikalisches Buch interessant sein? Kann es anregen? Möchte man es in einem Zug verschlingen? Im vorliegenden Fall muss man verblüffender Weise alle Fragen mit „Ja!“ beantworten. Denn hier schreibt kein Mensch, dem es darum geht, ein Kulinarikum anhand des Alphabets zu füllen. Hier spricht ein Mann, der sich voll und ganz den guten Lebensmitteln und dem guten Geschmack verschrieben hat. Das Buch ist so geschrieben, wie Ralf Bos spricht, wenn er über sein Leibthema Lebensmittel redet. Locker, freundlich, authentisch, spannend und auch für den Eingeweihten immer wieder überraschend.
Ich habe Ralf Bos vor einigen Jahren auf einem Symposium des Ahrtrüffelvereins in Sinzig kennen gelernt. Er hielt dort einen Vortrag über weiße Trüffeln. Dabei verband er ganz selbstverständlich drei unterschiedliche Erzählelemente, als wäre es für ihn, den gelernten Koch, das natürlichste auf der Welt, dass man mit Erzählungen analog zu den Zutaten in der Küche verfährt: Man fügt sie zusammen, damit sie ihre unterschiedlichen Aromen mischen und ergänzen. So kam ein ordentliches Stück wissenschaftliche Abhandlung über das Wachstum der Trüffeln zusammen mit prallen Geschichten aus dem Leben des Trüffelhändlers, der versucht seine Ware in einem Sternerestaurant zu verkaufen, verfeinert durch ein Stillleben aus einer scheinbar anderen Zeit.
Diese Episode erzählt von einem Restaurantbetreiber im Piemont, der ihn einmal feierlich ins Hinterzimmer führte. In der Ruhe der leichten Abgeschiedenheit sitzen drei alte Männer und bekommen frische Pasta vorgesetzt. Andächtig hobeln sie große Mengen des vor ihnen auf dem Tisch liegenden Albatrüffels über die Pasta. Dann schlagen sie – als ginge es um eine Inhalation – ihre riesigen weißen Servietten unter den Teller und über ihren Kopf. Andächtig atmen sie den Duft der Trüffeln ein, während sie unter ihren Serviettenhauben genüsslich essen.
So ergänzen sich die verschiedenen Geschichten von Ralf Bos nicht nur, sie verbinden sich zu einer außergewöhnlichen Komposition, die lange im Kopf lebendig bleibt. Seine Geschichten sind authentisch. Sie erzählen nie von den großen Mühen, die er unternehmen musste um der größte Importeur für Trüffeln zu werden, sondern stets vom Spaß, den ihn seine Suche nach neuen Zutaten und ihren Geschichten bereitet.
Trüffeln, Champagner & Lardo
Die Geschichten im vorliegenden Band haben viel von dieser offenen und begeisternden Art und das macht die Lektüre so überaus anregend. So schafft es der Autor durch seine mitreißende Art sowohl fachkundige als auch kulinarisch weniger interessierte Leser für sein Thema zu gewinnen. Dabei wird grundlegend die Frage nach einem guten Aceto Balsamico erörtert, oder der Geschmack der besten Austern analysiert. Der Leser ermüdet noch nicht einmal bei einer wahren Vorlesung über Champagner, so nah am Glas ist die Geschichte orientiert. Ob über Kaviar oder Bos Leibthema – völlig zu recht trägt er den Beinamen „Trüffelpapst“ - die Trüffeln, er beschreibt anschaulich, erzählt eine dem Thema angemessene Geschichte und kann sogar Prozentrechnung in ein kulinarisches Ereignis verwandeln.
Schon beim Kapitel über Gewürzmischungen bekommt man unweigerlich Lust, die von Bos angeführten praktischen Kochbeispiele sofort am Herd auszuführen, lediglich die Lust auf weitere Lektüre hindert vor vorschnellen Praxisexperimenten. Spätestens aber im Kapitel über Lardo muss man als Dauerleser eine Pause machen, um den nächsten italienischen Feinkostladen aufzusuchen, so anschaulich wird hier über die Vorzüge des aromatisierten Specks und seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten geschrieben.
Zeichen wahrer Aufklärung
Ralf Bos ist gelernter Koch und in mehreren Geschichten des Buches wird schnell klar, dass die Faszination dieses Berufes für ihn in erster Linie im Genuss liegt. Insofern ist es sicherlich kein Zufall, dass für ihn die besten Produkte und die durchdringende Kenntnis über sie im Fokus der Aufmerksamkeit liegen. Denn der beste Koch vermag seine volle Leistung nur zu bringen, wenn er die besten Produkte für seine Arbeit bekommt. Dass der Autor sein Geld als Händler der im Buch beschriebenen Produkte verdient, ist in diesem Fall kein Nachteil, genau genommen ist es das reine Glück. Zum einen hat er so die Möglichkeit, sich detaillierte Kenntnisse über die Produkte, mit denen er handelt, anzueignen und zum anderen haben wir als Leser die Möglichkeit, die Produkte, die uns nach der Lektüre am meisten zusagen, direkt per Internet bei ihm zu bestellen.
Viel wichtiger ist die Art, wie der Autor sein Wissen um die Produkte – Olivenöl, Salz, Vanille, Zucker, um an dieser Stelle nur einige zu nennen – weitergibt. Er verfährt damit wie mit seiner Anleitung zum richtigen Trüffelgenuss: Da darf man auch nicht zu sparsam sein, sonst kann sich kein Genuss einstellen. Ralf Bos stellt sein Wissen verschwenderisch zur Verfügung, er möchte damit nicht knausern. Er möchte für sein Thema begeistern und das aus voller Überzeugung. Hier handelt ein Mann im Zeichen wahrer Aufklärung – dies ist an dieser Stelle ernst gemeint, auch wenn die witzigen Collagen zumeist den Bezug zu anderen leiblichen Genüssen nahelegen – und insofern ist diese erste Enzyklopädie aus seiner Feder nur logische Konsequenz. Hier weist uns der Autor einen Ausgang aus unserer kulinarischen Unmündigkeit.
Kulinarisches Nachschlagewerk
Achten Sie einmal darauf, wie sehr Sie bei der Lektüre Lust darauf bekommen, einfach gut zu essen. Und darum geht es in erster Linie und letzter Instanz: sich selbst und seinen Liebsten ein schönes Gericht als Grundlage für einen vielleicht unvergesslichen Abend zu bereiten. Dazu muss man sein Sparkonto nicht leer räumen, aber – und das sagt der Feinkosthändler ganz unprätentiös, da es eine oft immer noch geleugnete Wahrheit ist – schon tiefer in die Brieftasche greifen. Sorgfältig zubereitete Produkte haben ihren Wert, den man dafür auch schmecken kann. Und das schöne an diesem Buch ist, dass Sie für den nächsten Einkauf einfach ein wenig mehr über verschiedene Lebensmittel wissen und Sie so auch besser genießen können.
Kaufen Sie sich dieses Buch, es liegt gut in der Hand, liest sich flott weg und kann immer wieder als kulinarisches Nachschlagewerk genutzt werden. Doch passen Sie auf, die Lektüre kann Sie teuer zu stehen kommen. Sie werden es merken, sobald Sie sich unvermittelt in einem Feinkostladen wiederfinden oder im Internet einen Smoker erstehen wollen.
Für Sie gelesen
Ralf Bos: Mein kulinarisches ABC. Mit einem Vorwort von Eckart Witzigmann und Collagen von Thomas Ruhl. 192 Seiten geb., Köln 2012, 19,95€
Weiterer Tipp
Ralf Bos: Trüffel und andere Edelpilze. 312 Seiten geb., 2. erw. Auflage, Köln 2014, 69,-€