Prise
Auf dem Messbecher müssen wir sie nicht suchen. Auch die Küchenwaage hilft nicht weiter. Denn die Prise ist das, was man eine ungefähre Maßeinheit nennt - und nicht von ungefähr.
Historische Kochbücher haben so ihre Tücken für den modernen Menschen. Den Anweisungen alter Rezeptsammlung ist es meist eigen, dass sie uns keine Angaben betreffs der Menge einer Zutaten oder der Dauer und Temperatur des Schmorens, Bratens und Kochens mit auf den Weg in die Küche geben. Da fehlt uns dann jedes Maß.
Das ändert sich spätestens im 19. Jahrhundert, als nicht nur international verschiedene Maße vereinheitlicht sondern in der stark aufkommenden Kochbuchliteratur auch die Mengen- und Zeitangaben präziser ausgewiesen werden. Spezielle Umrechnungstabellen liegen den Büchern bei, was aber bei der Prise kaum als Vorteil wiegt. Nichtsdestotrotz erhalten sich gerade im Milieu der Küche Maßangaben, deren genaue Quantifizierung bis heute vage bleibt. Dazu zählt die Prise.
Wir kennen die Prise Salz, die an der Suppe fehlt, und die Prise Zucker, die dem Tomatensugo die Säure nimmt. Aber wie viel Gramm oder Milligramm Salz und Zucker sind das genau? Eines steht für Köche fest, es ist weniger als das Maß, welches eine Messerspitze zu fassen vermag, letztlich also feiner zu dosieren. In den angloamerikanischen Küchen könnte man noch den Teelöffel zum Vergleich heranziehen, dessen achter - oder historisch sechszehnter - Teil dort die Prise kaum deutlicher bemaßt.
Ein Quantum Trost
Auf jeden Fall ist, wenn wir uns der Prise wortgeschichtlich nähern, Fingerspitzengefühl gefragt. Der Begriff leitet sich nämlich vom französischen "prendre" (nehmen) respekitve "prise" (das Nehmen) ab und bezeichnet das Aufnehmen von meist körnigen Zutaten oder Gewürzen zwischen zwei Fingern. Damit wird der Geschmack der Speisen zu einer Art Fingerabdruck des Kochs. Denn es ist sein Schmecken und keine Maßeinheit, das über die Prise entscheidet. Sein Gaumen legt fest, ob die Prise fehlt und weist die folgsamen, aber geschmackstauben Finger an, eben das rechte Maß zu nehmen.
So zeigt sich in der rechten Prise die würzende Meisterschaft. Und sie verschafft uns ein Quantum Trost, wenn wir jetzt mit mehr Fingerspitzengefühl uns an die alten Kochbücher wagen.
Narkotischer Nachtrag
Die Prise ist auch in der Pharmakologie ein übliches Maß gewesen, was noch einmal die entscheidend feinfühlige Handhabung der "geprisenen" Zutat hervorhebt. Nicht umsonst weist das Grimm'sche Wörterbuch unter dem Lemma "Prise" zu allererst Zitate aus, die mit Tabak, Tobak oder Nieswurz hantieren: "soviel man von einer sache zu einem gewissen gebrauche auf einmal nimmt, namentlich die mit daumen, zeige- und mittelfinger genommene dosis schnupftabak". So erklärt sich, warum die Prise im aktuellen Sprachgebrauch nicht nur in der Küche sondern auch unter Drogenkonsumenten geläufig ist.