Ohne Reue und Rezept
„Ach, der Wolfram Siebeck, der hat ja so recht“ sangen Foyer des Arts in den frühen Achtzigern des letzten Jahrhunderts in ihrem Hit der Neuen Deutschen Welle. Und was Max Goldt damals so lautmalerisch auf den Punkt brachte, war eine tiefe Verbeugung vor dem Meister der kulinarischen Feder.
In seinen nun veröffentlichten autobiographischen Schriften gesteht Wolfram Siebeck, dass er von diesem Lied so beindruckt war, dass er für Max Goldt auf jeden Fall eine gute Flasche geöffnet hätte, wäre dieser auf Besuch in die Provence gekommen. Das Max Goldt nicht auf Stippvisite kam, lag vielleicht an der Einladung, die nur in diesen Schriften – aber eben nie persönlich ausgesprochen wurde. Und es ist eine fast beiläufig erwähnte Passage, die so mustergültig zeigt, mit welch liebevollen Blick der oft als Wutkritiker missverstandene Wolfram Siebeck auf seine Umwelt schaute. Wut konnte er gleichwohl entwickeln, besonders, da er von seinem Vater - einem überzeugten Nationalsozialisten – gelernt hatte, Nazis zu verachten. Denn schon während des angeblich 1000-jährigen Reiches machte sich dieser in Amtsangelegenheiten auf Nimmerwiedersehen auf und davon. Zurück blieb der Sohn bei der Mutter in der grauen Umgebung des Ruhrgebiets, welches in der Wirtschaftswunderzeit aber vielfältige Möglichkeiten der Ausbildung bot. So wird aus dem Maler für Reklameschilder schnell ein gefragter Pressezeichner, eher er den Pinsel gegen die Schreibmaschine eintauscht und mit dem Schreiben zu seiner wahren Passion finden wird. 1959 erhält er in der gerade gegründeten Zeitschrift „Twen“ eine kulinarische Kolumne.
Seine Frau Barbara, die einige Jahre später in sein Leben tritt und es mit ihren drei Söhnen lebendig bevölkert, wird seine Leidenschaft für die gehobene Küche befeuern. Schnell ist klar, dass sie zusammen ihren Traum von englischen Garten zu Gunsten des Verweilens in Ländern mit interessanteren kulinarischen Angeboten aufgeben werden. Der erträumte englische Garten wird also zu einem Realen in der Provence, nebst der zahlreichen Arbeiten, die ein Haus auf dem Lande so mit sich bringen wird. Und von diesen Arbeiten, mehr noch von den Schwierigkeiten in der Fremde und der Selbstironie mit der Siebeck diesen begegnet handelt dieses Buch scheinbar. Und natürlich von den Trockenmauern, die ein Deutscher, wenn er erst einmal ein altes Haus in mediterranen Gegenden sein Eigen nennt, unwillkürlich meint restaurieren zu müssen. So geht es Robert Gernhardt und so geht es auch Wolfram Siebeck, wenn er sich nicht gerade mit Handwerkern rumschlägt, oder mit seiner Frau in der Küche hantiert, um sich von der Gegenwart seiner Nachbarn zu erholen. Damit hat Siebeck einen Haus-Rahmen entworfen: Das Eigene im Fremden und die Abgrenzung zu den Fremden um in Ruhe in der Küche arbeiten und dazu schreibend Geschichten entwickeln zu können. Und es ist dieser Abstand, den der Autor wohl im Sinn hatte, um eine kulinarische Kulturgeschichte zu entwickeln, doch hier bleibt es bei Ansätzen. Er legt das Manuskript in eine Truhe im gemeinsamen Heim. Vielleicht in der Absicht, diesen Entwurf zu einem späteren Zeitpunkt weiter zu bearbeiten. Und allein dieser Punkt ist beachtlich. Denn der Autor verblüffte nicht nur Kollegen, sondern auch sich selbst immer wieder mit seinem ungehemmten nicht versiegen wollenden Erzähl- und Schreibfluss. So etwas wie eine Schreibblockade – er sagt es im Manuskript selbst – kennt er nicht und offenbart sie hier doch. Vielleicht war es für gerade genug der autobiografischen Offenbarung, vielleicht fehlte Siebeck in dem Moment die rechte Idee, hier die ihn so auszeichnende spannend manövrierte Kurve zu beschrieben, um dem Stoff den nötigen Drive zu geben. So blieb es beim Manuskript und es hätte dem Buch gut zu Gesicht gestanden, wenn der Leser eine editorische Notiz dazu erhalten hätte. So aber findet er sich unvermittelt in dem nicht ganz geordneten Geschichten, die doch schon durch die Hausmetapher – das Haus in der Provence wird später einen Käufer finden – schon recht stabil zusammengehalten wird, ohne schon ein wirklich klares Innenleben zu umfassen. Doch die Facetten und Kapitel, Einblicke und Reflexionen lohnen die Lektüre, wenn man verstanden hat, das hier so lebendig wie launig vom Leben selbst die Rede ist.
Kulinarische Kulturgeschichte
Und dieses Leben ist in erster Linie ein – und das erstaunt dann doch – politisches. Das Anschreiben gegen den Hang zur Mehlschwitze war ein politisches Statement des Autors, der gegen die Sättigungskost der Nazis, die er als Kind noch erleben musste, zu Felde zog, wie gegen die kulinarische Verdummung, die das Denken des Essens in reiner Portionsgröße darstellte. Dabei entfaltet sich der politische Gehalt dieser Lebensreflektion erst im Laufe der Lektüre. Denn Essen, als Genuss verstanden, wird von Siebecks Landsleuten beargwöhnt, wie er an immer wieder so klug wie scharfsinnig feststellt, das Essen und sein Genuss ein Grund seien kann, die Welt wenn nicht global zu verbessern, so doch regional zu einem besseren Ort werden zu lassen. Aber orientiert an der Sexualmoral der Kirche im Wirtschaftswunderland werden sich die Deutschen der kulinarischen Völlerei zwar hingeben, dabei aber den Genuss verteufeln. Die Auswahl des Restaurants wird zu einer politischen Entscheidung. Und in Deutschland hat es nicht nur Eckart Witzigmann, sondern jede Form der modernen Küche schwer, denn:
„Wie zu erwarten, leisteten konservative Esser heftigen Widerstand.“
Und Siebeck bringt es selbst auf den Punkt, das sich hier Wenn es um verfeinertes Essen geht, hat sich nicht viel geändert. „Die atavistische Ablehnung der Deutschen gegenüber Verfeinerung und Intellektualität charakterisiert seit Luthers Bekenntnis zur anspruchslosen Deftigkeit die Identität unseres Volkes und bestimmt auch noch heute die Diskussionen über die Notwendigkeit einer Elite. Wenn meine Generation darauf empfindlich reagiert, so liegt dies nicht zuletzt am elitären Anspruch der Nazis, der in der grotesken Behauptung gipfelte, mit den SS-Formationen eine völkische Elite geschaffen zu haben. “
Also kämpft Siebeck gegen die immer noch gelebten Ernährungsdispositive des dritten reiches: Sättigung gegen Geschmack, Süße gegen Genuss mit allen ihn zur Verfügung stehenden Mitteln an. Er begibt sich auf Studienreisen in den Küchen Frankreichs und freundet sich mit Küchen in Deutschland an. Dabei weicht er keinen Deut von seiner einmal getroffenen Entscheidung: Es gilt, den bestmöglichen Geschmack zu feiern und daher auch Fehler auf dem Weg, diesen zu erreichen zu kritisieren. Vincent Klink wird in seinem wunderbaren Nachwort zu diesem Band davon Zeugnis ablegen, als der Kritiker im jugendhafte Sünden bei der Fertigung eines Gerichts attestierte. Und zugleich wusste Klink stellvertretend für viele seiner Kollegen davon zu berichten, wie bereichernd ein Besuch von Siebeck sein konnte, verstand er es doch zu genießen und auf diese Weise eine gute oder herausragende Küche im besten Sinne zu würdigen. Lange vor einer zu Papier zu bringenden Kritik. Und dies ist sicherlich ein wertvoller Hinweis für alle Besucher von Restaurants: Freut euch auf das, was euch geboten wird. Genießt mit allen Sinnen und nutzt die Zeit für gemeinsame Gespräche. Und würdigt das, was ihr genießen könnt, macht euch im Vorfeld Arbeit und euch Gedanken, denn:
Es ist die Arbeit, die den Spaß in den Küchen bereitet. Diesen Umstand aber wollen uns Kochsendungen und die von ihnen profitierenden Anbieter von Fertignahrung vergessen machen. Kochen ohne den Spaß der Arbeit aber wird fad wie das fertig gelieferte Essen.
Und schon entpuppt sich das posthum aufgefundene Manuskript als zeitlose Aufforderung zum aktiven kulinarischen Genuss.
Tartuffel empfiehlt: Wolfram Siebeck: Ohne Reue und Rezept. Mein Leben für den guten Geschmack. Mit einem Nachwort von Barbara Siebeck und Vincent Klink. Schöffling Verlag Ffm 2024, 240 Seiten, geb., 26,00€