Nicht Tier, nicht Pflanze
Dabei ist er streng genommen ein Autodidakt. Er wuchs auf einem finnischen Bauernhof auf, der seit vielen Generationen im Besitz seiner Familie war und auch von dieser bewirtschaftet wurde. Bereits als Fünfjähriger war er in den Betrieb integriert und ihm war sehr schnell klar, dass er vom Land, auf dem er lebte, abhängig war. Die Grundkenntnisse über Pilze erwarb Tero von seiner Mutter, die neben Pilzen auch andere Waldfrüchte sammelte und sie frisch verarbeitete oder konservierte. Er interessierte sich aber damals nur für den Geschmack der Funghi, die seine Mutter auf traditionelle Weise zubereitete und schwärmt von ihrer cremigen Pilzsuppe. Vom gesundheitlichen Potenzial der geheimnisvollen Wesen ahnte er nichts. Damit kam er erstmals auf dem College in Kontakt. Er verdiente sich mit dem Verkauf von selbst gesammelten Pilzen etwas Taschengeld dazu und gewann mit einigen Studienfreunden einen Innovationswettbewerb, der sich darum drehte, den Pilz „Matsutake“ von Finnland nach Japan zu exportieren, wo Preise bis 2000 Euro pro Kilo gezahlt wurden. Seine Beschäftigung mit der Mykologie und Physiologie führte dann zur Gründung der Firma „Four Sigmatic“ Heute ist Tero ein gefragter Mykologe, der die ganze Welt bereist und über die Wirkung von Inhaltsstoffen in Pilzfruchtkörpern referiert.
Pilz-Jargon
Unter der Überschrift „Pilz-Jargon“ erklärt der Autor leicht verständlich die hauptsächlichen Bestandteile von Pilzen vom Myzel bis zum Fruchtkörper und arbeitet vor allem und bei allen aufgeführten Pilzarten, die wichtigsten Inhaltsstoffe übersichtlich heraus. Da ich viel mit dem Reich der Pilze zu tun habe frage ich mich, warum ich nicht so ein Buch geschrieben habe. Es sind immer die Anderen, denen so was einfällt. Es beschämt einen Pilzexperten in seinem Expertendasein. Na gut, ich schreibe eben Pilzkrimis, das kann auch nicht jeder Pilztyp.
Bei meinen pilzkundlichen Wanderungen im Herbst sind regelmäßig die Speisepilzsammler erstaunt, dass es einige kulinarisch verwertbare Baumpilzarten gibt. Damit meine ich die essbaren fleischigen Exemplare wie Schwefelporling und z.B. Hallimasch. Dass die meisten anderen, an Bäumen oder Totholz wuchernden Fruchtkörper erst aufbereitet werden müssen und nicht mit gutem Olivenöl durch die Pfanne wandern können, ist angesichts ihrer zähen Struktur verständlich. Der Autor erklärt, dass das Aufbereiten bedeutet, die Inhaltsstoffe, der Fruchtkörper, zu extrahieren. Darunter sind auch zähe und ungenießbare Exemplare/Arten, wie die Schmetterlingstramete oder Cordycepsvarianten.
Dieses geschieht durch mindestens 40%en Alkohol, in dem die Pilze 3-6 Wochen verweilen. Es entsteht eine Tinktur. Der Alkohol entzieht dem Trama (Fleisch der Fruchtkörper) die fettlöslichen Bestandteile und durch das anschließende lange Erhitzen in bis zu 100 Grad heißem Wasser über 12-24 Stunden werden die wasserlöslichen Verbindungen herausgelöst. Es entsteht ein Absud. Tinktur und Absud werden kombiniert. Mehr verrate ich hier nicht. Es reicht nach Ansicht des Autors also nicht, Pilze zu zerkleinern und daraus mit heißem Wasser einen Tee zuzubereiten. Er nennt dieses Verfahren „Duale Extraktion“. Nach meiner Erfahrung ist von diesem Art der Aufbereitung bei Produkten, die z.B. im Internet angepriesen werden nicht die Rede. Vermutlich zu teuer in der Herstellung.
DIY – Pilzkultivierung und kulinarische Veredelung
Die Fruchtkörper in ihrer faszinierenden Vielfalt sind eben auch Thema des Buches. Tero stellt 10 Pilzarten vor, die man mit etwas Geschick auch selbst kultivieren kann. Für jede Art beschreibt er die Wirkung der Inhaltsstoffe auf den Körper und unterlegt diese mit anekdotischen Beispielen. Der am Schluss des Buches stehende Einkaufsführer gibt einen sehr guten Überblick über relevante Waren.
Klar gibt es auch Kritik in fachlicher Hinsicht. Was z.B. nicht durchgehen kann, ist ein falsches Bild zum Text. Auf Seite 40 wird der „Rotrandige Baumschwamm“ (fomitopsis pinicola) abgebildet, der Text auf Seite 41 bezieht sich aber auf den „Schiefen Schillerporling“ (innonotus obliquus). Die beiden Arten haben unterschiedliche Wirkstoffe, die in der Anwendung problematisch werden könnten. In einer Neuauflage des Werkes sollte dieser Fehler unbedingt korrigiert werden. Weiterhin schreibt der Autor immer von Pilzsorten, eine Bezeichnung, die strengen Pilzkundlern zu lehrerhaften Reaktionen anstachelt, Tatsächlich ist von Pilzarten zu sprechen, die sich innerhalb einer Gattung differenzieren. Es gibt Weinsorten oder Tomatensorten. Die Übersetzung Cordyceps als Schlauchpilz ist nicht korrekt, denn er gehört zwar zu den Schlauchpilzen, der griechisch-lateinische Wortsinn ist „Keulenkopf“. Über diese unscharfen Formulierungen sieht aber der sich für Heilpilze interessierende Funghient hinweg, oder bemerkt sie nicht. Auch dass z.B. der Igelstachelbart eine geschützte Art ist und in freier Natur einen besonderen Schutz genießt, ähnlich wie die Trüffeln ist zwar erwähnenswert, aber durch die Seltenheit, bzw. die Schwere des Auffindens droht hier kaum Gefahr, dass er auf dem Teller oder im Extrakt landet. Auch bei diesen beiden Arten ist eine gewisse Kultivierung möglich.
Die 50 leckeren Rezepte sind kulinarisches Neuland, unglaublich variable Zubereitungen. So etwas ist für hartgesottene und schlecht gelaunte Pilzsucher eine Herausforderung. Auch wenn Steinpilz und Co fehlen sollten, bieten sich eventuell vorhandenen Baumpilze für völlig neu gestaltete Exkursionen an. Ich denke an pilzkundliche Wanderungen mit einer Thematik, die sich an Inhaltsstoffen von Fruchtkörpern orientiert. Also nicht nur giftig, nicht giftig, essbar, bedingt genießbar, lecker.
Fazit
Ein sehr informatives und lesenswertes Buch, das sich wohltuend von Werken mit esotherischem Geschwafel abhebt und an Heilpilzen interessierten Menschen die Möglichkeit lässt, sich auch kulinarisch, diesem Genre zu nähern. Eigentlich Pflichtlektüre für Pilzfans, die schon immer glaubten, alles zu wissen. Ich werde mich dem auf Seite 211 geschriebenen Rezept widmen. Ich habe noch einige getrocknete Klapperschwammstreifen (Grifola frondosa) oder Maitake (tanzender Pilz) im Schraubglas, die ich in konservierter Steinpilzsoße einweiche. Es gibt dann das Gericht „Maitake gefüllte Paprika“ denn frische Paprika habe ich immer im Gemüsefach. Ob jemand mit speist.... mal sehen. Den Maler, der gerade die untere Wohnung streicht, werde ich wohl nicht fragen, denn gestern hatte er behauptet, er habe eine Lackdose-Intoleranz und ist heute erst gar nicht erschienen.
Das Buch ist ein feines Geschenk für angehende Heilpilzsucher, aber auch für eingefleischte „Funguys“ wie ich. Es stellt erstaunlich gute Tipps bereit, auch in pilzarmen Jahren etwas zu finden. Tero bekennt sich freimütig dazu, längst nicht alle Pilze zu kennen und damit trifft er meinen Standardsatz bei Pilzwanderungen: „Lassen sie sich nie von jemandem zum Pilzessen einladen, der behauptet, alle Pilze zu kennen. Lehnen sie diese Einladung mit der nötigen Höflichkeit aber auch der nötigen Bestimmtheit ab!“ Gelegentlich halte ich zusammen mit meinem geschätzten Freund Professor Jan Lelley von der GAMU (Gesellschaft für angewandte Mykologie und Umweltstudien) Vorträge zum Thema „No Funghi no Future“ da geht es auch um die Thematik, die Tero Isokauppila so überzeugend in diesem Buch darstellt. Irgendwie freue ich mich auf meine nächste Pilzführung. Mit dem Wissen des Buches im Gepäck bin ich unabhängig von Wetterkapriolen.
Tartuffel empfiehlt:
Tero Isokauppila. Heilpilze. Von Reishi bis Cordyceps. Narayana Verlag, Kandern 2019, 256 S., 24,80€
Weiterführende Infos zum Autor.