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Natürlich Genuss

Natürlich wollen wir uns ernähren. Wie auch sonst? Natürliche Zutaten, keine Zusatzstoffe und keine Geschmacksverstärker. Was bei Lebensmitteln allmählich zur Normalität wird, ist beim Wein noch lange keine. Kein Wunder, denn Wein fällt ja auch nicht unter das Lebensmittelgesetz. Als Genussmittel muss daher nicht auf der Weinflasche – als Verpackung – festgehalten werden, welche Zusatzstoffe er enthält, bzw. welche Stoffe zu seiner Herstellung verwendet werden.

 

Natürlich Wein - Standardwerk zur Naturweinwelt

Surk-ki Schrade, betreibt mit der "La Vincaillerie" seit 2009 einen Weinhandel mit Naturweinen. 2015 initiierte sie die erste internationale Naturweinmesse "Weinsalon Natürel". Mittlerweile ist sie die Naturwein Expertin in Deutschland hatte ursprünglich gar nicht vor, sich professionell mit Wein zu beschäftigen. Wein trat als alltägliches Getränk in ihr Leben, es war da, wie Wasser, Kaffee oder Tee. Er bot Geschmack und Genuss und das hätte so bleiben können, wenn Wein laut Deklaration ein Lebensmittel wäre.

Doch als Genussmittel unterliegt Wein eben nicht dem Lebensmittelrecht. Andernfalls wären Weinflaschen sicherlich dicht bedruckt, denn über 200 Zusatzstoffe sind zu seiner Herstellung zugelassen.

In Wein ist also mehr als einfach nur vergorener Traubensaft? „Natürlich“ könnte man von Seiten der Weinindustrie sagen, schließlich muss man ja einen reibungslosen Produktionsablauf bei standardisierten Geschmacksvorgaben garantieren. „Natürlich“ könnte man auch von Seiten der Winzer sagen, die sich im Laufe von einigen Generationen daran gewöhnt haben, zusätzliche Mittel bei der Weinproduktion einzusetzen. Hier gilt es einzusetzen, um ein Missverständnis gar nicht erst aufkommen zu lassen: Viele Verfahren der Weinproduktion sind für die beteiligten Menschen natürlich, da sie diese einfach so kennen gelernt haben, oder weil sie zulässig sind. Natürlich möchte man seine Weinreben vor Schädlingsbefall schützen und arbeitet mit Pestiziden, natürlich möchte man den Kunden einen Wein präsentieren, der so gefällig aussieht, wie er schmeckt, sonst wäre er vielleicht im Auge des Betrachters fehlerhaft und würde am Gaumen anders schmecken, als erwartet. In der Tat hat sich in der Weinwelt in den vergangenen gut einhundert Jahren eine Menge verändert, besonders, um einen gesicherten Ernteertrag, aber auch um einen möglichst standardisiertes Geschmacksbild bieten zu können. Zuchthefen werden verwendet, um die Geschmacksbildung des Weines zu steuern, Klärmittel, um Trübstoffe zu entfernen, Schwefel, um den Geschmack des Weines stabil zu halten. All dies ist erlaubt und gängige Praxis. Doch was ist mit dem Kulturgut Wein? Wein, so wie er über Jahrtausende ein täglicher Begleiter des Menschen war? Was ist mit dem Wein, der nichts anderes ist als der Saft der vergorenen Trauben? Ihm widmet die Autorin ihre Aufmerksamkeit und nach nunmehr 12 Jahren als Weinhändlerin sowie sechs in Eigenregie international ausgerichteten Naturweinmessen nun ihr grundlegendes Buch.  

 

In Vino veritas

 

Im Wein liegt Wahrheit. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass wir alle diesen Spruch präsent haben, wie wir seinen zweiten Teil zumeist nicht kennen:

„In vino veritas, in tuberi fraus“ – Im Wein liegt Wahrheit - In Trüffeln Täuschung. Denn dieser Spruch möchte nicht suggerieren, dass Betrunkene die Wahrheit sagen. Jede Alltagserfahrung wird lallenden Singsang als alles Mögliche erkennen können, sicherlich nicht aber als eine analytisch klar zuzuordnende Aussage. Nein, das Sprichwort stammt aus einer Zeit, in der man mit Wein nicht tricksen konnte. Es gab nur die Traube, die Rebe, den Weinberg, den Jahrgang, den Winzer und das Weinfass. Das war alles. Die Wahrheit des Weines zeigte sich in Glas und Gaumen. Und um diese traditionelle Art des Weines geht es hier. Es geht schlicht um Wein, ohne Zusätze und Stabilisatoren.

Mittlerweile gibt es über 200 Stoffe, die man dem Wein zugeben kann, ohne sie auf der Weinflasche deklarieren zu müssen. Schwefel bilden da lediglich die Ausnahme zur Regel. Und so konnte ich Aufregung über diesen Sachverhalt verstehen, mit der mir die damals frisch gekürte Weinhändlerin Surk-ki Schrade ihr Wissen um den Wein und seine aus den Fugen geratene Welt erläuterte. Nun stellt man den Genuss von Wein gerade in ruhigen Momenten der Einkehr dar. Hier war es anders: Hier wollte jemand im traditionellen Sinne Aufklärung über Wein betreiben und allmählich begriff ich, dass diese Frau mutig, zupackend und folgerichtig agierte. Als in Frankreich aufgewachsene Deutsche mit Wohnsitz in Köln versteht sie sich auch als kulturelle Mittlerin zwischen diesen beiden Welten. Das geht nicht mit Tricks, nicht mit Zusätzen, nicht mit Aromen, Zuchthefen und nicht mit Filtration. Und da es damals keine Adresse gab, um reinen Wein beziehen zu können, eröffnete sie kurzentschlossen ihre eigene Weinhandlung, die sie seither mit zunehmend wachsendem Winzer- und Kundenstamm betreibt. Seit 2009 kann man kompetente Beratung rund um Naturwein bekommen und diesen probieren, oder online bestellen. In diesen Jahren ist die Welt der Naturweine gewachsen, viele vornehmlich junge Winzer haben dieses Segment für sich entdeckt und es macht einfach Spaß, diese naturbelassenen Weine für sich am Gaumen sprechen zu lassen.

 

Facettenreicher Blick in die Welt des Naturweins

 

Das Buch ist ein wenig wie sein zu Grunde liegendes Thema: Es ist fachkundig, persönlich, abwechslungsreich und lebt von den Facetten der Personen, die hier zu Wort kommen. Dabei erschließt sich dem Leser, mit welcher Offenheit die Autorin an die Themen herantritt. Denn als Wein-Pragmatikerin lässt sie viele Glaubenssätze ihrer Interviewpartner bestehen. Entscheidend ist das Produkt. Ob man nun esoterisch an Schwingungen oder anthroposophisch an die Verwendung von Kuhhörnern glaubt. Dabei aber – ganz im Sinne der Aufklärung – lässt sie ihre Interviewpartner selbst den Bogen schließen. Und an dieser Stelle sei lediglich ein Beispiel angeführt. Wenn sie Rudi Trossen nach den Lehren der Biodynamie fragt, erklärt er nicht die Anthroposophie, sondern seine Arbeit als Winzer und Landwirt, der sich gegen zahlreiche Widerstände und – damit verbunden – alltägliche Verwendung von Pestiziden, durchsetzen musste. Er wollte durch seine Arbeit etwas verändern und er wollte überzeugt sein, von seiner Arbeit, als Winzer, mehr aber noch als Landwirt. Mittlerweile, so Trossen haben die jungen Leute, anders als er zu seiner Jugend, das Wissen vorliegen und es ist an ihnen, die Zusammenhänge zu verstehen und ihr eigenes Handeln darauf abzustimmen. Er hatte damals nur den Glauben, das Richtige zu tun. Heute aber kann man seine Handlungen wissenschaftlich begründen und mehr noch, es kommt auf ein politisches Bewusstsein an, denn die Entscheidung gegen konventionelle Landwirtschaft und gegen herkömmlichen Weinanbau ist zwar eine persönliche, sie geht aber alle Menschen etwas an:

„Die Erde gehört allen Menschen, Landwirtschaft geht alle an, ist eine globale Frage geworden und muss ganz neu begriffen werden, auch als soziale und politische Aufgabe.“

Die Interviews beschäftigen sich mit der Herstallung von Wein, seiner Geschichte, den Besonderheiten in Deutschland und Frankreich. Die liebevoll zusammen getragenen Portraits der Winzer*innen zeigen die Hochachtung der Autorin vor deren Arbeit. Die Bezugsquellen und weiterführende Links, sowie Literatur sind übersichtlich zusammengestellt und regen zur theoretischen wie praktischen Beschäftigung an. Die im Buch präsentierten Rezepte reichen von Bodenständig bis experimentell und eigenen sich somit hervorragnd zum Pairing.

Beim Wein verhält es sich wie mit dem Essen: Wir sollten schon beim Einkauf auf Zusatzstoffe verzichten und unverfälschte Lebensmittel genießen.

 

Tartuffel empfiehlt:
Surk-ki Schrade: Natürlich Wein. Ungefiltert, ungeklärt, ungeschönt - alles über Naturwein, Pet Nat und Co. Christian Verlag 2022, 192 Seiten, geb., 24.99€

 

 

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