Messerscharfer Geschmack
Mit der Frage nach dem Geschmack begeben wir uns nicht nur auf die Suche nach Gewissheit jenseits subjektiver Ansichten. Wir betreten ein weites, immer noch zu objektivierendes Feld. Thomas Vilgis geht nun voran.
Thomas Vilgis liefert ein einfach gelungenes Buch
Band 3 der vom Tre Torri Verlag herausgegebenen „Kochuniversität“ widmet sich dem Geschmack.
Schließlich ist es keinesfalls trivial, wie der Geschmack auf der Zunge entsteht, wie wir ihn wahrnehmen und welche Elemente beim Kochen das gewünschte Geschmacksspektrum erreichen und erweitern.
Nach den ersten beiden Bänden der Kochuniversität über „Tomaten“ und „Schwein“, die Jürgen Dollase vorgelegt hat, hat Tre Torri nun den am Max Planck Institut für Polymerforschung in Mainz lehrenden Physiker Thomas Vilgis als Autor gewonnen. Mag es sich zunächst exotisch anhören, dass ein Naturwissenschaftler den Band über Geschmack schreibt: Man hätte kaum einen besseren Autoren finden können.
Geschmack ist immer eine Synthese, die sich aus verschiedenen Komponenten und in unterschiedlicher Wirkung zusammensetzt. Was wir auf der Zunge wahrnehmen, ist ein Akkord von Aromen. Wer wäre zur Analyse einer komplexen Synthese jedoch besser geeignet als ein renommierter Wissenschaftler, der Essen nicht nur mit Leidenschaft angeht, sondern es zudem als persönliche Passion versteht. Bei so viel Hingabe fällt dem Leser erst auf den zweiten Blick auf, wie komplex und vielschichtig die so einfach dargestellte Problematik in Wirklichkeit ist.
Komplexe Dinge – einfach analysiert
Thomas Vilgis nimmt den Leser bei allgemein gültigen Themen mit. Natürlich gibt es Aromen und etwas darüber hinaus. Keiner will bestreiten, dass uns etwas schmeckt oder nicht, dass uns manches Mal ein Geschmack auf der Zunge liegt und wir manchmal lange brauchen, bevor wir den Sinneseindruck, den unser Gaumen wie eine klangvolle Harmonie wahrnimmt, in schale oder bestenfalls vollmundige Worte zu fassen vermögen. Gerade daher ist es zwingend nötig, dass wir neue Sprachen der Kochkunst lernen, wie es Vilgis in seinem Vorwort zutreffend nennt. Wie, wenn nicht über Worte wollten wir das zum Ausdruck bringen, was unseren Gaumen betört?
Analytisch lässt sich Geschmack in die verschiedenen Geschmackskomponenten aufteilen. Aber natürlich weiß jeder Mensch, der zur Synthese fähig ist, dass der Geschmack mehr ist, als die Summe seiner durch Analyse gewonnenen Bestandteile. Neben den Geschmacksrichtungen süß, salzig, bitter, sauer und unami gibt es unbestreitbar auch die Komponenten dafür, dass etwas fett oder wässrig schmeckt. Warum ist Wasser ein so wunderbarer Stoff zum Kochen, wenn wir es am liebsten als relativ geschmacklos erfrischend empfinden?
Vilgis geht der Frage mit analytischer Scharfsichtigkeit nach und behandelt sorgfältig jede einzelne Komponente des Geschmacks.
Koch-Beispiele
Dabei liefert Vilgis so einfache wie anschauliche Koch-Beispiele, um dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich dem weiten Feld des Geschmacks experimentell zu nähern. Wie schmeckt Stockfischsalz im Unterschied zu Orangensalz? Wie lässt sich eine dieser Komponenten in einem geschmacklich vielschichtigen Gericht nicht nur erkennen, sondern vor allen Dingen mit Genuss darstellen? Wie kann man Desserts überraschend zubereiten und wie kann man sich selbst, aber vor allen seine Gäste dazu bringen, ihre Geschmacksvorstellungen neu zu hinterfragen?
Spätestens bei einem gelierten Erdbeer-Gin-Törtchen erfasst einen die Lust, das Experiment im Eigenversuch zu wagen, um sich das Rezept im Munde zergehen zu lassen. Letztlich geht es genau darum: seinen Geschmack zu testen, sich seiner zu vergewissern, denn – wie schon Wittgenstein wusste – worüber man streiten soll, dazu braucht man Gründe.
Für sie gelesen:
Thomas Vilgis: Kuchuniversität. Geschmack. Frankfurt/Main 2010
Mehr auf Tartuffel:
Phänomene: Aromenwunder
Charaktere: Naturbelassene Antidepressiva
Für Sie gelesen:
Thomas Vilgis: Geschmack. Kochuniversität Bd. 3
Tre Torri Verlag Wiesbaden 2010, ISBN: 978-3-941641-22-8, 128 Seiten
Bei Amazon zu erwerben
Linktipps:
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