Menü aus einem Topf
Cocido Madrileño ist nicht nur ein Eintopf, sondern – traditionell in großer Runde genossen – ein Menü aus einem Topf. Gleichzeitig eines mit spanischer Geschichte. Denn im Cocido Madrileño verschmelzen ehemalige kulinarische Antipoden, auch wenn die ursprünglich verwendeten Eier nicht mehr Bestandteil der Zutatenliste sind. Doch greifen wir nicht vor.
Auf den ersten Blick könnte die ungebrochene Beliebtheit, welche die Madrilenen ihrem Cocido Madrileño entgegenbringen, an dessen üppiger Zubereitung liegen. Denn hier finden Berge unterschiedlichster Fleischstücke ihre finale Verwendung. Wie alle Eintöpfe lässt sich auch dieser problemlos vorbereiten. Gegessen wird der Cocido Madrileño in drei Gängen: Zunächst wird die Brühe abgeschöpft, um in ihr Nudeln zu garen. Diese Nudelsuppe wird als erster Gang gereicht. Anschließend werden die Kichererbsen zusammen mit den gekochten Gemüsen gegessen und als dritter Gang wird das für den Eintopf verwendete Fleisch serviert.
Fleischverzehr als Glaubensbekenntnis
Betrachtet man sich die Rezepte einer Cocido Madrileño, fällt zunächst die Vielzahl an Fleischzutaten auf: Schweineknochen, Schweinebauch, Chorizo, Serrano-Schinken, und spanische Fleischklöße - bestehend aus Schweinehack, Petersilie, altem Brot und Gewürzen - sind lediglich einige traditionelle Zutaten der Cocido Madrileño. Gerne finden Schinkenknochen und Würste hier ihre finale Verwendung.
Woher kommt diese Vielfalt? Man könnte mit Verweis auf die zahlreich verwendeten Gemüse – Kartoffeln, Weißkohl, Rüben, Karotten, grüne Bohnen, Kardonen und Mangold – angeben, dass es nun einmal die Natur des Eintopfes sei, aus möglichst zahlreichen Zutaten zu bestehen, da in ihm unabhängig von Namen, stets Reste verwertet werden. Doch hier geht es ja nicht um die Verwertung von Resten, sondern um zahlreiche benötigte Zutaten für den Eintopf, der zusätzlich auch noch Geflügel, andere Gemüsesorten und Rinderknochen beigefügt bekommen darf. Denn die Cocido Madrileño ist mehr als ein nahrhafter Eintopf für kalte Wintertage, sie ist ein inquisitorisches Glaubensbekenntnis und genau dieser Umstand hat diesen Eintopf so üppig werden lassen. Betrachten wir also seine Entstehungsgeschichte.
Jüdische Tradition christlich konvertiert
Wie zahlreiche andere Eintöpfe hat auch der Cocido Madrileño eine jüdische Abstammung. Traditionell lebenden Juden ist es am Sabbat nicht gestattet zu arbeiten, auch nicht in der Küche. Daher sind sie darauf angewiesen, für diesen Feiertag ein Mahl so vorzubereiten, dass es nach langer Garzeit über kleiner Flamme warm verzehren werden kann. Pate für die Cocido Madrileño stand das sephardische Gericht Adafina. Es besteht aus Kichererbsen, Geflügel, Gemüse und Eiern aber natürlich nicht aus Schweinefleisch, da Juden der Verzehr von Schweinefleisch untersagt ist.
In ihrem Buch „Jewish Soul Food: Traditional Fare and what it Means“ kommt Carol Ungar zu dem Schluss, dass es sich bei Adafina um die sephardische Version des aschkenasischen Tscholent, eines ebenfalls üppig zubereiteten Eintopfs handelt, für den es ebenfalls eine Vielzahl an Rezepten und Zubereitungsarten gibt. Adafina selbst entlehnt sich aus dem arabischen Wort für beschützt, da der Deckel des Topfes, der traditionell auf der verglimmenden Glut des Feuers stand mit Brot abgedeckt war, um die Wärme im Inneren länger zu halten. David Glitz, Koautor des Buches „A Drizzle of Honey. The Lives and Recipes of Spain´s Secret Jews“ kommt zu dem Schluss, dass der Name Adafina spätestens um das Jahr 1500 in cocido geändert wurde. Dies hatte einen sehr praktischen Grund. Durch den verschärften Antisemitismus im Zuge der spanischen Inquisition sahen sich die spanischen Juden vor die Alternative gestellt, entweder das Land zu verlassen, oder aber zu konvertieren. Die conversos mussten nun unter Beweis stellen, dass sie zu wahren Christen geworden waren, indem sie auch auf die alten Speisevorschriften verzichteten. Der Eintopf füllte sich mit verschiedenen Sorten Schweinefleisch – eine Zubereitungsart, die in Deutschland in traditionell zubereiteten Erbseneintöpfen mit einer Vielzahl von Stücken vom Schwein (Ohren, Schwarte, Schnauze, Schwänze, Eisbein) im kollektiven Unbewussten köchelt – dessen öffentlicher Verzehr auch dem argwöhnischstem Inquisitor beweisen konnte, dass der christliche Glaube nun auch essend durch Hinwendung zum Schwein praktiziert wurde. Der Eintopf selber war nun auch für die christlichen Madrilenen annehmbar, um sicher zu gehen, dass man keine konvertierten Juden mehr am Tisch hatte, bereicherte man das Essen gerne auch mit Morcilla, der spanischen Blutwurst. Da Juden traditionell der Verzehr von Blut untersagt war, wurde der Verzehr der Cocido Madrileño gleichzeitig zu einem öffentlichen Glaubensbekenntnis. So wandelte sich auch die traditionell häusliche Zubereitung: die Cocido Madrileño wurde nun gerne öffentlich in Restaurants verzehrt.
Lekütrtipp:
Carol Ungar: Jewish Soul Food. Traditional fare and what it means. 2015