Mehlschwitze und Süßspeisen
Wie das Volkswohl unseren Appetit auf Ungenießbares steigert
Steckrübeneintopf! Graupensuppe! Manchen unter uns gruselt es schon bei der Nennung der Namen dieser Gerichte. Dazu muss man nicht unbedingt älteren Semesters sein, denn kulinarische Erinnerung hat nicht nur etwas mit persönlichen Geschmackserfahrungen zu tun. Sie vererbt sich.
Wolfram Siebeck – unser Godfather der Gastrosophie – betrat einst die hierzulande noch unbekannte Arena der Gastrokritik, und wollte seinen Landsleuten von ganzem Herzen die Mehlschwitze austreiben. Heutzutage könnte man, nicht ganz zu Unrecht einwenden, dass eine gut gemachte Mehlschwitze doch durchaus ihre Berechtigung in der Küche haben kann und dass eine solche ja auch bei unseren, auf ihre klassischen Küchenkreationen zu Recht stolzen, französischen Nachbarn ihren berechtigten Platz in der Küche hat. Was also trieb Siebeck seiner Zeit um? Siebeck, Jahrgang 1928, bekam nicht nur den Hunger der sogenannten Zwischenkriegsjahre in die Wiege gelegt, er erlebte die Kocherrungenschaften des Dritten Reiches ebenso wie die Hungerzeiten in den ersten Jahren nach dem Zweitem Weltkrieg. Und dadurch wurde er nicht nur mit der Not der Zeit konfrontiert, sondern auch mit dem ideologisch geplanten Umgang am Herd.
Wir haben uns daran gewöhnt, unsere französischen Nachbarn mit ihrer Schnurre zu akzeptieren, mit welcher sie ihre Mahlzeiten und deren Produkte in den Rang eines nationalen Kulturereignisses stellen. Dennoch sind wir verblüfft, wenn wir merken, dass nicht nur Italiener und Spanier, sondern auch andere europäische Nachbarn sich mehr Gedanken über ihr Essen und damit zwangsläufig über dessen Produktionsbedingungen machen als wir. Sicherlich, bei uns gibt es seit Jahren eine Debatte über Bioprodukte, gegen Massentierhaltung, gegen den Einsatz von Pestiziden, für eine regionale Landwirtschaft. Doch letztlich kaufen wir dann doch – statistisch gesehen – beim Discounter ein und wenn wir auf den Wochenmarkt gehen, verbuchen wir dieses Ereignis schon unter der Rubrik: regional einkaufen. Auch wenn sich Bananen und Mangos in unserem Einkaufskorb befinden. Selbst unser national liebstes Lebensmittel (lassen wir jetzt mal Pizza und Pasta außen vor), die Kartoffel, wissen wir meist nicht bei seiner Sorte zu bestimmen. Zu sehr haben wir uns an die Unterscheidung in fest- oder mehligkochend gewöhnt, oder schauen sowieso nur auf den Preis als Einkaufskriterium. Dieses Verhalten hat Gründe, die weit über eine persönliche Noterfahrung hinaus reichen. Begeben wir uns also auf Spurensuche.
Trias auf dem Teller: Volkswohl, Volksgesundheit und Volkswirtschaft
In dem schmalen Band „Fleischlose Tage. Kochvorschriften aus allen deutschen Gauen. 2. Auflage Berlin 1933“ schreibt Charlotte Mühsam-Werther, ihres Zeichens Mitglied des Reichswirtschaftsrats, eine Kochbelehrung an die jungen Frauen des Reiches und verweist dabei sehr offensichtlich auf das ernährungswirtschaftliche Programm, welches die Nationalsozialisten an der Volksernährungsfront etablieren wollen. Spannend an diesem lediglich zwei Seiten umfassenden Text ist der Umstand, wie klar hier schon an Sparmaßnahmen am Herd gedacht wird. Kurze Zeit später soll dies durch den am 1. Oktober 1933 eingeführten Eintopfsonntag der Nationalsozialisten zur Kontrolle des Volkskörpers einerseits und zu Spenden der Bevölkerung zu Gunsten des Winterhilfswerks andererseits führen. Damit wird hier, schon wenige Monate nach der Machergreifung der nachles- und nachkochbare Grundstein gelegt, um die Frauen auf den späteren Krieg an den Kochtöpfen vorzubereiten.
Zum einen soll das Reich von Einfuhren an Nahrungsmitteln unabhängig gemacht werden, zum anderen sollen die so „erwirtschafteten“ Ersparnisse dem Volkswohl – später relativ unverhohlen: der Kriegswirtschaft – zu Gute kommen. Es werden nicht nur „Topfgucker“ darauf achten, dass man sonntags auch einen Eintopf zubereitet. Insgesamt wird die Sparsamkeit am Herd zur nationalen Pflicht. Gleichzeitig wird ein Kampf gegen ausländische Nahrungsmittel geführt und gegen die bürgerliche Küche französischer Prägung wird die deutsche, gutbürgerliche Küche mit ihrer Hausmannskost in Stellung gebracht. Das deutsche Essen soll „ehrlich“ – so die gern verwendete Umschreibung der Hausmannskost – nicht gekünstelt sein. Nicht teuer soll das Essen sein, sondern reichhaltig, nahrhaft und einfach in der Herstellung. Doch lauschen wir nun den zackigen Worten von Mühsam-Werther, selbstverständlich in der alten Rechtschreibung:
„Volksgesundheit und Volksernährung sollen immer ein einheitliches Ganzes bilden, wobei allerdings als dritter und sehr wichtiger Faktor unsere Volkswirtschaft berücksichtigt werden muß. Bei der heutigen Notlage weiter Kreise wird der Speisezettel vielfach in erster Linie im Hinblick auf die Kosten zusammengesetzt werden müssen. Umso mehr liegt für die Hausfrau die Notwendigkeit vor, ernährungsphysiologische Grundsätze zu beachten und ihrer Familie das für die Ernährung unbedingt notwendige zu geben, ohne daß die Haushaltskasse mit eigentlich Entbehrlichem belastet wird.“
Offensichtlich wendet sich diese Ermahnung nicht an Volksgenossinnen, die eh kein Geld in der Tasche haben, sondern an jene, die Gefahr laufen, ihr Haushaltsgeld zu verprassen. Dabei sollen sie ihrer Familie das für die Ernährung unbedingt Notwenige zukommen lassen und damit weitere Aufwendungen im Sinne der Volkswirtschaft, die selbstverständlich ebenfalls unter sinnloser Prasserei zu leiden hätte, einsparen. Doch weiter im Text:
„Es müssen deshalb an dieser Stelle einige Worte über die wichtigsten Nährstoffe gesagt werden. Eiweiß ist für den Zellenaufbau und die Zellenerneuerung im Körper von größter Bedeutung und kann in der Ernährung auf keinen Fall entbehrt werden. In der Hauptsache wird es als tierisches Eiweiß, also Fleisch und Fisch, zugeführt und hat gegenüber dem pflanzlichen Eiweiß den Vorteil besserer Ausnutzung und Billigkeit. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, daß Fleisch für weite Volkskreise nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß erschwinglich ist. Der Fleischgenuß wird also schon aus diesem Grunde eingeschränkt und der Speisezettel von dem seither Gebräuchlichem etwas abweichend gestaltet. Eine solche Maßnahme ist nicht nur vom Standpunkt der pfleglichen Behandlung der Haushaltskasse aus richtig, sie kann auch ernährungsphysiologisch verteidigt werden. Man braucht nicht etwa Rohköstler zu sein, sondern man bekennt sich nur zu einer vernünftigen gemischten Kost, wenn man in den normalen Küchenzettel auch fleischfreie Tage einschaltet.“
Ernährung hat zweckdienlich zu sein und soll zur Einsparung beitragen. Hier können schon einfachste Küchentechniken wie etwa die Mehlschwitze wahre Wunder vollbringen:
„Ebenso wichtig für den Körper wie das Eiweiß sind diejenigen Nährstoffe, die den Wärme- und Kräfteverbrauch ersetzen: Fette und Kohlehydrate (Stärke und Zucker). Berücksichtigt man bei der Zubereitung der Gemüse beispielsweise das moderne Dünstverfahren, so wird man bald erfahren, daß diese Kost bei der Armut der meisten Gemüse an Kohlehydraten teuer wird, weil sie keine andauernde Sättigungskraft besitzt, und die Hausfrau tut heute gut daran, die altbewährte und etwas in Vergessenheit geratene Mehlschwitze wieder einzuführen. Die Wichtigkeit der Gemüse liegt dafür auf einem anderen Gebiete, dem der Vitamine und Nährsalze.“
Man kann sich regelrecht vorstellen, wie die entsetzten Kinder, die zum ersten Mal ein solches Gemüse vorgesetzt bekamen von der ums Volkswohl besorgten Mutter angeherrscht wurden: „Esst, das ist gesund!“
Geschmack ist zu vernachlässigen. Was nutzen kurze Garzeiten, rosa gebratenes Fleisch, Fisch, der an der Gräte noch glasig ist, wenn man auf Fisch und Fleisch verzichten muss? Was nutzt der Eigengeschmack knackigen Gemüses, wenn die Familie nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird? Hier wird Ernährung als Treibstoff gesehen, der menschliche Motor soll am Laufen gehalten werden mit allen notwenigen Zusätzen, wie Vitaminen, Eiweißen, Kohlehydraten. Die aus der DDR bekannte Sättigungsbeilage wird hier der Sättigungsüberguß der Mehlschwitze.
Sparpotentiale und Sättigungskost
Aber das Buch will noch mehr: Sparpotentiale sollen erkannt und durch die kluge Hausfrau, die ihre Kinder und ihren Mann – da ist er ja noch nicht an der Front – glücklich und dabei die in dieser Zeit so arg strapazierten Nerven durch eine nötige Fetthülle widerstandsfähiger machen soll:
„Abgesehen davon, daß vollschlank verständlicher Weise wieder in Mode gekommen ist, sollte jede gute Hausfrau bei der Zubereitung der Speisen weniger auf die schlanke Linie als auf eine aufbauende, vollwertige Ernährung ihrer Familie acht haben, um den in heutiger Zeit so stark beanspruchten Nerven die nötige Fetthülle zu geben und sie widerstandsfähiger zu machen.“
Die nötige Fetthülle sollen die Nerven sicherlich auch im Hinblick auf das bekommen, was durch die Einsparungen am Herd finanziert werden soll: der Krieg. Doch die Sparsamkeit muss sich auch lohnen, gekocht werden soll nach Möglichkeit günstig und das geht durch Gezuckertes:
„Beliebt und geschätzt, sowohl vom Hausherren wie von den Kindern und dabei von gesundheitlich hohem Wert, sind die süßen Gerichte, die in den verschiedenen Abwandlungen als Hauptmahlzeit für fleischlose Tage besonders geeignet sind. Ihnen gilt das vorliegende Kochbuch.“
Mit Zuckerbrot als Peitsche gegen den Fleischkonsum, mit Eintöpfen, Mehlschwitze und Süßspeisen aber auch gegen das aufwändige Abendessen, das in seiner althergebrachten Form Lücken in die Haushaltskasse reißt:
„Schließlich wird beim Durchlesen der reichhaltigen Rezepte auffallen, wie viele sich zum warmen Abendgericht eignen. Der Abendtisch ist seit jeher ein Sorgenkind der Hausfrau, denn nichts reißt solche Lücken in das Haushaltsgeld wie kaltes Abendessen mit Brot, Butter, Aufschnitt, kalten Fisch, Käse usw. Süße Suppen und Kinderspeisen beschließen diese Rezeptsammlung, die ihren Platz in jeder deutschen Küche haben sollte. Selbstverständliche Voraussetzung des vorliegenden Kochbuches ist: Gebrauch deutscher Lebensmittel. [...] Dadurch ist diese Rezeptsammlung im besten Sinne des Wortes ein zeitgemäßes deutsches Kochbuch.“
Gefüllter Gänsehals, Eintopfgerichte und Kochen für den Luftschutzbunker
Schon kurz nach der Machtergreifung war den nun regierenden Nationalsozialisten klar, dass sie ohne Fleischimporte den Fleischkonsum im Reich drosseln mussten, da die Produktion im Inland die Nachfrage allein nicht würde bewältigen können. Zum anderen sollte im Hinblick auf die militärische Aufrüstung sparsam mit Devisen umgegangen werden. So sollte auf Nahrungsmittelimporte insgesamt verzichtet werden. Zwar sind die hier verwendeten Zitate lediglich einer Einleitung für ein schmales Kochbuch entnommen, zugleich aber dienen sie wie eine Blaupause für die Aufbau des Volkskörpers vom Herd aus betrachtet.
Vergleicht man diese Passagen mit der in Zusammenarbeit mit dem Regime 1937 erschienen neuen Auflage des Dr. Oetker Schulkochbuches sowie der erweiterten und völlig überarbeiteten Auflage des seinerzeit sehr beliebten Kochbuchklassikers „Ich koche für dich“ von Liselotte Alverdes aus dem Jahr 1940, so wird schnell klar, dass hier wie unter einem Brennglas schon die Ziele der späteren volkswirtschaftlichen Ernährungspolitik formuliert sind. Die ideologischen Linien des Volkskörpers, der Volksgesundheit und der Volkswirtschaft kreuzten sich auf dem Teller und vorher im Kochtopf. Denn die durch Herbert Backe, seit 1933 Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, festgestellte Fettlücke sollte durch kluges Wirtschaften am Herd und Ersatzfettstoffe eingedämmt werden.
Dr. Oetker und Liselotte Alverdes
1927 erschien das Dr. Oetker Schulkochbuch in überarbeiteter Auflage erstmals mit Bildern. Schon jetzt war es das Standardwerk in Millionen von Haushalten sowie in Koch- und Hauswirtschaftsschulen. Die Auflage von 1937 ging erstmals auf Nationalsozialistische Ideologie ein und riet der deutschen Hausfrau bei der „Aufstellung des Küchenzettels“:
„Man beweise Verständnis für die Maßnahmen der Regierung im Kampf um die deutsche Nahrungsfreiheit und bevorzuge bodenständige Erzeugnisse.“
Schon 1937 wird per Kochanweisung an den Krieg am Kochtopf gedacht, denn auch hier werden Eintöpfe, fleischlose Gerichte, Mehlschwitzen, Süßspeisen, Sparsamkeit und Resteverwertung hervorgehoben.
Noch auffälliger ist diese Entwicklung im Kochbuchklassiker von Liselotte Alverdes. Betrachtet wir also einen Moment die Jubiläumsausgabe von 1940: Liselotte Alverdes: Ich koche für dich. Über tausend erprobte und sparsame Koch- und Backrezepte für das deutsche Haus. Erweiterte, vollkommen neu bearbeitete Jubiläumsausgabe. Berlin 1940
Adressatin des Buches ist die junge Hausfrau, der man, ganz im Sinne des autoritären Volkskörpers durch Gesetze die Angst vor dem Unbekannten nimmt:
„Nur keine Angst, liebe, junge Hausfrau! Auch hierfür gibt es Regeln, die Gesetze sind.“
Damit sind die Adressatinnen beschrieben. Außerdem sollen sie mit Liebe – die kostet nichts – und Umsicht – die muss man lernen – kochen. Das Kochen fällt unter die weiblichen Pflichten im Hause. Das Tranchieren am Tisch überlässt man, nach alter Sitte – immerhin erlegte er die Tiere mit dem Speer und briet die Stücke über offenem Feuer – dem Mann. Zu diesem Zwecke lege die umsichtige Hausfrau ihm aber gutes Werkzeug zur Hand. Neu in dem Buch im Unterschied zur Originalausgabe sind die umfassenden Einträge zu Suppen, insbesondere zu Eintöpfen. Außerdem wird hier auf deutsche Zutaten für das deutsche Haus geachtet.
Die moderne Hausfrau im Nazihaushalt verplempert keine Zeit. Die Kochvorschriften achten auf Effizienz. Maggi verwendet man selbstverständlich, kann aber auch Brühen mit Knochen ansetzen und die Erbsensuppe mit Schweineohren, oder Schweinekinn, denn wenn man schon Fleisch hat, dann soll man auch alles vom Tier verwerten.
Man achtet auf Hülsenfrüchte, aber auch hier auf den Einsatz von Süßspeisen. Kaltschalen werden gerne mit Apfelwein zubereitet, dienen also nicht als Nachtisch für Kinder, sondern als nahrhafte Erfrischung für Erwachsene. Brotsuppe wird süß und herzhaft zubereitet, so kann man Reste verwerten und auf Fleisch verzichten. Mehlsuppe wird gerne mit einem Ei abgezogen.
Teilweise liest sich diese Ausgabe wie ein Jungbrunnen für moderne Trendköstler. Hier werden Brennnesseln zubereitet, die Verwendung von Kräutern propagiert und selbstverständlich werden Bratlinge aus Linsen zubereitet. Dies alles dient der Anleitung der deutschen Frauen, auch in kargen Kriegszeiten ein schmackhaftes Mahl mit Maggi-Würze und brauner Soße zubereiten zu können. Holundersuppe wird hier ebenso zubereitet, wie Apfel-, Birnen-, oder Hagebuttensuppe. Es wird ein Hochlied auf die Gemüse gesungen, unter denen der Spargel König ist. Auch wenn die holzigen Teile des Spargels „rücksichtslos“ entfernt werden müssen, so wird darauf geachtet, dass das Spargelwasser wenn schon nicht gänzlich verwertet, so doch zur passenden Verfeinerung der Soße samt Mehlschwitze verwendet und also nicht vergeudet wird.
„Gemüse hält den Doktor fern“ die Überschrift, die wie ein verzerrtes reichsdeutsches Echo auf den Leitspruch von der Insel „An Apple a day keeps the doctor away“, leitet die junge deutsche Frau an, Gemüse, Gemüse und nochmals Gemüse auf den Tisch zu bringen. Schließlich könne man in deutschen Landen durch bewusste Lagerung jeden Tag Gemüse auf den Tisch zaubern.
Die Kartoffeln werden in allen erdenklichen Rezepten herangezogen und wenn möglich als Pellkartoffeln zubereitet, so beugt man ganz insgeheim schon der Verschwendung durch zu grobes Schälen der rohen Kartoffeln vor. Außerdem fällt auf, dass die Küche zunehmend deutsch spricht, lediglich den gebackenen Kartoffeln wird in Klammern noch eine französische Bezeichnung (Pommes frites) zugestanden. Alsdann das Arsenal an Kartoffel-, Hefe-, Brot und Obstklößen, bevor man die Abteilung der Nudeln aufmacht. Bei Nudeln „rechnet man pro Person ein Ei, doch reichen bei vier Personen auch deren drei.“
„Das Eintopfgericht, die Mahlzeit der Volksgemeinschaft“
Hierbei handelt es sich um ein völlig neues Kapitel in dieser erweiterten Jubiläumsausgabe. Eintopf, nach Auskunft der Redaktion des Dudens erst im Jahre 1 nach der Machtergreifung 1934 in den Duden aufgenommen, ist das kulinarische Leitbild der Bewegung: sparsam, alles kann hier Verwendung finden und gern können Massen aus der Gulaschkanone verköstigt werden. So hat man auch ein Auge darauf, dass an den gemeinsam begangenen Eintopfsonntagen das für den (nicht verzehrten) Sonntagsbraten Gesparte zu Gunsten des nationalsozialistischen Winterhilfswerks gespendet wird: Esse den Eintopf und bezahle den Braten. Zugleich überlebt im von den Nationalsozialisten gepriesenen Eintopf die Zubereitung jüdischer Tradition. Während man die Juden entrechtet, ausgrenzt und ermordet, löffelt nun eine Volksgemeinschaft der Mörder die für den Sabbat traditionelle Zubereitung.
Doch noch etwas anderes zeigt dieser kurze Blick in die Kochvorschriften des Dritten Reiches: Aus der Not wird nicht nur eine Tugend gemacht, den Mangel zu beherrschen, sondern zugleich soll die Sparsamkeit am Herd nicht nur bei akutem Mangel zum Wohl der Volksgemeinschaft genossen werden. Wer beim Essen prasst, versündigt sich. Vielleicht ein Grund, weshalb wir auch heute noch mit Genuss zu Margarine und Dominosteinen greifen. Im Discounter versteht sich.
Die praktische Herangehensweise aus einer skizzierten Not eine Tugend werden zu lassen und den Verzicht im Hinblick auf hochwertige Zutaten oder Zubereitungsarten zu genießen, stimmt hier natürlich nicht nur zufällig mit den langfristigen Absichten des Regimes überein. Sie fällt zudem auf fruchtbaren Boden. Dazu hatten nicht nur die Hungererfahrungen des Ersten Weltkrieges geführt, sondern noch ein paar weitere Umstände, die wir im nächsten Beitrag der Tartuffel-Reihe „Schlachtbankett“ analysieren werden.