Lincoln
Steven Spielbergs Film „Lincoln“ setzt sehenswert aufs Wort
Täuschen wir uns nicht. Nein! Spielberg möchte uns nicht täuschen. Schon in der ersten Szene seines unerhört imposanten Films „Lincoln“ zeigt er, was er schon im „Soldat James Ryan“ so meisterhaft verstand: uns direkt ins Kriegsgeschehen eintauchen zu lassen und uns vergessen machen, dass wir doch nur in einem Kinosaal sitzen. Dieses Mal sind wir mitten im morastigen Kampfgetümmel und man fragt sich, wie ein einzelner Soldat dies überleben kann. Mit Glück und nicht ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen, zeigen die Bilder. Doch dann ein Schnitt.
Die Schlacht auf dem Feld ist vorbei und schon sind wir beim Wort. Es wird diesen Film beherrschen und darum verharrt der Film auch in dieser Szene so lange. Man soll merken, dass wir hier einem Präsidenten lauschen, der die Worte nicht nur geschliffen und wohl proportioniert zu setzen versteht, er ist auch geübt in der hohen Kunst, die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu sprechen und dies gerade dann, wenn er die Sprache seiner Gesprächspartner nicht unbedingt gewohnt ist. Doch dieser Präsident ist anders. Er sitzt nach der Schlacht am Feld, redet mit seinen Soldaten, wenn diese es wünschen. Er hat ein offenes Ohr und einen guten Rat. Lincoln spricht zu seinen Männern, einerlei welche Hautfarbe sie haben, denn er vermag es, ihre Probleme zu verstehen und ihnen in ihrer Sprache Mut zuzusprechen. Und das Wunder des Wortes gelingt: Selbst nach der Schlacht versteht es dieser Präsident, seine Soldaten mit dem Wort zu erreichen. Sie glauben an ihn.
Deklination des Wortes
Vielleicht haben wir es bei Lincoln mit dem ersten Alterswerk Spielbergs zu tun. Einiges deutet unzweideutig darauf hin. Der Film handelt nicht die Biografie Lincolns ab, sondern beschränkt sich auf die Ereignisse der letzten Lebensmonate des Präsidenten. Dabei tauchen – ohne das sie zwingend zur Handlung gehören müssten, die bekannten Spielbergschen Termini auf: Der Mann und die Krise des Familienlebens („Krieg der Welten“), der Vater, der stets zu wenig Zeit für seine Kinder hat („Hook“). Und – wie schon zuvor in „München“ – der Ehemann, der zur Politik der Waffen greift, um seine Familie zu schützen. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass ebenso wie in „München“ in „Lincoln“ ein wichtiger Dialog in einer Küche gesprochen wird. Um so erstaunlicher, da in diesem Film – gegen die Kälte, gegen den Krieg, gegen die Nässe, gegen die schlechten Gedanken – nicht gegessen, sondern lediglich getrunken wird, doch greifen wir nicht vor.
Überraschend und bei näherer Betrachtung überraschend reif ist die Vorherrschaft des Wortes in „Lincoln“. Wie schon in „Schindlers Liste“ verzichtet Spielberg weitgehend auf Spezialeffekte und lässt dem Wort den größtmöglichen Entfaltungsraum. In „Lincoln“ wird so viel Wert auf das gesprochene Wort gelegt, dass man sagen kann, das Wort und seine Wirkung strukturieren den gesamten Film – mit Ausnahme der Kriegsszenen, in welchen das Wort nicht zur Sprache kommt. Erst nach Beendigung des Krieges - und vorher in geheimen Unterhandlungen - richten die ehemals gegnerischen Parteien das Wort aneinander. Sprachlosigkeit, das zeigt der Film in atemberaubender Weise, führt zu Missverständnissen, zum Krieg oder zum Erheben der Hand des Vaters gegen den eigenen Sohn, der darauf das Zuhause wortlos verlässt, um sich als Freiwilliger zu melden. Dies sind im privaten wie im öffentlichen Raum die Grenzen, die das Wort nur beschreiben, nicht aber übertreten kann.
Im Laufe des gesamten Films wird eine Deklination der Möglichkeiten des Wortes durchgespielt. Das Wort des Vaters an das Kind, das Wort des Vaters an den erwachsenen Sohn, das Wortgefecht unter Eheleuten, das Wortgefecht der Politik, das Wortspiel der Verhandlungen, die Hoffnungen auf das Wort, die List des Wortes, um die Korruption, zu der es anstiftet gleichzeitig zu verschleiern, die Spitzfindigkeit des Juristen bei der Wortwahl und schließlich das Wort als Erschaffer von Realitäten.
Und hier sind wir beim eigentlichen Thema des Films. Ihn beschäftigt die Frage, ob der Krieg noch länger geführt werden darf, noch mehr Opfer gebracht werden müssen, um die Sklaven zu befreien oder nicht. Es ist der Zwiespalt, der den amerikanischen Präsidenten zu Beginn seiner zweiten Amtszeit beschäftigt. Wenn er den Bürgerkrieg schnell beendet, kann er das Leben vieler Soldaten retten, aber würden dann nicht die heutigen Sklaven und sicherlich auch ihre Nachkommen weiterhin in Sklaverei leben? Lincoln geht es darum, den Krieg gegen die Südstaaten zu gewinnen, aber ihn noch genügend lange zu führen, um den „13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten“ im Kongress verabschieden zu lassen.
Ansporn für Lincoln ist die philosophische Frage, ob er als Präsident, der für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen hat, berechtigt ist, sich für neue Gesetze einzusetzen. Entschieden wird diese Frage auf dem Feld der Politik und mit allen Mitteln des Wortes. Denn die Verabschiedung des angestrebten Zusatzartikels durch den Kongress gilt lange Zeit als unwahrscheinlich, da ihn die Demokraten rundweg ablehnen und Lincolns Republikaner alleine nicht über die notwenige Mehrheit verfügen. Also müssen Demokraten davon überzeugt werden, für die Befreiung der Sklaven zu stimmen. Der Erreichung dieses Ziels dient nicht nur die Verlängerung des Bürgerkrieges sondern nun auch die Bestechung gezielt ausgesuchter Demokraten.
Ein Film, besser als jedes Bühnenstück
Nun zieht der Film alle Register, die ihm das gesprochene Wort bietet. Geheime und verbotene Verhandlungen. Unterhändler die hingehalten werden, rhetorische Auseinandersetzungen, grobschlächtige Beleidigungen, liebvolle zarte Worte, Verleumdungen und Beschimpfungen, gewürzt durch stets gehaltvolle Geschichten, die der Präsident erzählt, um eine schier aussichtslose Position durch einen frischen Geist zu beseelen und damit zu verändern.
Doch die vielleicht wichtigste Unterredung findet in der Küche des Weißen Hauses zwischen keinem Geringeren als dem Präsidenten Abraham Lincoln (Oscarreif: Daniel Day Lewis) mit dem Vorsitzenden des damals schon sehr einflussreichen Committee on Ways and Means Thaddeus Stevens (ebenfalls hervorragend: Tommy Lee Jones) statt. Stevens setzte sich schon frühzeitig für die Befreiung der Sklaven ein und als er davon erfährt, dass nun der Präsident ebenfalls alles daran setzt, die Verfassung zu ändern, um die Sklaven zu befreien, treffen sich die beiden Männer in den – normalerweise den Bediensteten vorbehaltenen – Räumen der Küche downstairs, um Geschichte zu schreiben.
Wo sonst könnte man sich auch so ungestört und zugleich so vertraut und vertraulich miteinander unterhalten, als hier, dem Herzstück des Hauses, der Küche? Das Dekor der Küche dient dazu, das Gelage in den oberen Räumlichkeiten zu illustrieren und die familiären Bande, die zwischen diesen beiden Politikern entstehen, zu illustrieren. Nach dem Gespräch wird der Präsident einen ebenso einflussreichen wie wortgewaltigen Fürsprecher haben, und sie werden gemeinsam dem 13. Zusatzartikel zu einer knappen Mehrheit im Kongress verhelfen, allen Widerständen zum Trotz.
Auch hier setzt der Film auf Mittel des Kammerspiels, ist jedoch durch perfekte filmische Mittel so nah an den Gesten der durch die Bank grandiosen Schauspieler, dass man fast vergisst einen Kinofilm zu sehen. Lincoln ist so betrachtet ein Film, besser als jedes Bühnenstück.
Dazu trägt nicht zuletzt die unaufdringliche aber stets gegenwärtige Musik von John Williams bei, dem Spielberg seit 1987 ausschließlich die Musik seiner Filme überlässt. Williams bringt das Kunststück fertig, dem Film nur soviel musikalisches Pathos angedeihen zu lassen, dass er davon nicht erdrückt wird, sondern auch in diesen Phasen die Handlung unterstützt und nach vorne getrieben wird. Denn dies ist ein grundlegendes Motiv auch dieses Spielberg Films: die Handlung wird immer weiter getragen. Es gibt kaum Zeit, weder für die Akteure, noch Verschnaufpausen für die Zuschauer.
Das Attentat im Theater
Dabei vertraut der Film bis in die bekanntesten Passagen der Geschichte hinein dem Wort. So sehen wir im Film nicht, wie auf den Präsidenten im Theater geschossen wird. Vielmehr wird das Attentat in einem Theater dem überraschten und zugleich entsetzten Publikum von der Bühne weg erzählt und in diesem Moment, als die Worte wie eine Pistolenkugel auf den jüngsten Sohn des Präsidenten treffen, merken wir unwillkürlich, welche Macht im gesprochenen Wort stecken kann.
Das Wort kann Kriege und die Sklaverei beenden, aber es vermag darüber hinaus noch wesentlich mehr, denn mit seinem Rekurs auf die Geschichte deutet der Film auf die heutigen Gegenwart und damit auf die heute gestaltbare Zukunft, welche aufs Spiel gesetzt wird, wenn man das Wort und seine Bedeutung durch unentwegtes Gerede – sei es auf dem Feld der Politik oder auf einem anderen der gesellschaftlichen Konstitution: Wirtschaft, Schule, Familie – abzuschaffen beginnt.
Man darf gespannt sein, ob Tony Kushner der Mann, der das Drehbuch geschrieben hat einen Oscar erhält, oder der Mann, der in diesem Film die Regie übernommen hat.
Für Sie gesehen
Website von „Lincoln“
Ab 24. Januar 2013 im Kino.