Kevin Fehling: Prodigy
Kevin Fehling legt sein erstes Kochbuch vor
Im Norden, fügte Redzepi in seiner entwaffnend charmanten Art hinzu, gebe es viele wunderbare Köche. Aber dieser sei unter den guten noch einmal besonders. Allerdings sei dies kein Wunder, immerhin sei Fehling Jahrgang 1977. Ein Jahr, so Redzepi bei der Vorstellung seines Kollegen weiter, welches vor allem sehr gute Weine und geniale Köche hervorgebracht habe. Unnötig in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass René Redzepi 1977 geboren wurde?
Mit „Prodigy“ legt Kevin Fehling nun in Zusammenarbeit mit Thomas Ruhl sein erstes Kochbuch vor. Wer bei dem Titel an die Musik der gleichnamigen britischen Band denkt, folgt einer falschen Assoziation. Wenn auch „The Prodigy“ zu den Lieblingsbands von Deutschlands jüngstem 3-Sterne-Koch gehört, haben die filigranen, teilweise schwebenden Kreationen wenig gemein mit Heavy Sound Titeln wie „Smack my bitch up“.
Natürlich ist mit dem Titel das „Wunderkind“ gemeint, denn wenn man zum dritten Mal den 3. Stern verliehen bekommt und nicht einmal 40 Jahre alt ist, dann ist man ein kulinarisches Wunderkind, gelten doch gerade Köche der Spitzengastronomie gemeinhin erst jenseits der 40 als ausgewachsen, reif und erfahren. Oft brauchen diese Köche jahrelange Betätigung bei Vorbildern, bevor sie den Schritt wagen, selbst Küchenchef zu werden. Kevin Fehling absolvierte diese Tour mit bemerkenswerter Zielstrebigkeit und Schnelligkeit. Gezielt suchte er sich Sterneköche als Meister, die unterschiedliche Philosophien verfolgten.
Nirgendwo hielt es ihn länger als ein Jahr, dann hatte er die Methoden, Ideen und Ansätze seines jeweiligen Arbeitsplatzes verinnerlicht. Nach Beendigung seiner Lehre im Jahr 1998 zog es ihn zu Bernhard Stumpf ins Parkhotel Bremen, prägende Jahre als First Cook im italienischen Fine Dining Restaurant auf der MS Europa und im Anschluss zwei entscheidende Anstellungen zum einen bei Wahabi Nouri in Hamburg und bei Harald Wohlfahrt in Baiersbronn folgten.
Lernte Fehling im Hamburger „Piment“ die Grenzen seiner Kreativität auszutesten, so vermittelte ihm die Arbeit in der „Schwarzwaldstube“ die festen Regeln der Kochkunst. Fehlings kreative Ader erhielt hier ihr erdendes Metronom. 2004 zog es ihn wieder in den Norden der Republik. Zunächst kochte er im Lübecker Restaurant „Wullenwever“. 2005 ergab sich die Möglichkeit, im „La Belle Epoque“ als Küchenchef anzuheuern.
Sternekoch
Spannender als die nun folgende Geschichte des rasanten Aufstiegs zum Sternekoch ist die Geschichte, welche dieser vorausging: Kevin Fehling war in Travemünde angetreten, um möglichst schnell einen Stern zu erkochen. Als er bei der Bewertung des Guide Michelin 2006 leer ausging, stellte ihn das vor eine innerliche Zerreißprobe. Hatte er ein Jahr verloren? Hatte er sich selber einfach nur vorgemacht, er könne auf Sterneniveau kochen? Bei allen Zweifeln stellte er sein Ziel nicht in Frage, sondern reflektierte seine Arbeit und die verschiedenen Abläufe und Techniken in der Küche. Er motivierte sein Team mit ihm zusammen mehr Aufwand in allen Bereichen zu betreiben und das ist sicherlich eine Leistung, die diesen jungen Mann auszeichnet: Er kann nicht nur kreativ sein, sondern vor allen Dingen mitreißen und vor Energie sprühen. Mit dieser Einstellung kam der ersehnte Sterneerfolg, der zweifellos die Grundlage für das kreative und kulinarische Selbstvertrauen legte.
Die Vergabe des zweiten Sterns im Jahr 2011 änderte seine Denkrichtung. Wenn er seinen Weg fortsetzen wollte, um irgendwann einmal den dritten Stern zu bekommen, musste er nicht mehr an seiner und der Motivation seiner Mitarbeiter arbeiten, nicht noch mehr tun, sondern das, was er tat, anders bewerkstelligen. Er musste seine Arbeiten neu überdenken. Das Fundament für einen großen Kreativitätsschub war gelegt. Jetzt ging es darum, seine Arbeiten zu reduzieren, um der Perfektion seiner Gerichte einen Schritt näher zu kommen.
Zugleich bot sich durch diesen Schritt die Möglichkeit, die Persönlichkeit seiner Gerichte stärker zu betonen, seine Handschrift deutlicher werden zu lassen. 2013 wurde das Restaurant „Belle Epoque“ unter der Leitung von Kevin Fehling mit dem dritten Stern ausgezeichnet. Jüngst hat er diese Auszeichnung nun zum dritten Mal verliehen bekommen. Damit ist er der jüngste Sternekoch des Landes und führt das nördlichste Restaurant, welches vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Seine Küche verfügt über Persönlichkeit und Eleganz, man darf gespannt sein, wie sie sich in den kommenden Jahren entwickeln wird.
Prodigy
Um es gleich vorweg zu sagen: dies ist kein Kochbuch für Kochanfänger, auch keines für Leute, die streng nach Rezepten kochen, denn die Angaben lassen stets genügend Raum für eigene Zubereitungs- und Fertigstellungsvarianten, regen so also zu eigenem Nachdenken und zu praktischer Kreativität an. Doch was hier an Rezepten versammelt ist, bietet einen wunderbaren Überblick über das Arbeitsspektrum von Kevin Fehling, wobei auch seine bekannteren Gerichte wie Kassler und Auster nicht ausgespart werden.
Schon das Inhaltsverzeichnis weist den Weg in neue Zusammenhänge. Hier werden die Symbole der Sterne verwendet, um aufzuzeigen, dass man durch die Lektüre wenn nicht in die Sterneküche, so aber in einen nahezu schwerlosen Zustand entrückt. Denn die Kompositionen und Dekonstruktionen, die in diesem gewichtigen Band bildlich nahezu schwebend in Szene gesetzt sind, regen dazu an, klassische Kochanwendungen neu zu überdenken. Warum sollte man nicht einmal Remoulade, ein klassischer Begleiter von Backfisch, als Geschmacksakkord zu einem Jakobsmuschel-Carpaccio verwenden? Dies geht natürlich nur, wenn man die Sauce-Remoulade entschärft und trotz der klassischen Zutaten geschmacklich fein und kontrastreich zugleich zubereitet, so dass sie die feine Jakobsmuschel nicht mit einem Essig-Gurkengeschmack komplett übertüncht und dies ist lediglich eine kleine, leichte Spielerei von vielen, die in diesem versammelt sind.
Neue Wege
Das Buch ist als Bestandsaufnahme und Zwischenfazit zu sehen, ganz wie es der Titel bei näherer Betrachtung des Inhalts nahe legt. Zugleich verweist der Titel darauf, dass dieses „Wunder“ auf beständig konzentrierter Arbeit und einem hohen Maß an reflektierter Kreativität beruht. Und wer Kevin Fehling kennen gelernt hat, der freut sich einfach darüber, dass dieser sympathische junge Mann seine Ideen weiterhin beständig ausbauen kann. Denn das Buch zeigt das breite Fundament seiner Ideen und die fein gearbeiteten Signaturen, die neben der Disziplin bei der Arbeit zugleich ein intuitives Verständnis von hoher Kochkunst bezeugen. Ganz wie es Fehling selber sagt:
„Vielleicht denken wir über sich verändernde kulinarische Gesamtzusammenhänge in einer Weise nach, die in ihrer Art neu ist, also bahnen wir, wenn es gelingt, auch neue Wege.“ Fehling weckt mit seiner in diesem Buch versammelten Kochkunst nicht nur große Emotionen, er vermittelt sie zugleich.
Für Sie gelesen
Kevin Fehling: Prodigy. Fackelträger Verlag Köln 2014, 312 S. geb., 69,-€
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Phänomene: Die gefundenen Bilder
Charaktere: Der Tartuffelfragebogen: Kevin Fehling
Bücher: Sven Elverfeld
Zutaten: Idee
Köpfe: Thomas Ruhl