Kälberzähne sind Geschichte
Meine Oma bereitete einen Eintopf zu, der immer noch nachwirkt. Er ähnelte dem im Buch zu sehenden Pichelsteiner. Sie nahm aber, was gerade im Garten wuchs und auf dem Bauernhof, in dem ich aufwuchs, war immer etwas da. Zu jeder Jahreszeit. Oma Witt hat den Witt`schen Eintopf in meinen kulinarischen Erinnerungen verankert. Übrigens heute sind bei mir die Graupen nicht mehr die Kälberzähne von früher, in denen der Löffel stehen blieb. Sie sind feiner, zwar Hauptzutat, müssen aber Kartoffeln, Sellerie und Möhren Raum geben. Sie dürfen nicht zu lange gegart werden, sondern sollen, wie die Gemüse noch Biss haben - nur die damaligen Kälberzähne musste man weichkochen, damit die verschreckten Kinder sie, wenn auch wiederwillig essen konnten. Aber das ist Geschichte. So aber ist der zweite Teller weniger Pflicht als Verlängerung des kulinarischen Genusses.
Darf ich schreiben, dass auf der dritten Seite dieses Buches sieben nette Mädels abgebildet sind? Der Vorstand der Uplengener Landfrauen. Aber ja doch.. Und wo liegt Uplengen? Na klar, im Landkreis Leer in Ostfriesland. Und zu diesem Landkreis gehört auch Borkum. Aha, daher!
Das Buch beginnt mit den aufmunternden Worten: So gelingt es...
Hier werden wichtige Tipps gegeben, welche Kartoffeln zum angestrebten Genuss führen. Oder ob Suppe richtig kochen darf. Nein, nur simmern. Also schon wieder Hunsrück – für ortsunkundige Kulinariker: Simmern ist nicht nur ein Küchenfachbegriff, sondern auch eine Stadt im Hunsrück. Wann werden Kräuter der Suppe zugefügt und wie lange muss Fleisch garen und wie ist das mit dem Einfrieren? Die Zutaten sind bei jedem Gericht klar gegliedert. Die dazu gehörenden Bilder sind so gut, dass meine Brille fast beschlägt. Beim servierten Eintopf tut sie das ohnehin. Ich rieche diesen wunderbaren Duft der Mitternachtssuppe mit weißen Bohnen, wenn ich das zum Rezept gehörende Bild betrachte. Ich schwärme für die Mitternachtssuppe, die aus dem Chinafondue entsteht. An Neujahr kurz nach null Uhr mit legiertem Ei genossen, lässt sie möglichen Kater am Morgen gar nicht erst aufkommen. In unserer Familie gibt es die noch nirgendwo veröffentliche Krankennudelsuppe. Sie besteht aus Hörnchennudeln, die in Gemüsebrühe gegart werden. In der Suppenschüssel wird den Nudeln ein respektables Stück Butter zugefügt, ein Ei verquirlt und dann wird alles mit der Brühe aufgefüllt. Selbstverständlich kann auch Hühnerbrühe als Kochmedium verwendet werden. Meistens sind alle Wehwehchen nach dem Genuss vergessen. Vielleicht findet diese einfache Rezept ja noch Eingang in die, mit Sicherheit nötigen, Neuauflage des Buches. Bei diesen Schwärmereien, wäre um kurz vor 23 Uhr heute eine Ostfriesische Kartoffelsuppe, wie im Buch beschrieben, gerade richtig, denn der Genuss einen leckeren Eintopfes ist für mich nicht an eine Uhrzeit gebunden und das seit Urzeiten. Ich stelle das Knabbern von Mandeln jetzt mal ein, das ist zu banal und spüle mit selbst gekelterten Rotwein die Krümel aus den (Kälber) Zähnen. Angesichts dieser tollen Rezepte denke ich mir: „Gibts nicht doch noch was Eingefrorenes im Fach, auch zu dieser späten Stunde?“ Es gab. Eine Portion Wirsingeintopf mit Mettwurststückchen. Genial und hoffentlich figurneutral.
Fazit
Ab in den Garten, dort wachsen die Zungenschmeichler, allerdings keine Mettwürstchen. Aber ok, erst morgen früh. Und heute noch: Ab in die Bücherei und das Buch bestellen oder sofort kaufen und mitnehmen. Es ziert jede Küche, sofern man die Rezepte auch nachkocht. Nur für das Regal zu schade.
Übrigens der Bürgermeister von Uplengen heißt Heinz Trauernicht. Bei solchen Rezepten und den insgesamt 27 Köchinnen, ist der Name Programm. Vielleicht findet Heinz ja auch mal einen Koch der sich traut, in der Eintopfküche zu zaubern. Die Zeit dazu ist reif. Ich würde sofort loslegen.
Tartuffel empfiehlt:
Deftige Eintöpfe & Suppen von unseren Landfrauen. 116 S. geb., LV Münster 2019, 18,00€