Interview Joachim Wissler
Joachim Wissler „Koch der Köche“ im Tartuffel-Interview
Tartuffel: Herr Wissler, sie haben alle erdenklichen Auszeichnungen bekommen. Drei Sterne im Michelin, 19,5 Punkte im Gault-Millau, dazu sind Sie aus dem Kreis der Besten ihrer Kollegen als „Koch der Köche“ als Primus inter Pares gewählt worden. Befinden Sie sich als Koch nicht in einem Bereich, der mehr mit der Kunst als mit dem Handwerk zu tun hat?
Joachim Wissler: Ganz klar gilt für mich: Als Koch fühle ich mich als Handwerker, aber lassen Sie es mich auf diese Weise ausdrücken. Ich bin ein Koch, der das Glück hat, sein Handwerk kunstvoll ausführen zu dürfen. Ich fühle mich nicht als Künstler, sondern bin stolz auf mein Handwerk, dazu gehört für mich, dass ich die Bodenhaftung nicht verlieren möchte. Ich verstehe mich als akribischer Arbeiter, der gerne viele neue Ideen ausprobiert und versucht innovativ zu sein. Wenn man möchte, dann kann man das, was ich mache, schon als kunstvoll beschreiben.
Sehen Sie, ein Koch hat viele Möglichkeiten etwa wenn es darum geht, ein Wiener Schnitzel zuzubereiten. Natürlich kann man es ideenlos zubereiten, man kann seinen Beruf so verstehen und dann sieht das Wiener Schnitzel so aus, wie man es für gewöhnlich kennt. Man kann aber auch mit eigenen Ideen an die Sache gehen und einen solchen alltäglichen Klassiker auf der Grundlage perfekten Handwerks neu und ästhetisch ansprechend präsentieren. Dann bekommt das scheinbar gewöhnliche Schnitzel den Hauch von Kunst.
In der Spitzengastronomie ist der Faktor Kunst, ich sag jetzt mal eine Begleiterscheinung. Denn das Essen, das man in der Spitzengastronomie zubereitet, hat ein breites Spektrum an Botschaften: seien sie visuell oder sensorisch. Sei es über die Schlichtheit, mit der man einen Teller präsentieren kann, seien es die Kindheitserinnerungen, auf die man anspielt, oder seien es einfach geschmackliche Botschaften, in denen man mit Essgewohnheiten spielen und diese anders zur Geltung bringen kann.
Tartuffel: Welche Botschaften möchten Sie mit Ihren Tellern vermitteln?
Joachim Wissler: Bei uns im Vendôme werden in jedem Jahr vier Menüs neu aufgelegt. Jedes dieser Menüs umfasst bis zu 16 kleine Gerichte. Jedes dieser Gerichte hat eine gewisse Botschaft, eine eigene Thematik. Hier kann man die Kindheitserinnerungen der Gäste antippen oder man kann sich Gedanken über die Esskultur machen. Normalerweise kochen wir ja nach Kategorien. Wie aber ist es wenn man zwei Kulturen an einem Punkt, an dem sie unvereinbar erscheinen miteinander in Verbindung bringt?
Denken Sie an die Küche und die Gewürze des Maghreb. Sie haben sofort eine spezielle Vorstellung von den Düften und Gerüchen, vielleicht haben Sie sogar verschiedene typische Gerichte im Kopf. Behalten Sie den Gedanken dieser speziellen Gewürze im Sinn und dann denken Sie an eine Zubereitung mit Schwein. Die Gewürze der maghrebinischen Küche harmonieren hervorragend mit Schwein, werden aber in dem islamischen Land selbstverständlich nicht mit diesem Produkt zusammen gebracht. Hier besteht für mich eine Herausforderung darin, meinen Gästen eine solche Zubereitungsart in meiner Interpretation zu liefern. Das ist eine spannende Sache, um nur einen Aspekt beispielhaft zu erläutern.
Eine weitere Botschaft läuft über die Jahreszeiten. Daher wechseln wir unsere Menüs mit den Jahreszeiten und mit den saisonal verfügbaren Produkten. Natürlich lautet unsere Botschaft im Frühjahr nicht einfach Frühling oder im Herbst nicht einfach Herbst. Dennoch orientiert sich ein solches Menüs an den saisonalen Gegebenheiten wie auch an den wechselnden Ansprüchen. Im Herbst dürfen manche Dinge etwas rustikaler zubereitet werden als im Frühling, wo man eher auf eine leichte Zubereitung Wert legt. Natürlich spielen hier auch die Farben eine Rolle. Im Frühling werden sie mehr frische, leichte Farben auf den Tellern finden, während im Herbst andere Farben dominieren. Denken sie an die Farben der Blätter des Waldes, nun darf alles etwas getragener sein, etwas kompakter.
Das sind Dinge, die immer in solchen Menüfolgen integriert sind. Aber es gibt jetzt nicht die Botschaft im Sinne eines Themenmenüs, vielmehr meine Vorstellung vom Essen in der jeweiligen Jahreszeit, die immer wieder neu angedacht, kritisch beäugt und dann auf den Punkt gebracht wird.
Bei jedem Menü das gemacht wird, betrachte ich kritisch die Teller und lasse sie auf mich wirken. Denn dann muss ich mich fragen, ist hier etwas zu viel oder ist dies genau der Schlüssel, der die Idee des Tellers zu seiner vollen Geltung bringt. Hier gilt auch der Leitsatz, dass ein Menü erst dann perfekt ist, wenn man nichts mehr weglassen kann. Also prüft man die Gerichte, die Menüabfolge immer wieder und verbessert und verändert sie von Jahr zu Jahr.
Hierbei gibt es viele Dinge, welche die Botschaft eines Menüs ausmachen, ohne dass man dies in einem Satz auszudrücken vermöchte. Aber dafür sind die Gerichte ja da, sie wollen genossen werden und sie wollen neue Assoziationen liefern.
Tartuffel: Was nehmen Sie alles mit, wenn Sie selber bei Kollegen zum Essen gehen?
Joachim Wissler: Ich würde es nicht als Studienreise bezeichnen, aber natürlich nehme ich viele Dinge mit, wenn ich bei Kollegen essen gehe.
Es ist auch immer wieder die Neugierde, zu sehen, was passiert in der kulinarischen Welt. Deshalb gehe ich da hin, wo es mich interessiert, um zu sehen, was macht der Kollege, den ich gerade besuche. Ohne hier für mich Leitfäden für meine Küche zu nehmen, aber man nimmt Dinge in sich auf und lässt sich beeinflussen.
Doch wichtiger sind die Verbindungen, diese länderübergreifenden Freundschaften unter Kollegen. Wenn wir ins Noma nach Kopenhagen fahren, dann freuen wir uns darüber mit René Redzeppi dem furiosen Koch des Noma einen Freund zu treffen, mit ihm zu sprechen und gemeinsam mit ihm eine anregende Zeit zu verbringen.
Tartuffel: Heute gibt es ein Jubiläum zu feiern. Das 10. Althoffs Festival der Meisterköche. Wie wichtig ist diese Veranstaltung für Sie?
Joachim Wissler: So eine Veranstaltung wie heute ist etwas ganz Besonders. Zum einen leisten wir eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur für unser Restaurant oder unser Hotel, sondern für die Kochkunst insgesamt. So etwas wie heute gibt es sonst das Jahr über eigentlich nirgendwo. Denn wann haben sie schon einmal die Gelegenheit, mit so vielen ausgezeichneten Köchen in Kontakt zu treten und ihre dargebotenen Gerichte zu probieren?
Viele Kollegen, viele verschiedene Gerichte, eben mal kein gesetztes Diner sondern ein offener Austausch, in dem die Kommunikation einen wesentlich Punkt ausmacht. Die Gäste unterhalten sich mit den Köchen, die Kollegen erhalten die Möglichkeit sich untereinander auszutauschen. In diesem Jahr haben wir neben vielen hervorragenden Köchen aus Deutschland mit Eric van Loo, Onno Kokmeijer und Jonnie Boer gleich mehrere Vertreter der hervorragenden Küche der Niederlande zu Gast. Mit Mark Jordan, Silvio Nickol, Thierry Thiercelin, Heiko Nieder und Akira Oshima sind noch weitere namhafte internationale Größen der Kochkunst vertreten. Insofern ist dies eine Veranstaltung, die schon, um es mal so auszudrücken, einen eigenen „Spirit“ hat und der wird gerne von unseren Gästen aufgenommen. Wann hat man sonst die Gelegenheit einem solchen Fest beizuwohnen?
Tartuffel: Da haben Sie Recht. Schon die Nennung der einzelnen Gerichte lässt Vorfreude aufkommen. Jonnie Boer kombiniert eine Muschel von Gänseleber auf einer Auster, Dieter Koschina präsentiert gefüllten Tintenfisch mit Blutwurst. Sie selbst offerieren Jakobsmuscheln mit Muskatkürbis und Ochsenbacke in Rieslingpfeffer.
Joachim Wissler: Und das ist ja erst der Anfang, freuen Sie sich auch auf die Gerichte der übrigen Kollegen, Sie werden sicherlich viele angenehme Überraschungen erleben.
Tartuffel: Sie sind nun schon seit Jahren überaus erfolgreich, haben, wenn man es so ausdrücken möchte, alles erlangt, wonach ein Koch in der Spitzengastronomie streben kann. Wie schaffen Sie es, sich nach so vielen Jahren erfolgreicher Arbeit immer wieder neu zu motivieren?
Joachim Wissler: Ein wichtiger Motor meiner Motivation besteht darin, dass ich immer noch wie ein junger Koch die Neugierde in mir habe. Neugierde und offene Augen. Mittlerweile aber auch eine menge Erfahrung, so dass ich nicht mehr alles ausprobieren muss, sondern nach dem strebe, was meine bisherige Arbeit weiter bringt.
Diese Neugierde weckt in mir auch eine Schaffenskraft, die bestrebt ist, Dinge zu verändern oder zu verbessern, ohne dass ich dabei stets das Rad neu erfinden müsste. Als Koch unterliegt man gewissen Zyklen. Wenn man erst einmal das handwerkliche Potential verinnerlicht hat, kann man mit geistiger Arbeit sein eigenes Schaffen zum Ausdruck bringen. Dies ist auch der Antrieb, es wie eine leichte Kunst wirken zu lassen. Wenn man als Koch diesen Zenit erreicht hat, dann bringt einen die tägliche Neugierde dazu, sich selber weiter anzutreiben und diesen Zenit lange zu durchschreiten.
Abgesehen von dieser Neugierde geht es darum, dass ich innerlich ausgeglichen bin, um meine Leistungen in gewollten Maße zu erbringen. Ich brauche eine innere Zufriedenheit, um mich auf die wesentlichen Punkte meines Schaffens konzentrieren zu können, aber auch, um offen sein zu können für neue Einflüsse.
Das Interview führte Nikolai Wojtko