Interaktionist - Bob Holmes: Geschmack
Bob Holmes klärt über Geschmack auf
Ist es geschmacklos, wenn man empfiehlt, einen Chateaux Margeaux 1982 in den Mixer zu schütten, um ihn dort einfach Mal für einige Sekunden hyperdekantieren – den Mixer also voll Lotte laufen - zu lassen? Wenige Empfehlungen haben die kulinarische Welt in den letzten Jahren so irritiert wie diese. Einen Wein durch den Mixer jagen, damit er atmet? Geschmacklos, sagen die einen, grandios die anderen. Doch beim Thema Geschmack geht es nicht darum, dass man Bestehendes einfach hinnimmt, Autoritäten nicht hinterfragt und nicht meint, dies sei ein Feld, über das sich nicht zu streiten lohnt.
Im Gegenteilt: Geschmack ist immer noch zu wenig erforscht. Bob Holmes, kanadischer Evolutionsbiologe, widmet sich in seinem neuen Buch dem Geschmack und legt eine „Gebrauchsanweisung für einen vernachlässigten Sinn“ vor. Dabei ist es verblüffend, dass wir diesen Sinn, der sicherlich über Jahrtausende der Zentrale für unser Überleben war, so lange Zeit vernachlässigt haben und wissenschaftlich bisher nur stiefmütterlich untersucht haben. Denn, so eine Folgerung des Buches, Geschmack ist der zentrale menschliche Sinn.
Analytischer und synthetischer Sinn
Der Geschmackssinn ist unstrittig vom Geruchssinn beeinflusst. Der Geruch von Karamell, Erdbeeren oder Vanille, lässt uns Dinge süßer wahrnehmen. Hinzu kommt das Mundgefühl. Denn Geschmack setzt sich – neben dem Sehen und dem Hören – auch aus dem Tasten zusammen. Uns ist das in der Regel nicht bewusst, da der Geschmack alle Sinne in sich vereinnahmt, sie synthetisiert und uns, wenn wir beispielsweise einen „Aromenakkord“ auf der Zunge wahrnehmen, glauben lässt, alles wäre lediglich Geschmack. Doch sobald wir über das Geschmackserlebnis nachdenken, es in Worte zergliedern, fällt auf, dass es sich auch aus unterschiedlichen Sinneseindrücken, bei denen auch die Temperatur und die Textur erfasst werden, zusammensetzt. Das uns allen bekannte „Brennen“ von Chilischoten auf der Zunge, ist im wahrsten Sinne des Wortes keine Metapher, sondern eine zutreffende Analogie, denn das Signal, welches über die Nerven ans Gehirn geleitet wird, stammt aus nervlichen Verbindungen, die für das Tasten verantwortlich sind. So wird dem Gehirn die Gefahr einer Verbrennung gemeldet, analog zu der Gefahr, wenn sich die Hand einer Hitzequelle, wie einer heißen Herdplatte, zu sehr nähert. Holmes kommt von daher zu dem Schluss, dass Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn die eigentliche Dreifaltigkeit der Geschmackswahrnehmung darstellen. Allerdings erweitert er das Vermögen des Geschmackssinns an verschiedenen Stellen seines Buches noch um die Bereiche des Hörens und des Sehens, wir haben im Geschmack also einen umfassenden Sinn, der die übrigen Sinneseindrücke zusammen wahrnehmen kann und sie gleichzeitig zu analysieren versteht.
Sound und Blumenthal
Charles Spence darf man sich als einen glücklichen Menschen vorstellen. Denn als gestandener Mann hat er sich einen Traum erfüllt und spielt nun professionell mit Essen. Der in Oxford lehrende Psychologe ist einer der weltweit führenden Experten für multisensorische Wahrnehmung. Im Bereich der Kulinaristik arbeitet er mit Köchen wie Heston Blumenthal oder Ferran Adrià zusammen, um herauszufinden, wie man den Geschmack auch am heimischen Herd verbessern kann. Spence kam eher zufällig zu seiner Spezifikation, denn zunächst forschte er wie seine Kollegen an den sogenannten höheren Sinnen, bevor er erkannte, wie zentral Essen und Geschmack für unser tägliches Leben sind. Dabei stellte er schnell fest, das der Geruch das wesentliche Element des Geschmacks ist. Der Geschmack von Erdbeeren mit Vanille beginnt in dem Moment in uns zu arbeiten, wenn wir den Geruch dieser Speise wahrnehmen. Ähnlich verhält es sich mit dem Geschmack von Karamell, der schon entsteht, wenn wir den Geruch wahrnehmen. Dabei ist die Süße, die wir durch Karamell riechen, nicht natürlich sondern kulturell vermittelt. Asiaten etwa nehmen nicht die Süße war, sondern eher den Umamigeschmack, da sie es gewohnt sind, karamellige Noten nicht in süßen, sondern in herzhaften Speisen vorzufinden. Doch auch unser Gehör ist am Geschmackserlebnis beteiligt. Wir empfinden einen Geschmack als intensiver, wenn wir das Krachen einer Textur wie Chips hören können. Heston Blumenthal hat sich diese Erkenntnis zu eigen gemacht und in seinem Restaurant „The Fat Duck“ eines seiner berühmtesten Gerichte kreiert: „Sound of the Sea“ bei dem man nicht nur einen Teller, sondern ein wahres Küstendiorama serviert bekommt und dazu aus einer Muschel Ohrhörer erhält, mit denen man den Sound einer Meeresbrandung wahrnimmt und so in ein multisensorisches Geschmackserlebnis eintaucht. Das Panorama auf dem „Teller“, die unterschiedlichen Texturen, der Geruch, die Geräusche und der Geschmack lassen das Essen zu einem umfassenden Erlebnis werden.
Grand Archatz und Thomas Keller
Und ein wichtiger Aspekt des Geschmacks sollte hier, im Hinblick auf kulinarische Überlegungen keineswegs unerwähnt bleiben, auch – oder gerade da er – in der Sternegastronomie mittlerweile breite Beachtung gewonnen hat. Es ist der Reiz, der Kitzel, den unser Geschmack so gerne geboten bekommt, der ihn wach macht, der ihn aber zugleich auch schnell wieder ermüden lässt. Denn der Geschmack möchte Abwechslung. Wenn wir ein Gericht essen, das uns schmeckt, nimmt die Spannung mit jedem Löffel, oder jeder Gabel, die wir zu uns nehmen ab. Der Geschmacksreiz ermüdet und ist im wahrsten Sinne des Wortes schnell gesättigt. Daher kommt es darauf an, den Geschmack immer wieder neu zu stimulieren. Die Sternegastronomie hat dazu verschiedene Antworten gefunden im Buch vorgestellt durch Grand Achatz und seinen Lehrmeister Thomas Keller, die kleine Teller servieren, um die Gäste in einem abwechslungsreichen Spannungsfeld zu halten. Denn sie stellten fest, dass der Geschmack ein abnehmender Reiz ist. Wenn wir also einen Geschmack, wie beim Löffeln einer Suppe – wiederholt wahrnehmen wird der Reiz von Löffel zu Löffel geringer. Ihre Antwort war daher ein vielgängiges kleinteiliges Menü.
Wein und Wahrheit
Geschmack, so zeigt Holmes in seinem Buch nachdrücklich, ist wesentlich mehr, als das Schmecken am Gaumen oder auf der Zunge. Chips werden als frischer oder geschmacksintensiver wahrgenommen, wenn man ihr „Krachen“ deutlich vernimmt. Der gleiche Joghurt wird geschmacklich unterschiedlich bewertet, wenn man ihn in unterschiedlich schweren Schüsseln serviert, Geschmack ändert sich durch die Präsentation der Speisen, durch die musikalische Untermalung oder durch Bilder im Raum. Wie aber steht es um den Geschmack von Wein? Wie weitreichend, wie objektiv ist hier der Geschmack, wie tiefgreifend das Expertenwissen? Bob Hodgson besitzt seit über 40 Jahren einen Weinbaubetrieb im Norden Kaliforniens. Ihn wunderte, dass seine Weine bei unterschiedlichen Verkostungen sehr unterschiedlich bewertet wurden. Also unternahm er einen breit angelegten Feldversuch, um seinerseits die Sommeliers einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis war so verheerend, dass man sich die Frage stellen konnte, ob man die Weinpreise nicht besser per Zufallsprinzip – also gänzlich unabhängig - zusprechen sollte. Hodgson selbst kommt auf das Problem zu sprechen, wenn er angibt, dass der Geschmack eines Weines stark vom Wetter, der eigenen Verfasstheit, vom vorher probierten Geschmack des Weines und anderen Faktoren abhängt. Letztlich stellt sich dabei auch die Frage, ob ein teurer Wein in der Regel wirklich besser schmeckt, als ein wesentlich günstigerer. Bei einer Blindverkostung mit unausgebildeten Weintrinkern stellte man fest, dass diese in der Regel nicht so teure - und daher vielleicht auch nicht so komplexe oder um es anders auszudrücken: komplizierte Weine – Weine bevorzugten. Andererseits meinte jeder, wenn er ein Preisschild am Wein feststellte, dass der teurere Wein der Bessere sei, auch wenn die Preisschilder ausgetauscht worden waren. Dies war eine interessante Beobachtung, zeigte sie doch, dass der Geschmack gleichzeitig auch von einem internen Belohnungsmodell gesteuert wird.
Wein und Mixer
Der ehemalige Physikstudent bei Stephan Hawkins und ehemalige technische Direktor bei Microsoft Nathan Myhrvold fasste vor einigen Jahren den Entschluss, dem Geschmack mit technischem Verständnis auf die Spur zu kommen. Das Werk wurde ein bahnbrechender Erfolg. „Modernist Cuisine“ fasste moderne Erkenntnisse zum Kochen zusammen und avancierte mit seinem Erscheinen zu einem Standardwerk, da es Kochstandards neu justierte. Myhrvold selbst wurde in Folge als Kochautorität ausgerufen und genau hier setzt Bob Holmes ein Ausrufezeichen in Fragen des Geschmacks.
Wie viele Neuerer stieß Nathan Myhrvold die etablierten Meinungen um, und damit vielen Experten vor den Kopf und avancierte laut der Fachzeitschrift Foreign Policy zu einem der weltweit wichtigsten Vordenker. Eine seiner Meinungen betrifft den Eingangs erwähnte Chateaux Margeaux 1982. Diesen – so Myhrvold - könne man problemlos Hyperdekantieren. Eine Äußerung, die dem Experten mehr Kritik als Bewunderung eingebracht hat, aber auch eine, die von anderen Experten als Expertenmeinung gerne in Diskussionen um das rechte Dekantieren von Wein eingebracht wird. Immerhin ist Myhrvold für einige zur unhinterfragbaren Größe in Sachen Geschmack avanciert. Eine Autorität. Hier aber unternimmt Holmes lieber selbst das Mixerexperiment, um die These zu untersuchen. Geschmack, so zeigt der Autor mit seinem Experiment, ist keine Frage des Glaubens an Autoritäten, sondern ein stets überprüfbarer Tatbestand. In der Tat konnte der Wein – sein Budget ließ ihn einen günstigeren Rotwein wählen – im Mixer aufgefrischt werden, schmeckte also sofort sehr gut, verlor aber dann schnell an Volumen. Das Experiment, so fand Holmes heraus, eignet sich lediglich für die schnelle Trinkfähigkeit eines lange gelagerten und gerade geöffneten Weins, nicht aber für den normalen langsamen Weingenuss.
Holmes abschließende These: Der Geschmack ist aller Wahrscheinlichkeit wesentlich mehr, als das Sahnehäubchen in unserem Leben. Durch den Zusammenschluss unserer Sinne, die den Geschmack nicht nur beeinflussen, sondern insgesamt ausmachen, ist er wahrscheinlich der „Schlüsselmoment unserer Interaktion mit der Welt“. Holmes Erläuterungen zu Foodpairing legen diesen Schluss auf jeden Fall kulinarisch nahe. Unsere Zunge kann schmecken und unsere Zunge kann sprechen. Es ist der Geschmack, der uns reden macht.
Bob Holmes: Geschmack. Gebrauchsanweisung für einen vernachlässigten Sinn. Riemann Verlag München 2016. 320 Seiten, geb. 24,99€