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Im Inneren des Kunstwerks

Joachim Wissler beschreibt sich gerne als Handwerker. Aber das, was er seinen Gästen präsentiert, hat mit Arbeit scheinbar nichts mehr zu tun, so filigranen präsentieren sich seine Teller. Es handelt sich um Kunst im wahrsten Sinne: um Bilder zum Verschlingen.

Joachim Wissler kocht Sur-Real

Schwellenangst. Vielleicht ist das der treffende Begriff. Denn hat man einmal die Schwelle des Vendôme übertreten, begibt man sich in eine Welt, die einen nicht nur bezaubert, die einen fesselt und die einen aufmerksam werden lässt. Denn wer einmal bei Joachim Wissler gegessen und seine große Oper, das Atelier seiner kulinarischen Inszenierungen mit allen Sinne über Stunden genießen dürfen, fragt sich: Wo sonst bekomme ich so viel geboten? Und man wundert sich darüber, dass dieses Restaurant nicht jeden Mittag und Abend restlos ausgebucht ist. Die Kunst ist es lediglich, seine Schwellenangst zu besiegen, den Schritt zu machen. Denn die Schwellenangst muss man selbst unter Kontrolle bekommen, sie entzieht sich der Kunst des Joachim Wisslers, doch direkt nach der Schwelle taucht man ein, wird selbst Teil seiner Kunst, die in diesem Falle nicht nur eine für das Auge oder das Ohr ist, sondern zum Glück alle Sinne anspricht und von daher unvergeßlich wird.

Natürlich steht man erst einmal vor dem repräsentativen Gebäude des Schlosses, welches Jan Wellem zu Ehren seiner zweiten Ehefrau im Barockstil erbauen ließ. Diese schwärmte auch sogleich vom Blick aus dem Schloss auf die zarte hügelige Umgebung. Der Kölner Dom war noch Baustelle, diente aber als Zielpunkt für die Ausrichtung der Mittelachse des Schlosses.

Im Jahr 1997 wurde das Schloss umgebaut und gehört mittlerweile zu den „Leading Hotels of the world“. Die Hotelanlage verfügt über drei Restaurants, das Vendôme unter der Leitung von Joachim Wissler befindet sich in einem dem Schloss vorgelagerten Nebenbau und wird seit Jahren – je nach Restaurantführer – als eines der besten Restaurants der Welt oder als das Beste des Landes bezeichnet. Doch lassen wir zunächst das Essen und seine Zubereitung beiseite und schauen wir, was uns im Restaurant erwartet, wenn wir den Weg auf den nicht immer grünen Hügel in Bensberg hinter uns gebracht haben. Bevor wir das Restaurant betreten wenden wir unseren Blick zurück, denn von hier haben wir einen in der Tat erhabenen Blick in die Kölner Bucht. Bei seinem Besuch des Schlosses 1774 notierte Johann Georg Jacobi: „Schloss und Dorf liegen auf einem hohen Berge, von dem man in der Ferne eine Strecke des Rheines und die berühmten Sieben Berge sieht. Ich glaube, dass die Götter dann und wann auf einer silbernen Wolke so ihren Nektar trinken und die Hälfte der Erde übersehen!“ Wir wissen, das wir von hier oben nicht die Hälfte der Erde übersehen, aber befeuert durch die Neugierde, eventuell doch Nektar genießen zu können, lassen wir unsere Schwellenangst fahren und treten ein in das Innere des Kunstwerks des Meisters Joachim Wissler.

Vendôme

Der Dom zeigt von Ferne seine Spitzen und von hier oben scheint das hektische Treiben der Metropole wie eine ruhige Kulisse, die im Laufe des Abends die Hintergrundfarben bildet, um das Schauspiel des Vendôme in ein abwechslungsreiches Licht zu setzen. Der Gang ins Restaurant gewährt einen Blick in die hinter einer Glasscheibe gelegene Küche. Der Dampf, die Konzentration und die Arbeitsteilung dienen als erster Gruß vor der Rezeption. Von hier aus sind es lediglich einige Schritte bis zum reservierten Tisch und ab da ist die Schwellenangst lange vergessen. Wie in einem Kino, in dem endlich das Licht ausgeht, beginnt hier mit der Berührung des Stuhls die Inszenierung, von der man bisher gar nicht wusste, dass man selbst Teil der Bühne wird. Denn im Vendôme ist man als Gast der zentrale Dreh- und Gedankenpunkt aller Überlegungen und Abläufe. Der Gast ist der Mittelpunkt, das Essen und seine Präsentation sind nur das inszenierte Beiwerk, um ihm eine grandiose, im besten Falle unvergessliche Genusszeit zukommen zu lassen. Doch das fällt dem Gast in der Regel nicht auf. Denn bei der Inszenierung seiner Kochkunst gelingt Joachim Wissler alles mit einer solch spielerisch wirkenden Leichtigkeit, dass man eine Fülle von Eindrücken erhält, schon lange bevor das Menü wirklich beginnt und selbstredend lange bevor es enden wird. Dabei beherrscht der „Koch der Köche“ Joachim Wissler nicht nur die Kunst wunderbare Kompositionen in seinen Menüs zu präsentieren, sondern auch dem Gast jegliche Aufgabe abzunehmen, damit er mit allen Sinnen genießen und das filigrane Spiel spüren kann. Die Grüße aus der Küche stehen auf dem Tisch eher der Gast auch nur eine Speisekarte in der Hand halten musste. Hier kann er mit den ersten sinnlichen Eindrücken – jeweils konzentrierte Aromenwunder, die im Laufe der Jahre so verfeinert worden sind, dass man meint eine kleine Spielerei in Händen zu haben, am Gaumen aber den Eindruck eines ultimativen Geschmacksmomentes zu erleben – den Alltag hinter sich lassen und eintauchen in das Spiel, das schon lange begonnen hat. Doch welches Spiel wird hier inszeniert? Es ist dies eines der nicht ganz zu enträtselnden Geheimnisse des hochdekorierten Kochs. Bemühen wir einen Vergleich aus der Malerei, die im Falle Wisslers eher geeignet ist eine konsistente Lösung anzubieten, als ein Vergleich mit Musik. Denn die Optik siegt bei Wissler, diesem ruhigen und sensiblen Menschen über die Akustik. Die unterschiedlichen Bühnen – von Tellern ist hier in der Regel nicht mehr die Sprache – auf denen Wissler seine kulinarischen Kompositionen zu präsentieren pflegt, unterstreichen diesen Charakter, der eher an Theater als an Konzert denken lässt. Betrachtet man diese unglaublich schöne aber schnell vergängliche Kunst, so ist man schon vor dem ersten Bissen geneigt, diese so betörende Kunst für nicht real zu halten.

Sur-Real

Der Surrealismus wollte herkömmliche Denk- und Sehgewohnheiten erschüttern, sein Programm war es zu irritieren und die gewohnten Grenzen von Traum und Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Zu einem seiner bekanntesten Gemälde, auf dem eine Pfeife mit dem Zusatz „Dies ist keine Pfeife“ abgebildet ist bemerkte René Magritte: „Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen. Das Abbild einer Marmeladenschnitte ist ganz gewiss nichts Essbares.“

Und bei der Degustation eines Menüs von Joachim Wissler bekommt man einen Eindruck davon, wie sehr seine Kunst an dieser Überzeugung des Surrealismus angelehnt ist. Mit einem Augenzwinkern nimmt er die Begriffswelt seiner Gäste aufs Korn. Wenn er ihnen Toffifees auf den Tisch stellt, so geht er davon aus, das jeder weiß, was das ist. Aber natürlich wird man hier nicht die gewohnte Süßigkeit zu probieren bekommen, zugleich aber nichts, was die Erfahrungswerte komplett irritieren würde. Jeder Aufbau seiner Gerichte ähnelt dabei in der ein oder anderen Weise diesem System. Nichts ist so wie es scheint, wenn es aber so ist, dann ist es so, dass es das nicht geben dürfte. Wie etwas bei einem seiner Signature Dishes, dem Krustenbraten vom Schweinekinn, bei dem es nach landläufiger Erfahrung weder eine solch perfekte zubereitete Kruste noch ein solch leichtes Püree aus Kürbiskernen geben kann. Doch beide Komponenten befinden sich auf dem Teller und erinnern mit der angegossenen Soße auf Altbierbasis an den guten alten Sonntagsbraten wie man ihn immer genießen wollte, es aber in einer solchen Perfektion niemals genießen konnte. Allein schon, da man keine Idee hatte, wie man Kürbiskerne tatsächlich in ein Püree verwandeln könnte, dazu noch in ein solche hocharomatisches, das man sofort überzeugt ist, dies sei die einzige Möglichkeit Püree herzustellen. Doch das sind nur die künstlerischen Kniffe am Rande, das gesamte Menü selbst gerät hier so filigran, dass man sich durchaus um dessen Statik Gedanken machen kann: denn mit nichts Geringerem als dem Wert des Essens wird hier so spielerisch umgegangen, dass man sein über lange Jahre gewohntes Verständnis neu justieren sollte. Denn Essen hat bei Joachim Wissler einen anderen Stellenwert als ein rein genussvoller Träger der Sättigung zu sein, es gibt ja so viel mehr. Essen, mehr ein Menü ist ein Rundumerlebnis, für den Gaumen und für den Kopf, ohne den Magen in Mitleidenschaft zu ziehen. Man kann es auch so ausdrücken: Bei Wissler erlebt man ein hervorragendes Menü, hat eine Menge an Details und Geschmacksexplosionen mitgenommen, leidet dabei aber nicht unter Völlegefühl, sondern ist einfach nur glücklich. Der alte Fast-Food Spruch „Das Gefühl von Satt kenne ich nicht, entweder habe ich Hunger oder mir ist schlecht“ lässt sich hier umkehren: Das Gefühl von Schlecht kenne ich nicht, ich habe keinen Hunger mehr und mein Appetit ist ideel mehr als gesättigt.“

Jeder, der an der Verbindung von Kochen und Kunst interessiert ist, sollte einmal in seinem Leben, besser aber noch regelmäßig nach Bensberg in Joachim Wisslers Restaurant Vendôme pilgern, denn hier wird das Hochamt der Kochkunst zelebriert. Seine Schwellenangst muss man nach wie vor selbst überwinden, dafür aber wird man Teil einer Kunst, die man essend der Unvergänglichkeit beraubt, um sie zeitlebens im Gedächtnis zu behalten.

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