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Horberth Kontraste

Manchmal muss man eben eine Vision von dem haben, was es kulinarisch noch nicht gegeben hat. Hans Horberth unternimmt diesen Versuch. Sein Buch „kulinarische Kontraste“ eröffnet eine Küche für den Kopf. Das praktische Gaumenspiel der Gegensätze gönnt man sich am besten in seinem Restaurant „La Vision“.

Hans Horberth fügt Gegensätze spielerisch zusammen

In seinem Vorwort „Die Kunst der Kontraste“ verspricht Stefan Quandte die Gerichte eines klugen Kochs in Höchstform. Die Messlatte liegt also schon zu Beginn des Buches recht hoch. Gleichzeitig porträtiert er den Autor, den Küchenchef des Kölner Restaurants „La Vision“ Hans Horberth, als Menschen, der aus seiner Arbeit absolute Zufriedenheit zieht. In Anlehnung an den französischen Existentialisten Albert Camus  meint Quante, dass wir uns Hans Horberth als einen glücklichen Menschen vorzustellen haben.

Doch während die Figur der griechischen Mythologie, in der Unterwelt immer wieder einen Stein auf einen Berg rollen muss, steht der Künstler der Küche an einem Arbeitsplatz, der beinahe an die Wolken kratzt. Mit Blick auf den Dom schwebt die Küche des Restaurants auf dem wuchtigen Kölner Wasserturm und verleiht ihm in ihrer leichten Art einen eleganten architektonischen Kontrast. Hier treffe ich mich mit Hans Horberth, um einige Aspekte seines Buches mit ihm im Gespräch zu durchleuchten.

Tradition und Moderne als Geschichte der kulinarischen Kontraste

Das Buch dekliniert die kulinarischen Kontraste durch und beleuchtet auf diese Weise die Gegensätze von Fisch und Fleisch (Land/Meer), Vertrautem und Fremdem (Okzident/Orient) sowie Farbkontraste (schwarz/weiß) auf dem Teller.

Gleich auf den ersten Seiten begegnet man einer jenseits des Kölner Raumes sicherlich undenkbaren Kombination von Fisch und Fleisch: Horberth paart einen Steinbutt in Verbindung mit Sellerie und Apfelreduktion mit Flönz, der leicht geräucherten rheinischen Blutwurst. Auf den ersten Blick scheint der Kontrast kaum größer sein zu können: Die Wurst, die früher auch als Hundefutter verwendet wurde, entpuppt sich auf dem Teller als süßer Kontrast zum mit Zitrone mariniertem und mit Noilly Prat abgeschmecktem Steinbuttfilet. Das erdige Element des Knollenselleries wird durch die säuerlichen Topaz-Äpfel sowie die Apfelreduktion und getrockneten Staudensellerie ausgeglichen. Zur Harmonisierung der Kontraste verwendet Horberth neben Nussbutter noch etwas Granulat von Roter Beete. Doch dies ist erst der Auftaktakkord eines stimmig komponierten Buches, das den Leser nicht nur zum Nachkochen, sondern vor allem auch zum Nachdenken anregt. Küche für den Kopf.

Um die Geschmacksräume möglichst tief auszuloten, werden die klassischen Kontraste süß/sauer, heiß/kalt und süß/salzig in eigenen Kapiteln behandelt. Das Buch schließt mit einem Kapitel, welches jeden interessierten Leser den neu gestalteten Raum aufzeigt, den Horberths innovative Interpretationen bekannter kulinarischer Klassiker bieten. Schon bei der Betrachtung der Bilder begreift der Leser, welchen spielerisch eleganten Ansatz Horberth sowohl mit Texturen und Temperaturen verfolgt, mehr aber noch, wie tief sein Verständnis von Gerichten ist, die er dekonstruiert und auf seinen Tellern in einem neuen Glanz erstrahlen lässt.

Salat zum Löffeln

Betrachten wir einen einfachen Cesar's Salad. Im Original entstand dieser Salat im Restaurant des nach Tijuana ausgewanderten Cesare Cardini. Zu Zeiten der Prohibition besuchten sein Hotel gerne auch Hollywoodgrößen wie Clarke Gable oder W.C. Fields. Nicht zuletzt ihnen ist es zu verdanken, dass dieser am amerikanischen Nationalfeiertag 1924 aus einer Not entwickelte Salat – der Ansturm der amerikanischen Gäste war enorm groß, Cardini entschloss sich, einen Salat mit einer üppigen Vinaigrette und wahlweise Fisch oder Fleisch anzubieten – seinen Siegeszug rund um die Welt antrat. Klassisch wird dieser Salat mit Ramona Blättern zubereitet, hinzu kommt eine Vinaigrette, in Knoblauchöl geröstete Croutons, Parmesan und nach Belieben Avocado, Sardellen oder gebratene Garnelen, gerne auch Hühnerbrust. Über die Jahrzehnte hat sich nichts wesentliches an der Zubereitung dieses Klassikers geändert. Doch nun unternimmt Horberth eine komplette Neuinterpretation und verblüfft den Gast, indem er dessen klassisches Verständnis eines Gerichts unterläuft und ihm etwas präsentiert, was einem Salat im herkömmlichen Sinne auf den ersten Blick nicht mehr entspricht.

Denn Horberth verblüfft durch ein Gelee von entsafteten Romanasalat mit Parmesanmilch in einem Glas. Die übrigen Komponenten des Klassikers – also Garnele, in der sehr schmackhaften Variante von Carabinieri und Croutons, sowie zur geschmacklichen Intensivierung Röllchen von gebratenem Romanasalat – befinden sich auf einem dekorativ dazu gereichtem Spieß. Ein Salat zum Knuspern und Auslöffeln. Dabei ist die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten keine Spielerei. Sie folgt einem durchdachten Konzept, in dem Horberth die versammelten Kontraste heiß/kalt, süß/sauer, süß/salzig, dunkel/hell, vertraut/fremd, Land/Meer wie zufällig zusammen fließen lässt und durch die festen Elemente auf dem Spieß eine Intensivierung und Verlängerung jenes Aromenakkords erreicht, den er durch Salatgelee und Parmesanmilch angeschlagen hat.

Das Spiel mit dem Essen

Dass man nicht mit dem Essen spielen soll, ist eine Vorstellung, die in begründeter Angst vor der Verschwendung von Lebensmitteln außer Acht lässt, dass das Kochen die grundlegende kulturelle Errungenschaft des Menschen ist, und insofern immer einen spielerischen Umgang bei Zubereitung und Präsentation voraussetzt. Die Zubereitung einer Kartoffel sagt eben soviel über die kulturelle Situation aus, wie die Darreichungsform. Insofern ist das Spiel mit Arten der Zubereitung ebenso notwendig wie ihre durchdachte Präsentation. Dabei kommt es im kontrastreichen Sinne Horberths  darauf an, dass man dem Essen anmerkt, dass es mit Sachverstand und Kenntnis zubereitet worden ist. Zugleich aber eine spielerische, fast schwebende Eleganz spürbar ist, ohne die ein Genuss immer ein wenig unvollkommen bleibt. Sonst könnte Horberth nicht zu kulinarischen Interpretationen seines Lieblingskindergerichtes greifen, denn dass man ein Toast Hawaii auf Sterneniveau kreiert, zeugt nicht nur von Mut und Können. Es ist das Ausloten der möglichen Transformation kulinarischer Glückseligkeitsmomente der Kindheit auf das Niveau gehobener Küche. Horberth arbeitet dabei mit Bildern und Erinnerungen, denen er einen neuen Rahmen und einen neuen kulinarischen Ausdruck verleiht. Er lädt den Esser, respektive den Leser dazu ein, dieser neuen Sprache zu folgen und mit ihr zu kommunizieren.

Genau an dieser Stelle entsteht ein Punkt, den der Koch nur anschieben kann: die Interpretation seiner Leistungen. Es kommt darauf an, dass Horberth etwas im Gast zum Sprechen bringt. Kindheitserinnerungen, Erinnerungen an Küchenklassiker oder Erinnerungen an scheinbare kulinarische Gegensätze.

In unserem Gespräch über sein Buch ist Hans Horberth ruhig und konzentriert. Man merkt ihm die Liebe zu seinem Beruf, aber auch die besondere Zuneigung zu seinem  zweiten Buch deutlich an. Es dauert einige Zeit, dann berichtet er über das Augenzwinkern der Zubereitung einiger seiner Rezepte mit strahlendem Blick und sofort reißt es den Zuhörer mit in den Raum der kulinarischen Kontraste. Hier erzählt jemand, der seinen Beruf nicht nur gerne ausübt, sondern ihn mit allen Fasern seines Körpers lebt. Er ist glücklich, wenn er seinen Gästen mit unterschiedlichen Kontrasten ein  bisher unbekanntes Geschmackserlebnis bereiten kann. Dabei merkt man im Gespräch wie tiefgreifend Horberths Überlegungen reichen, wenn er seine Kontraste in ein in sich stimmiges und zugleich aufregendes Aromenspiel bringen möchte. Hier darf man sich für das nächste Buch von Horberth wünschen, dass der Leser mehr über die Hintergründe – das Zusammenspiel von Aromen, Texturen, Temperaturen - sowie die gastrosophischen Überlegungen des Kochs zur Erreichung seines Ziels im konkreten Fall des Gerichts erfährt. Denn hier kann die Sprache, also der Text zu einer wunderbaren Verbindung zwischen den Bildern und den Rezepten führen, sie kommt nur in den „Kulinarischen Kontrasten“ noch zu kurz. Gerade da die „Neue deutsche Schule“ Momentan keine einheitliche kulinarische Sprache spricht, sondern mit den Arbeiten ihrer renommiertesten Vertreter Wissler, Elverfeld, Bau, Bühner, sprachlich gesehen eher über unterschiedliche Dialekte verfügt, sollte hier neben den konkreten Arbeiten der Sprache über die kulinarischen Kompositionen mehr Raum zugemessen werden. Denn der immaterielle Mehrwert eines gelungenen Essens ist stets das Gespräch darüber.

Die „Kulinarischen Kontraste“ markieren einen wichtigen Schritt: Sie loten auf sehr feinsinnige und gleichzeitig mutige Weise die vielschichtigen Räume der Geschmackswelten aus und sie zeigen die Hinwendung eines Meisters seines Fachs zu einer eigenständigen kulinarischen Sprache. Auf die kommenden Werke von Hans Horberth darf man gespannt sein. Als Gast und als Leser.

Für Sie gelesen:
Hans Horberth: Kulinarische Kontraste. Das Spiel der Gegensätze. Matthaes Verlag, 2011

 Bei amazon zu erwerben 

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Phänomene: Chef-Sache
Charaktere: Heinz ReitbauerLinktipp:

Website des Restaurants "La Vision"

Kurzdarstellung "Kulinarische Kontraste" auf der Website des Matthaes Verlags


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