Hitchcock - der Film
In „Hitchcock“ verkommt der Meister der Suspence zur Operettennummer
Anthony Hopkins kann einem Leid tun. Wie er den Hitchcock mimen muss, passt weder zu seinem Talent noch zur dargestellten Person. Denn der lebendige Alfred Hitchcock war anders als das Klischee, mit dem uns „Hitchcock“ in voller Spielfilmlänge zu Tode langweilt.
Wir schreiben das Jahr 1959 und Hitchcocks Film „Der unsichtbare Dritte“ feiert gerade einen riesigen Erfolg. Was liegt da näher, als einen ähnlichen Film noch einmal zu machen, denken sich die Produzenten, beißen aber beim realen Alfred Hitchcock auf Granit. Dieser möchte etwas anderes auf die Leinwand bringen, einen wirklichen Schocker, der die Leute von den Sitzen haut und sie reihenweise zum Weinen bringt.
Doch der Stoff, den er sich für dieses Unterfangen aussucht, passt nicht in das prüde Amerika, das sich gerade erst von der McCarthy Ära erholt. Denn im geplanten Film soll ein Mann auftreten, der seine Mutter umgebracht hat, um im Anschluss serienweise junge Frauen zu morden. Noch dazu soll ein Mord unter einer Dusche gezeigt und das Geheimnis zur Lösung des Falles in einer Toilette gefunden werden. Das ist zu viel für eine Zensurbehörde, die nicht geneigt ist zu viel unten herum zu zeigen, oder überhaupt zu viel Andeutung nackter Haut zu gewähren. Für das schlüpfrige Thema, das Sex und Mord in Perfektion kurzschließt, ist in den USA zudem kein Filmverleih bereit Geld aufzubringen. Also produzieren Hitchcock und seine Frau Alma Reville ihren Film „Psycho“ aus eigenen Mitteln. So viel zu den Gegebenheiten im Jahr 1959.
Im Film wird exakt diese private Finanzierung in die Nähe eines möglichen finanziellen Bankrotts des Ehepaares gerückt. Eine Behauptung, die dem Film nicht einmal einen Hauch Brisanz verleiht, weshalb man sich fragen muss, warum die Filmemacher nicht einfach bei der Wahrheit bleiben. Doch das ist erst der Anfang.
Wahrheit und Realität
Mit der selbstständigen Finanzierung von „Psycho“ geht tatsächlich Hitchcock ein finanzielles Risiko ein, allerdings hätte ein Flop des Films ihn nicht ruiniert. Doch durch seine Initiative, den späteren Erfolg des Films sowie das Verhandlungsgeschick seines Agenten werden er und seine Frau Alma zu Multimillionären. Ein Schicksal, das nicht vielen Einwanderern in die USA vorbehalten ist. Wenige Jahre später wird Hitchcock mit vollem Stolz in seinen legendären Interviews mit François Truffaut auf diesen Umstand verweisen. Doch wäre diese filmische Behauptung eine lässliche Sünde, wenn sie nicht den roten Faden darstellte.
Ähnlich ärgerlich sind andere Dinge im Film. Alma Rivette dichtet er beispielsweise ein mehr als freundschaftliches Verhältnis zu einem Drehbuchautor an. Dass dem in Wirklichkeit so gewesen ist, darf bezweifelt werden. Schlimmer aber ist, das anscheinend auch den Drehbuchschreibern von „Hitchcock“ Zweifel kamen, weshalb sie die Affäre dann doch zu keiner werden lassen. Gerade als Alma das Strandhaus des Freundes zum ersten Mal von der Strand seite aus betreten möchte, wird sie gewahr, dass dieser schon Besuch einer jungen Schauspielerin hat. Grotesk und umständlich wie in einer deutschen Fernsehproduktion, wird im Film aus diesem Zusammenhang ein Eheproblem zwischen Hitch und seiner Frau konstruiert, welches den Film über lange Strecken dramaturgisch tragen soll. Es ächzt mächtig im Gebälk der dünnen filmischen Statik.
Regelrecht grauenvoll, dass der Film konsequent Image mit Wahrheit und Klischee mit Wirklichkeit verwechselt. Hitchcock war gefürchtet als ein Regisseur, der seine Schauspieler zu Höchstleistungen bringen konnte. Daneben inszenierte er sich selbst zur Bewerbung seiner Filme gerne mit trockenem britischem Humor. Im Film wird daraus ein Dauerstreit zwischen Hitchcock und seiner Umwelt, da er zu viel von allem, besonders jeder Art von Alkohol („Auch das enthält Kalorien!“ giftet im Film Hellen Mirren als Alma ihren Film-Mann Alfred an) zuspricht.
Das durch „Psycho“ berühmt gewordene Loch in der Wand wird im Film für den Regisseur zum realen Lustereignis, als er eine Schauspielerin aus nächster Nähe beim Öffnen des BH beobachten kann. Spätestens an dieser Stelle fragt sich selbst der geneigte Zuschauer, in welche Sorte von Film er eigentlich geraten ist.
Ist erst einmal jede Ernsthaftigkeit im Film beseitigt, kann man auch gleich – um auf volle Spielfilmlänge zu kommen – ein paar fantastische Elemente als Stützen der Narration einbauen. Und der Film begeht diesen Irrsinn tatsächlich: Der Film-Hitchcock wird immer wieder mit Personen seiner Phantasie konfrontiert. Eine seiner Kopfgeburten bringt ihn auf die Spur der ehelichen Abwege seiner Frau, einige andere animieren ihn dazu, in der berühmten Duschszene gleich selbst das Messer zu führen und seine Geister abzustechen. Da dies weder spannend noch charmant oder witzig ist, vermag auch die Riege namhafter Schauspieler den Plot nicht zu retten. Nicht einmal eine zu Höchstform auflaufende Helen Mirren ändert daran etwas.
Das Leid des Schauspielers und des Regisseurs
Wie eingangs schon erwähnt kann einem Anthony Hopkins in diesem Film wirklich Leid tun. Er gibt sich redlich Mühe, den berühmten Regisseur zu mimen. Aber letztlich verkommt seine Rolle selbst zum Klischee. In einer Szene muss er krank vor Eifersucht das gemeinsame Ehebett mitten in der Nacht verlassen, um Konserven mit Gänsestopfleber gleich im Dutzend ebenso gierig wie lustlos zu verschlingen. Ein weiteres Mal entfernt sich der Film ohne Not oder ersichtlichen Nutzen für die weitere fiktive Handlung von seinem Sujet. Alfred Hitchcock war nicht nur bekannt für seine Leibesfülle, sondern vor allem für seinen Hang zu ausgesprochen guten Speisen und Getränken. Darüber hinaus war er ein großartiger Gastgeber, der seinen Gästen nicht nur den Weinkeller zeigte, sondern auch stets die ausgesuchtesten Häppchen im Kühlschrank bereit hielt. Nicht zufällig sind seine Filme gespickt mit Hinweisen auf erstklassige Restaurants und herausragende französische Weine. Auch wenn er kein Freund sportlicher Betätigung oder von Diäten war, so hätte man ihn besser durch ein ausgiebiges Gelage mit Gästen charakterisieren können. Denn die Partys der Hitchcocks waren legendär und er selbst ein wortgewandter und gewitzter Gastgeber.
Es ist schon merkwürdig. Hitchcock hat als Engländern das Gruseln auf die Leinwände Hollywoods gezaubert. Nun dankt es Hollywood ihm, indem es ihn in „Hitchcock“ wie einen durchgeknallten Jerry Lewis aus dem Off jenseits der Kinotüren die Klänge und Schreie zur berühmten Duschszene dirigieren lässt. Da lernt man in dieser Komödie das Gruseln gleich noch einmal.
Es ist ein Verkennen dieses Meisters, das an ein anderes versäumtes Anerkennen erinnert: Der Regisseur, der als Erfinder und Meister der Suspence in die Filmgeschichte einging, bekam für keinen seiner Filme einen Oscar gesprochen. Zu nah kommen sie den Ängsten der Amerikaner. Zu eindeutig rüttelt Hitchcock bereits in seinem ersten in Amerika gedrehten Film „Rebecca“, mehr dann noch in seinem Lieblingsfilm „Shadow of a doubt/Im Schatten des Zweifels“ an der amerikanischen Illusion der sauberen Vororte und des sicheren eigenen Heims. Das Unheimliche erwächst in seinem Filmen stets aus dem „Heimeligen“. Zeit seines Lebens legt Hitchcock Wert auf die Feststellung, dass er in dem Jahr auf die Welt kam, in welchem die „Traumdeutung“ von Sigmund Freud erschien. Nicht zuletzt bringt Norman Bates in Psycho - wie im Roman von Robert Bloch, auf dem der Film basiert - ja auch seine krankhaft geliebte Mutter um. Aber das ist ein anderes Thema.
Umschreibung
Ebenfalls von Truffaut weiß die Welt, dass die Verleihung des Ehrenoscars für sein Lebenswerk 1979 an Alfred Hitchcock nicht nur zu spät kommt, sondern die gesamte Veranstaltung eine einzige Katastrophe war. Alma und Alfred Hitchcock sind bereits nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte. Hitchcock, der zuvor auf seine ihm eigene Art – „Immer die Brautjungfer, aber nie die Braut“ - seine Verbitterung darüber ausdrückte, noch keinen Oscar gewonnen zu haben, sondern lediglich öfter nominiert worden zu sein, schlug der Academy aber ein Schnäppchen. Dem betagten Alfred Hitchcock gelingt es, am Tag der Entgegennahme des Ehrenoscars gleich ein paar Flaschen Champagner an den Sicherheitskräften vorbei zu schmuggeln, um sie noch vor der Preisverleihung mit Alma zu genießen. Man darf sich Alma und Alfred, der kurz darauf in seinem Heimatland England zum Ritter geschlagen wird, als glückliches und an diesem Tag durchaus beschwingtes Paar vorstellen. Um so nachvollziehbarer, dass Hitchcock bei der Verleihung niemandem dankte, außer seiner Frau. Dieser jedoch gleich auf vierfache Weise: als Drehbuchautorin, als Cutterin, als Mutter ihrer Tochter und als Köchin.
Es hat lange gedauert, bis man in Europa durch die Vertreter der „Cahiers de Cinema“ Sir Alfred Hitchcock als Meisterregisseur entdeckte und würdigte. Doch mittlerweile gibt es zahlreiche gute Bücher über diesen Mann, der das Kino seiner Zeit prägte wie kaum ein anderer Regisseur. Passend zu seinem Lieblingsthema, der Suspence, wurde er liebevoll bis ehrfürchtig als „wahrer Teufel“ seines Faches angesehen. Aber diesen Film hat noch nicht einmal der Teufel verdient.
„Hitchcock“ startet am 14. März in den deutschen Kinos.
Lektüretipps
Nikolai Wojtko (Hg.): Alfred Hitchcock – Der Filmverführer. Un-Schuld im Spannungsfeld von Ethik und Ästhetik. 152 Seiten, Hamburg 2005, 48,-€
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François Truffaut: Mr. Hitchcock wie haben Sie das gemacht?, aktualisierte Neuausgabe, 408 Seiten, München 2003, 9,95€
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