Heiko Antoniewicz, Michael Podvinec, Thomas Ruhl: Fermentation
Fermentation – alte Technik avantgardistisch gedacht
Gleichwohl scheiden sich die Geister, sobald das Wort "Fermentation" auch nur Erwähnung findet. Warum ist das aber so? Sicherlich, manche denken beim Begriff Fermentation schlicht an Sauerkraut oder sauer eingelegte Gemüse und verziehen das Gesicht, als wäre damit schon alles erklärt. Doch sobald man auch nur etwas tiefer in die Materie einsteigt, merkt man, dass wir ohne Fermentationsprodukte relativ alt in den kargen Küchenschrank hineinschauen würden. Neben den üblichen Verdächtigen, lohnt sich daher eine kleine Aufzählung fermentierter Produkte, lediglich um anzudeuten, welcher kulinarische Kosmos uns durch Fermentation eröffnet wird: Pfeffer, Champagner, Bier, Brot, Quark, Joghurt, Kefir, Käse, Oliven, Rohwürste, Rohschinken, Soja, Tee, Vanille, Wein, um an dieser Stelle einfach mal vom Essig zu schweigen.
Natürlich lässt sich diese Liste im Handumdrehen erweitern, doch sie soll lediglich ein kleiner Fingerzeig sein. Bleibt die Frage, weshalb Fermentation oft skeptisch betrachtet wird. Vielleicht liegt es an der symbiotischen Beziehung der Fermentation zum Kochen. Dem Kochen – wenn wir an dieser Stelle die Fermentation einmal nicht selbst als Akt des Kochens, sondern als eine eigenständige Art der Zubereitung betrachten – schreiben wir allgemein einen produktiven Status zu. Im Topf erkennen wir einen ausgelagerten Magen, der uns schon vor der Nahrungsaufnahme hilft, Dinge leichter verdaulich zu machen, oder uns überhaupt in die Lage versetzt, unsere heute so genannten Grundnahrungsmittel überhaupt erst essen zu können. Genauso ist es auch mit der Fermentation, allerdings sehen wir diese zu meist nicht auf einer Stufe mit dem Kochen und dies hat sicherlich einen entscheidenden Grund, der mit dem Namen Louis Pasteur zusammen hängt. Kulturell sind wir Kinder der Pasteurisierung und damit beunruhigt uns immer noch die Idee, dass unser Essen lebt und von einer Vielzahl von Bakterien bevölkert wird. Viele Menschen blenden den Umstand aus, dass ihr geliebter Camembert von Schimmelpilzen überzogen ist oder wissen noch nicht einmal, dass der nachhaltig würzige Geschmack ihrer Salami durch Schimmel überhaupt erst entstanden ist. Vielfach gruselt uns davor, dass unser Essen von kleinen Organismen schon vorverdaut wird. Und in der Tat schwingt in dem Wort Fermentation für uns immer auch die Idee des Verrottens mit.
Lebende Lebensmittel
Doch mittlerweile sind wir wieder auf der Suche nach ursprünglichen Lebensmitteln und Produktionsmethoden. Wir misstrauen industriell hergestellten Lebensmitteln, die wir nicht mehr als Segen des Fortschritts preisen, sondern als tote, austauschbare Nahrungsmittel ansehen. Mittlerweile sind wir auf der Suche nach lebendigem Wein, ebenso wie nach Rohmilchkäse und verrottendem Fleisch, dass seit einigen Jahren auch unter ganz unverdächtigen Grillexperten große Wertschätzung genießt und mittlerweile zu Preisen gehandelt wird, die ein normaler Hobbygriller vor zehn Jahren nicht bereit gewesen wäre zu zahlen, doch unter dem Begriff Dry Aged Beef hat das fermentierte Fleisch seinen aromenreichen Siegeszug angetreten.
Und alle, die nicht mit Rohmilchkäse aufgewachsen sind, wissen noch von den Schwierigkeiten sich diesem Produkt zu nähern, musste man doch die Warnungen der Nase einfach in den Wind schreiben, um diese Käse überhaupt erst genießen zu können. Erst später wurde der Geruch selbst zum Signal für Genuss. Kein Wunder also, dass – wie Claude Lévi-Strauss es in seiner „Mythologica“ erzählt – die Amerikaner nach der Landung in der Normandie Probleme mit dem Geruch von lebendigem Käse hatten. Sie selbst waren an Käse aus pasteurisierter Milch gewöhnt, der rechteckig in Plastikverpackungen konfektioniert war. Der Geruch von Rohmilchkäse war für sie komplett neu und ungewohnt. Daher zerstörten sie in den ersten Tagen ihres Vorrückens zahlreiche Käsereien in der Normandie da ihnen der Geruch unerträglich in der Nase hing, er erinnerte sie in erster Linie an den Geruch von Leichen.
Doch schon die alten Römer wussten, dass mancher Gestank nicht auf Gefahr, als vielmehr auf kulinarischen Genuss verweist. Für ihre Alltagswürze das Garum (oder auch Liquamen) ließen sie Fische samt ihrer Eingeweide in Salzlake an der Sonne fermentieren. Das gefilterte Extrakt dieses Prozesses diente ihnen als Zusatz sowohl für herzhafte Speisen, als auch für Desserts. Gehen wir noch einen Schritt weiter zurück, erkennen wir, dass die Fermentation uns erst dazu gebracht hat, Milch verdauen zu können. Lange, bevor wir dazu in der Lage waren Milch überhaupt verdauen zu können, haben unsere Vorfahren schon Viehwirtschaft betrieben, die Milch aber wurde für unsere Vorfahren erst nach ihrer Verarbeitung zu diversen Milchprodukten genießbar. So waren unsere Vorfahren nicht auf die Milch, sondern auf die aus ihr hergestellten Produkte angewiesen und betreiben die Viehwirtschaft auf Grund der fermentierten Produkte, welche die Milch in verarbeiteter Form ihnen lieferte.
So erscheint es nur folgerichtig, dass diese alte Kulturtechnik jenseits von Sauerkraut und Sojasauce ein neu erwachtes Interesse entgegen gebracht wird. Die gehobene Küche sucht neue Wege Fermentation avantgardistisch in Szene zu setzen. Denn durch Fermentation wird das Geschmacksbild von Lebensmitteln abwechslungsreicher und komplexer.
Fermentation
Sandor Ellix Katz gilt spätestens seit dem Erscheinen seines Buches „The Art of Fermentation“ 2012 als Schlüsselfigur des Fermentation-Revivals in den USA. Nun wurde es Zeit, dass sich in Europa jemand dem Thema nähert. Umso erfreulicher ist es, dass sich Heiko Antoniewicz dem Thema grundlegend annimmt. Sein gerade bei Fackelträger erschienenes Buch bildet das Fazit seiner mehr als vierjährigen Beschäftigung mit dem Thema. Für Antoniewicz fing die Beschäftigung 2010 an, als er bei seiner Beschäftigung mit Flavour-Pairing bemerkte, dass er über viele Prozesse, die ein später in der Küche verwendetes Produkt zunächst durchlaufen muss bevor es anwendungstauglich ist, gar nichts wusste. Dies war Ansporn für ihn, sich mit dem Thema der Fermentation zu beschäftigen. Drei Jahre dauerte es, bis sich das Thema für ihn derart verdichtet hatte, dass er beschloss daraus ein Buch zu machen, um "Fermentation" für Kollegen und interessierte Laien nachvollziehbar zu gestalten. Dabei kam es ihm bei der Entwicklung seiner Rezepte zu dem Thema besonders darauf an, dass es sich nicht einfach um Fischsaucen, oder fernöstliche Kochtechniken handelt, sondern um eine auch bei uns kulturell weit verbreitete und überlieferte Form der Haltbarmachung, die unseren Geschmack und unseren Umgang mit Lebensmitteln prägend bestimmt.
Im Laufe seiner Beschäftigung mit Fermentation lernte Antoniewicz nicht nur Methoden, um Gemüse zu fermentieren, sondern bemerkte auch, dass man gekochte Kartoffeln mit einem ganz besonderen Geschmack impfen kann, wenn man sie in Asche gibt. Auf diese Weise erhalten sie ein erdiges Aroma und erinnern an das Terroir in dem sie gewachsen sind, aus Kartoffeln werden so geschmacklich wieder Erdäpfel.
Durch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Fotografen Thomas Ruhl konnte Antoniewicz auf einen der renommiertesten Foodfotografen für sein Projekt zählen. Thomas Ruhl beschäftigt sich ebenfalls seit einigen Jahren mit dem Thema. Denn nicht nur als Veranstalter der „Chef-Sache“, sondern besonders als Herausgeber des kulinarischen Sammelbandes „Port Culinaire“ ist er aufs Engste mit den Entwicklungen der kulinarischen Avantgarde vertraut. Für ihn ist das Thema Fermentation so interessant, da es sich hierbei um eine ganz traditionelle Form der Haltbarmachung handelt. „Ähnlich wie das Räuchern verändert es den Geschmack in sehr interessanter Weise. Welche kulinarischen Aspekte stecken hinter diesen Techniken und wie kann man diese Techniken weiter entwickeln, um dieses Thema in die ambitionierte Gastronomie oder zum ambitionierten Hobbykoch weiterzugeben? Jenseits des Sauerkrauts gibt es da einfach wunderbare Dinge. Dieses Thema wurde in dieser Komplexität so noch nicht angegangen. Natürlich gibt es das Nordic Food Lab oder Jonnie Boer, aber so ganzheitlich in diesem Facettenreichtum wie wir das unternehmen, hat es noch keiner gemacht und daher ist es für mich so spannend.“ Diese facettenreiche Spannung des Themas hat Ruhl im vorliegenden Band in eine vielschichtige Bildsprache transformiert. Allein die Bilder lohnen die Anschaffung, eröffnen sie doch für den Leser jenseits von sprachlichen Erläuterungen einen direkten Einstieg in die Thematik.
Konservierung lebendig
Ebenfalls spannend ist die von Michael Podvinec geschriebene Einführung in die weite Welt der Fermentation. Podvinec versteht es, das Thema frontal anzugehen, dabei aber in verständlicher Weise dessen Komplexität aufzubrechen. So erhält der Leser auf wenigen Seiten einen umfassenden Überblick über das Thema und gleichzeitig eine Vielzahl an Anregungen, um sich selbst weiter mit Fermentation zu beschäftigen. Für Interessierte gibt es am Ende des Bandes Hinweise zu weiterführender Literatur. Wenn man verstanden hat, dass Fermentation eine Konservierungsmethode ist, durch welche die Nahrungsmittel lebendig bleiben und im Laufe der Zeit ihr Aroma, ihre Konsistenz und ihren Geschmack verändern, hat man Lust, sich dem Thema der Fermentation auch auf praktische Weise zu nähern.
Die Rezepte von Heiko Antoniewicz bestechen durchweg durch eine einfache Struktur und komplexe Verweise. Die Kapiteleinteilung umschreibt elegant verschiedene Anwendungsgebiete der Fermentation. Dabei merkt man den Rezepten die sprühende Ideenvielfalt des Kochs an. „Bei diesem Thema kann man seine Kreativität komplett neu aufleben lassen. Denn es gibt hier so unterschiedliche Ansätze. Fermentation ist ein weiterer Schritt, um sich darüber Gedanken zu machen, wie man neue Geschmackvarianten an Produkte bekommt.“ Hier hätte man sich zu den Rezepten noch mehr begleitenden Text gewünscht, denn oftmals erschließt sich nicht von selbst, welche Ideen zu den verschiedenen Tellern geführt haben, gleichzeitig aber spürt man die Faszination für Fermentation der einzelnen Rezepte. Aber, um ein Beispiel zu nennen: wenn man grüne Walnüsse jeden Tag zwei Mal wässern soll und dies 14 Tage lang, danach eine Woche lang täglich den Sud erhitzen soll, um das Ganze anschließend für 6 Monate fermentieren zu lassen, möchte man doch gerne wissen, wie das Ergebnis schmeckt und welche Möglichkeiten man noch hat, um diese dann schwarzen Walnüsse einzusetzen. An dieser Stelle hätte ein mehr an Textarbeit sicherlich für ein breiteres Interesse und tieferes Verständnis gesorgt. Doch zunächst geht es, wie Antoniewicz sagt, „selbstverständlich darum, überhaupt erst mal das Bewusstsein zu wecken, was Fermentation für kulinarische Möglichkeiten bietet.“ Passend zum Thema werden in diesem grandiosen Standardwerk zur Fermentation eine Vielzahl von Ideen präsentiert, die im Kopf des Lesers nicht einfach konserviert werden, sondern beständig weiter arbeiten - man könnte auch sagen fermentiert - werden.
Für Sie gelesen
Heiko Antoniewicz, Michael Podvinec, Thomas Ruhl: Fermentation, 256 S., Fackelträger Verlag Köln 2015, 69,-€