Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Handwerk bis zur Kunst perfektioniert | © Nikolai Wojtko

Handwerk bis zur Kunst perfektioniert

Ich sehe gerne anderen Leuten bei der Arbeit zu. Besonders interessant ist es, die perfekte Ausführung eines Handwerks zu beobachten, wenn scheinbar mühelos die schönsten Dinge im Handumdrehen entstehen.

Andreas Thumm – Foodfotograf

Wenn man Köche und Fotografen bei der Arbeit beobachtet, gelangt man zu einer auf den ersten Blick überraschenden Erkenntnis. Beide Berufe haben eine Menge gemeinsam.

Verblüffend sicherlich, da der Beruf des Kochs gerne als Handwerk mit Fingerspitzengefühl gesehen wird. Dabei braucht ein Koch für alles seine Finger: zum Schneiden und Entbeinen, zum Befühlen und Beurteilen. Deshalb hält er seine Finger stets sauber, da er sie in Ausübung seines Berufs immer wieder neu einsetzen muss. Besonderes Fingerspitzengefühl wird vom Koch verlangt, wenn er die einzelnen Komponenten portioniert und daraus eine Kompositionen auf dem Teller arrangiert. Anders – so das gängige Bild im Kopf – sieht es beim Fotografen aus: Er drückt auf den Auslöser, behält stets saubere Fingerspitzen und den Rest erledigt er mit der digitalen Nachbearbeitung am Rechner.

Ich habe das Glück gehabt, einigen Fotografen und Köchen in unterschiedlichsten Situationen auf die Finger sehen zu dürfen. Sowohl Koch als auch Fotograf arbeiten auf strengen Regeln basierend. Die Ausführung ihrer Arbeit jedoch lässt viele Freiheiten und ist daher sehr von der Persönlichkeit, der Intuition und der Assoziationsfähigkeit des Machers geprägt.

Mit Jean-Marie Dumaine, dem Normannen, der schon seit über 30 Jahren sein hervorragendes Restaurant „Vieux-Sinzig“ in Sinzig am Rhein führt und Andreas Thumm, der einer der gefragtesten Food-Fotografen in Deutschland und der Schweiz ist, haben sich zwei Menschen gefunden, die ihr Handwerk so sicher beherrschen, dass sie die Anforderungen des anderen Metiers als Bereicherung der eigenen Arbeit empfinden.

Koch und Fotograf ein Bilderbuchteam

Wer einmal das Glück hatte, Andreas Thumm bei der Arbeit zusehen zu dürfen, wird dies nicht vergessen. Andreas traf ich das erste Mal anlässlich eines Shootings zu unserem Buch „Trüffeln – die heimischen Exoten“. An diesem Tag sollten nicht weniger als sieben Bilder mit Trüffelgerichten für das Buch entstehen.

Wir trafen uns zum Frühstück im „Vieux-Sinzig“ dem Restaurant von Jean-Marie Dumaine. Die gesamte Küchenbrigade versammelt sich um den kleinen Tisch im Mitarbeiterzimmer, um gemeinsam die Erfordernisse des Tages bei einer Tasse Kaffee durchzusprechen. Zu dieser Zeit war die umfangreiche Logistik schon erfolgt. Denn für die sieben Gerichte, die nicht auf der Speisekarte stehen, müssen eigens alle Zutaten frisch beschafft werden. Dies bedeutet, dass man neben dem Restaurantbetrieb noch zusätzlich ein spezielles 7-Gang-Menü für die Kamera kochen muss.

Gemeinsam mit Andreas wird die Reihenfolge der Gerichte abgestimmt. Da er die Gerichte ohne Food-Styling, also ohne eine spezielle künstliche Veränderung, ablichtet, kommt es darauf an, möglichst zügig zu arbeiten, wenn das Produkt auf dem Teller ist. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass das Gericht an Glanz, Volumen und damit im Auge des späteren Betrachters an Frische verliert. Als erstes tritt ein Dessert vor die Kamera treten, da es schon vorbereitet und nur noch arrangiert werden muss. Der „Grießbiskuit mit Trüffeln“ eröffnet also den Bilderreigen. Anschließend lichtet Thumm das „Eigelbravioli mit Grünkohl und Trüffel“ ab, bevor die schwimmenden Inseln aus Eiweiß, die „Iles flottantes mit karamellisierten Mandeln und Trüffelcreme“ und weitere Gerichte samt Außenaufnahmen anstehen. Den Abschluss bildet das „Eigelb-Ravioli mit Grünkohl und Trüffel“ samt Step by Step Fotos, die seine Herstellung bebildern.

Andreas arbeitet sehr konzentriert, ohne dabei seine Umwelt zu vergessen. Künstlerische Allüren liegen ihm eben so fern wie ein Mangel an Zielstrebigkeit. Er überlegt, wie ein Teller für das betreffende Gericht am besten aussehen könnte, ändert das Arrangement geringfügig und schon wird alles vor der Kamera platziert. Die Feinauflösung auf dem Computer zeigt, ob das Bild auch in allen Details die nötige Tiefenschärfe, vor allem aber die geforderte optische Dramatik aufweist. Andreas ist ein Handwerker, der mit umsichtiger Präzision arbeitet. Er hat ein Gespür für die Komposition, ohne den Koch am Herd zu vergessen.

Nähe und Distanz – Eigenschaften des Fotografen

Andreas Thumm ist gebürtiges Nordlicht. Dem Bremer merkt man heute – lange nachdem er ins Breisgau gezogen ist, wo er mit seiner Frau und den beiden Kindern wohnt – noch seine hanseatische Prägung an: Ohne kühl oder distanziert zu sein, legt er großen Wert auf gepflegte Umgangsformen. Selbst in Momenten, in denen höchste Konzentration gefordert ist und die Luft selbst für eine Sekunde wie elektrisiert wirkt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Andreas ist nicht aalglatt. Er hat Ecken und Kanten, er geht, wenn man so will, ungeschminkt an die Arbeit. Gerade dadurch lädt er ein, seine Persönlichkeit wahr zu nehmen und schätzen zu lernen. Nicht zufällig zeigt sich hier eine Analogie zu seinen Bildern und ich denke, dass hierin auch der Schlüssel liegt, weshalb Andreas ein sehr gefragter Foodfotograf ist.

Betrachtet man seine Bilder, übersieht man gerne das Schlichte, das Andreas wie kaum ein anderer zum Besonderen werden lässt. Rohe Tomaten erzählen bei ihm eine Geschichte, die man als Betrachter nur in einem Gefühl aufnimmt: Das Bild gefällt, es reizt den Blick, man bekommt Lust, Tomaten zu riechen, zu fühlen und zu essen. Was aber macht diesen Reiz aus: Wir sehen unterschiedliche, frisch geerntete Tomaten, die locker auf einem Holztablett liegen und bekommen sofort auf diesem Holztablett eine wunderbare Pastamahlzeit serviert. Wir haben Lust, diese Pasta mit verfeinerter Tomatensauce zu essen. Die Serviette und das Besteck liegen dezent von Sonnenstrahlen in Szene gesetzt für uns bereit und es scheint so, als wolle sich unsere Hand nach dem Gericht ausstrecken.

Vielleicht sind es scheinbar triviale Dinge, die an den Arbeiten von Andreas begeistern. Das Licht ist stets perfekt eingesetzt. Über das Handwerk müssen wir an dieser Stelle nicht reden. Wäre es nicht makellos, müssten wir nicht darüber nachdenken, ob dieser Mann ein Künstler ist, denn schließlich setzt die Kunst perfektes Können voraus. Insofern muss man Andreas einmal widersprechen, wenn er hanseatisch klar davon spricht, dass seine Arbeiten einfach gutes Handwerk sind.

Das Besondere liegt in den Details, die wir aufnehmen, ohne uns zunächst ihrer bewusst zu sein, also bevor wir ein klares Bild von dem haben, was wir sehen. Wir sehen alte Tische, alte Stühle, eine weiße Tischdecke, alte Gläser, altes Porzellan, eine Katze am Rand des Gartenidylls. Schon haben wir eine Assoziation: Es könnte der Hauch von Belle Epoque sein, den wir als Kinder in der guten Stube unserer Großeltern noch einatmen konnten. In den Bildern von Andreas entsteht aus solchen Komponenten nicht der Wunsch nach einer großbürgerlichen Sicht auf die Welt, sondern im Gegenteil: Er legt erst durch diese Entwürfe den Blick frei auf etwas Schlichtes und Einfaches. Es gibt einfache Zutaten, einfache Gerichte in einem natürlichen Ambiente. Hier wird keine Gartenlaubenidylle vermittelt, sondern stets der Blick ins Freie angedeutet. Diese Bilder machen Lust auf ein Picknick im Grünen.

Anders erscheinen die Bilder aus der Spitzengastronomie. Betrachtet man diese, dann fällt sofort der schöne Teller, das perfekt zubereitete Gericht ins Auge und auch hier ist Andreas ein Künstler. Er weiß bei aller Perfektion, die besondere Handschrift des jeweiligen Koches im Bild unmerklich in Szene zu setzen. Schauen Sie sich die Bilder an, Sie werden schnell merken, dass die Bilder unterschiedlichen Köchen zuzuschreiben sind, das aber die Bilder desselben Koches auch direkt zu einer Gruppe zusammen zu fügen sind.

Das ist mehr, als es gutes Handwerk darstellen kann. In diesem äußerst sensiblen Punkt, der über das Fotografieren an sich hinausgeht, zeigt sich der Künstler hinter der Kamera. Dafür muss man schon über eine große Portion Fingerspitzengefühl nicht nur am Auslöser verfügen.

Mehr auf Tartuffel:

Linktipps:

Website Andreas Thumm: www.andreas-thumm.de

Restaurant Vieux Sinzig: www.vieux-sinzig.de

Zum Lesen empfohlen:

Trüffeln – die heimischen Exoten

Bei Amazon zu erwerben

Mehr auf Tartuffel

Unser Patron éditorial Dieter Müller eröffnete den Reigen .Heute beantwortet Christoph Rainer von Luce D´Oro im Schloss Elmau unsere Fragen.

Gerade ist sein erstes Kochbuch: "My Culinary Ikigai" erschienen.

Der Fragebogen aller Fragebogen…

Anspruchsvoll. Vielversprechend. Vollmundig. Das neue Restaurantkonzept von Nils Henkel überzeugt auf ganzer Linie. Ein außergewöhnliches Konzept, passend zum außergewöhnlichen Spitzenkoch mit dem man im außergewöhnlichen Severins Resort &…

Wir alle leben unter demselben Himmel, aber lange nicht mit demselben Horizont. Jeder, der einmal eine Reise unternommen hat, weiß davon zu berichten. In einer Zeit, in der Heimat mit ministeriellen Ehren versehen und Grenzen errichtet…

Die abendländische Literatur kümmert sich, so könnte man meinen, um jedes Problem. Eines allerdings lässt sie, wortgewandt wie sie ist, unbetitelt und ja, auch ohne ein Wort. Dabei handelt es sich hierbei um etwas, das uns alle angeht und…

Der Fragebogen aller Fragebogen findet sich in einem Roman. Marcel Proust stellt ihn als Gesellschaftsspiel der feinen Salons in seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" vor und auf. Er ist insofern Vorbild für den "Tartuffel" Fragebogen,…

Es ist ein Proust’sches Hobby von „Tartuffel“, Köche und Kritiker, Fotografen und Autoren nach ihren privaten Kochleidenschaften zu befragen. Was darf  im Kühlschrank zuhause nicht fehlen und worauf dürfen sich Gäste freuen, die zum Essen…