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Heimat 2.0 Kulinarisch

Eine Menge Bewegung ist in deutschen Küchen zu beobachten. Nachdem lange den französischen Nachbarn nachgeeifert wurde stehen nun regionale Besonderheiten im Fokus des Interesses. Nachhaltigkeit ist dabei keine Worthülse, sondern in vielen Betrieben Kern der kulinarischen Planungen, beginnend bei den Mitarbeitern und deren Arbeitszeiten. Doch was macht die Deutsche Koch-DNA aus? Was ist ihr Markenkern? Gibt es hier viele regionale Antworten, oder auch nationale Gemeinsamkeiten? Ein Workshop der Jeunes Restaurateur und der Food Editoren sucht unter dem Titel Heimat 2.0 nach Antworten und findet überraschend: Weltoffenheit.

Workshop der JRE Köche und FEC Food Journalisten

„Gut allein kochen reicht nicht!“ Es ist das berühmte Zitat des Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann. Was er einmal an einen seiner Musterschüler, in diesem Falle Roland Trettel adressierte, war für den Meister mehr als eine Mahnung, es war ein durch Erfahrung erarbeitetes Credo. Denn nur durch gutes Kochen hätten die Köche, die später als Stars der Nouvelle Cuisine galten nicht von sich reden gemacht. Witzigmann, der durch seine Stationen bei den Brüdern Haeberlin, die ersten Berührungspunkte zur Nouvelle Cuisine hatte, vertiefte sein Verständnis dieser damals als frisch apostrophierten Küche, die sich den Kampf gegen die Industrialisierung der Lebensmittel auf die Fahnen geschrieben hatte und mit marktfrischen, regionalen Angeboten kulinarisch zu überzeugen wusste, bei den führenden Vertretern dieser neuen Küche wie: Paul Bocuse, Roger Vergé, sowie den Brüdern Troigros.

Er hatte nicht nur die Idee dieser Küche verstanden und mit allen Sinnen aufgesogen - seine morgendlichen Überlegungen zur täglich neu zu schreibenden Speisekarte waren unter seinen Mitarbeitern nicht nur sprichwörtlich, sondern auch täglicher Ansporn das Beste aus den vom Markt besorgten frischen Produkten zu machen – sondern auch verstanden, dass eine gute Küche ein Konzept benötigt, das erklärt und unter die Leute gebracht werden will. Kein Wunder, das einer der namhaftesten Restaurantkritiker dieser Zeit, die Ideen dieser Küche begeistert aufnahm und das deutsche Küchenwunder auf folgende Formel brachte:

„Es gab eine Küche vor Witzigmann und es gibt eine Küche seit Witzigmann.“ Und Wolfram Siebeck sollte durch dieses Bonmot entscheidend dazu beitragen, dass sich die Ideen dieser neuen Küche in Deutschland verbreiteten. Spätestens als Eckart Witzigmann der dritte Stern verliehen wurde, stand Deutschland selbst für staunende Franzosen unwiderruflich auf der kulinarischen Weltkarte des Micheln.

Schaut man auf die Liste der Köche, die im Laufe ihrer Ausbildung bei ihm in der Aubergine waren, begreift man, wie wichtig sein Einfluss auf die deutsche Spitzengastronomie bis heute ist. Doch was zeichnet die deutsche Spitzengastronomie heute aus? Wie setzt sich die deutsche kulinarische DNA zusammen? Eine Frage, die Joachim Wissler in Dresden anlässlich der Preisverleihung des Deutschen Archivs für Kulinarik ganz offen stellte, da hier noch ein weites Feld zu besetzen ist.

Eine Frage, die zuweilen wie ein Elefant in den Küchen der deutschen Spitzengastronomie steht. Denn nachdem man sich lange Zeit an der französischen Klassik orientiert hatte, wurde das Feld der Koch-Zusammenhänge durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zuge der Molekularküche und die neuen Wege, welche die Nordic Cuisine aufzeigte, wesentlich erweitert. Denn anhand dieser Arbeiten entstand zum einen ein vertieftes Verständnis der Kochvorgänge und ein neuer Bezug auf regionale Lebensmittel.

Heimatküche 2.0: Der Workshop von JRE und FEC

Zu diesem Zweck trafen sich ausgewählte Köche der Jeunes Restaurateurs JRE und Food Editorinnen des Food Editors Club FEC zu ihrem 3. gemeinsamen Workshop. Die ersten beiden Workshops standen unter dem Motto „Nachhaltigkeit und Convenience“, sowie „Vegan“. Ziel der von Christian Bügel K1 Agentur und Nikolai Wojtko Agentur für Gastrosophie 2022 entwickelten Reihe ist es, einen inhaltlich fundierten Austausch zwischen Food-Profis am Herd und am Schreibtisch, bzw. in den Restaurants und Redaktionen auf Augenhöhe zu gewährleisten. 

Am 04.11.2024 trafen sich die Food Editorinnen Sarah Schocke, Julia Uehren und Anja Tanas mit den JRE-Köchen Andi Widmann, Felix Dietz, Simon Schlachter, Tobias Bätz in den Räumlichkeiten des diesjährigen Gastgebers Rungis Express in Meckenheim.

In seinem Eingangsvortrag verwies FEC-Mitglied Nikolai Wojtko mit Blick auf die Restaurant-Geschichte auf die Möglichkeiten von Köchen und Restaurateuren, Innovationen im kulinarischen Bereich zu befördern. Entscheidend dafür seien zum einen ein klares Konzept oder Manifest im Zusammenspiel mit einer wie im Beispiel der Nouvelle Cuisine medialen, oder wie am Beispiel der New Nordic Cuisine politischen Unterstützung. Mit Verweis auf die gerade vom Deutschen Archiv für Kulinarik gewürdigten fünf Rezepte namhafter Köche, zeigte er auf, wie Heimat an dieser Stelle kulinarisch bewertet wird.

Die Kochbuchautorin und Ökotrophologin Sarah Schocke stellt fest, dass Heimatküche nicht nur alle Beteiligten emotional abholen kann, sondern darüber hinaus eine sehr spannende und sinnvolle Brücke darstellt, um vor allem auch junge Menschen anzusprechen, sich für leckeres, gesundes und eine umweltbewusste Ernährung zu interessieren und zu begeistern. Vor allem sollte man bei einem zukunftsfähigen Konzept, das wie Heimat ja stark an Emotionen gebunden ist, die Kinder mit ins Boot holen, um ihnen kulinarische Angebote zu machen, die Heimat schmeckbar werden lässt und zugleich umweltbewusst zubereitet werden. Mit anderen Worten: Ein klassisches Gulasch kann großartig werden, vor allen Dingen, wenn es aus guten Zutaten zubereitet wird, wenig Fleisch enthält und aromatisch begeistert.  

Die Medienjournalistin Anja Tanas stellt den kulinarischen begriff Heimat anhand der medialen Umsetzung dieses Begriffs im WDR vor. In den letzten rund 20 Jahren transformierte die Berichterstattung von der Idee der traditionellen Küche der Großmutter zu den persönlich aufgeladenen Geschichten der unterschiedlichen Menschen, die im Sendegebiet leben. Heimat wurde so vom Sehnsuchtsort vergangener Zeit in die Gegenwart transportiert, abwechslungsreich, modern und vielschichtiger. 

Die Wein und Food-Journalistin Julia Uehren analysiert in ihrem Vortrag die kontextbezogenen Wechselwirkungen des Begriffs Heimat auf kulinarischer Basis. Hierzu befragte sie Kollegen des Food-Editors Club ebenso wie ChatGPT und verweist auf den Erfolg der Werke von Yotam Ottolenghi, der durch seine Kochbücher einen ganz persönlichen und kosmopolitischen Begriff von kulinarischer Heimat geprägt hat: Es sind die unterschiedlichsten Orte, die uns kulinarisch beeinflusst haben. Einfach zum Nachkochen zu Hause.

Grenzenlose Heimat

Die Jeunes Restaurateur sind mit Köchen vertreten, die sich schon länger ihrer jeweiligen Region kulinarisch verschrieben haben und dies auf so unterschiedliche wie beeindruckende Weise. Heimat ist auf ihren Tellern kein Sehnsuchtsort längst vergangener Zeiten, sondern im Gegenteil ein Blick in die kulinarische Zukunft: Aromatisch, überzeugend, humorvoll, vielschichtig. Schnell zeigt sich, dass die Beschäftigung mit dem Thema Heimat auf kulinarisch kluge Art das Besondere herausstellt, in dem gedankliche Grenzen überwindet.

Simon Schlachters Heimat ist das Allgäu. Und Simons Passion ist es, seine Heimat weltoffen auf den Tellern zu präsentieren. Beste regionale Zutaten werden hier gerne in einer asiatischen Zubereitung gereicht. Alpenküche mit asiatischen Einflüssen.

Andreas Widmann zeigt mit seiner Interpretation der schwäbischen Küche, dass man fest verwurzelt in seine Region und ihre kulinarischen Traditionen sein und sie zugleich in filigraner Leichtigkeit und aromatischer Finesse präsentieren kann. Die Deklination der schwäbischen Alblinsen, die er den versammelten Teilnehmern präsentiert, zeigt mit leichter Hand, was an kulinarischen Möglichkeiten in diesem regionalen Produkt steckt – von Vorspeise bis Dessert in unterschiedlichen Texturen und aromatischen Zusammenhängen von Sauer bis Süß. Überraschend. Überzeugend. Anregend.   

Hamburg: Felix Dietz stellt mit Krabben, Kohl und Kümmel unter Beweis, daß man seine drei kulinarischen Heimatregionen, Bayern, Österreich und Hamburg in einem kulinarisch feinen Zusammenspiel auf den Teller bringen und Heimat als Verbindung ganz unterschiedlicher Regionen schmackbar werden lassen kann.

Franken, Tobias Bätz: Tobias Bätz hat das Regionale zum Aushängeschild seiner kulinarischen Überlegungen werden lassen. Gemeinsam mit seinem Freund und Food Scout Joshi Osswald hat er in den letzten Jahren ein dichtes Netz an regionalen Lebensmittelproduzenten gewoben. Darunter auch die Texas Longhorn Ranch, welche die Küche mit dem außergewöhnlich aromatischen Fleisch ihrer Tiere, die man auf den ersten Blick nicht in Franken vermuten würde, aber auch mit ausgezeichneten Destillaten versorgt. Die Vielfalt der fränkischen Lebensmittel wird in seiner Küche nicht nur schmeck- sondern vor allen Dingen für alle Sinne erlebbar. Dabei kommen traditionelle Techniken wie Fermentation und Einwecken ebenso zur Anwendung wie modernste Küchentechniken. Grüne Erdbeeren werden ganz so wie ein lange getrockneter Schinken von der Steckrübe zu einem zeitlosen Genuss, der in Erinnerung bleibt. Und spätestens, wenn man das Karotten-Beef-Jerky probiert, weiß man, dass man hier Gemüse genießt, das in der Zubereitung wie Fleisch behandelt worden ist. Fränkischer Genuss, jamaikanisch inspiriert. Heimatküche schon heute für die Zukunft gedacht.

Die Arbeiten der Jeunes Restaurateur stellen eindeutig unter Beweis: Heimat kulinarisch betrachtet ist kein romantischer Sehnsuchtsort, sondern ein moderner deutscher Kochstil, der regionale Lebensmittel weltoffen zubereitet und damit kulinarisch auf die Weltkarte setzt. Heimat – ein spannendes Thema auf dessen kulinarische Weiterentwicklung wir uns alle freuen dürfen.

 

 

 

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