Geschriebene Kochkunst - Stevan Paul: Der große Glander
Stevan Pauls großartiges Romandebüt "Der große Glander"
Was bleibt von einem Koch in Erinnerung? Es ist schwierig eine endgültige Antwort auf diese Frage zu geben, denn Kochen, auch wenn es durch einen Meister seines Faches bis zur Kunstform perfektioniert wird, ist seiner Natur nach ein flüchtiges Handwerk. Im Unterschied zu Musik, die auf Tonträgern festgehalten und stets aufs neue genossen werden kann, steht die Kochkunst für unmittelbaren Genuss. Fotografien können zwar die Ästhetik des dargereichten Tellers dokumentieren, den Geschmack jedoch können sie nicht vermitteln. So betrachtet ist Kochen eine vergängliche Kunst, doch zugleich markieren prägende Geschmackserlebnisse bleibende Erinnerungen in uns.
Es ist daher kein Zufall, dass sich die Kunst immer wieder dem Kochen zuwendet. Eine spezifische Zuspitzung erfährt die Verschmelzung von Kochen und Kunst in der Eat-Art Bewegung der 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Daniel Spoerri betrachtete das Kochen als Teil der bildenden Kunst und unternahm den Versuch plastische Momentaufnahmen von gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten zu fixieren. Zwischen 1968 und 1972 betrieb er in Düsseldorf ein eigenes Restaurant mit einer Eat Art Gallery.
Eat Art Glander
Eat-Art ist das Zentrale Thema von Stevan Pauls ersten Roman „Der große Glander“. Dabei verabschiedet sich der Autor relativ schnell vom realen Vorläufer und dekliniert das Thema der Kunst und des Kochens auf leidenschaftliche Weise. Man merkt es dem Roman an, dass er über die Jahre im Autor gewachsen ist. Schreiben, Kunst und Küche sind die Themen, in denen der gelernte Koch, Foodstylist, Blogger, Rezeptentwickler, Journalist und Autor bestens bewandert ist und der Roman erzählt zwischen den Zeilen auch vom Ideenreichtum und der Freude des Autors beim Schreiben. Aber bleiben wir – in Gedenken an Robert Gernhardt – auf der Zeile.
Der in Ravensburg auf- und in Hamburg verwachsene Paul entwickelt mit Gustav Glander eine Figur, die in manchen biografischen Bezügen an den Autor denken lassen kann, sich aber so stark von ihm unterscheidet, das man die Idee, hier könne ein alter ego des Autors in den Text gewandert sein, sogleich wieder verwirft. Wir haben es mit einem vielschichtigen Plot zu tun, angesiedelt zwischen Bodensee, Allgäu, Hamburg und New York, Kunstausstellungen, Restaurants, Museen und Schlachthöfen. Doch der Reihe nach.
Gustav Glander weiß wie so viele Abiturienten nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Es ist seine Freundin Katrin, die ihn auf die Idee bringt im Ort ein Kino zu eröffnen. Da Katrin als Cineastin nur Filme zeigt, die den Geschmack des Publikums vom Lande nicht wirklich treffen, ist das gemeinsame Leben nur von kurzer Dauer. Doch zur finalen Party mit der das Kinoprojekt wie auch die Beziehung ein Ende finden wird, geben sich nicht nur die Leningrad Cowboys, sondern auch Aki Kaurismäki höchst selbst die Ehre, um in diesem kleinsten Kino des Landes aufzutreten. Es wird gefeiert bis der Morgen anbricht und die Poesie wie in einem dieser in blauen Farben gehaltenen Filme der achtziger Jahre mit den ersten Sonnenstrahlen stirbt. Glander zieht es nach New York, wo er an der Kunstakademie ein Stipendium erhalten hat. Hier freundet er sich mit Tad an, einen New Yorker polnischer Herkunft, der in seinem Deli nicht nur die morgendlichen Spiegeleier für Gustav zubereitet, sondern auch das beste Pastrami-Sandwich der Stadt. Früh entwickelt der Kunststudent Interesse an den Schlachthöfen New Yorks. Das lebendige Tier wird portioniert zur Ware. Aber in einzelnen Teilen des Tieres, wie der Zunge gibt sich das Stück als Teil eines vorher da gewesenen Ganzen zu erkennen. Und es werden Zungen sein, die Glander zu seinem ersten Eat-Art Happening verwenden wird. Der Kunstbetrieb wird auf den schweigsamen Mann aufmerksam und ein Kunsthändler bietet Gustav seine Unterstützung an. Glander verdient zwar in der Folge gut, möchte jedoch die Mechanismen des Kunstmarkts nicht bedienen. Er verschwindet von der Bildfläche und wird so zu einem Mysterium, zum Fehler im System, der einen besonderen Reiz ausübt.
Gerd Möninghaus, Redakteur eines von der Rationalisierung betroffenen Kunstmagazins und auch sonst von einer lang andauernden Midlifecrises gezeichnet, meint Glander in einem Hamburger Restaurant gesehen zu haben. Das wäre natürlich eine Geschichte, die sein Kunstmagazin und damit auch seinen Job retten und ihn sicherlich aus der Krise bringen könnte. Abenteuerlust durchzuckt Möninghaus, der in der Geschichte auf jeden Fall die Möglichkeit sieht, seinem grotesk winzigen Büro für einige Zeit zu entfliehen. Und endlich, so könnte man sagen, begibt er sich in seinem Leben auf die Suche.
Genussvolle Lektüre
Paul entwickelt in seinem Roman lediglich einen zarten Spannungsbogen, er ist nicht so sehr an einem Kunstthriller interessiert, als an den Personen, die er liebevoll entwirft und betrachtet. Klar und unmissverständlich aber ist seine Botschaft: Gemeinsamer Genuss, das ist die Kunst in der Gegenwart. Vom gemeinsamen Essen in Ruhe und Freundschaft reden wir sehr wahrscheinlich so oft, wie wir alleine vorm Fernseher essen. In „Der große Glander“ aber wird die Botschaft tiefgreifender. Jenseits der Märkte, heißen sie nun Kunst-, Super- oder Biomarkt sollten wir uns wieder selbst wichtig und uns also Zeit für andere nehmen. Mit Freunden zu kochen und zu essen, Gemeinsamkeit zu feiern und Zeit zu verschwenden, das ist die Kunst an die Paul mit seiner Idee der Eat-Art appelliert.
Im Buch sind insgesamt 60 Rezepte versammelt. Dagegen kann Johannes Mario Simmel einpacken. Günter Grass, der ehemalige Kaschubische Kartoffeltümmler, der Worten wie Rezepten so viel Gewalt angetan hat, aber mal erst recht. Denn hier schreibt einer, der Spaß an der Zubereitung von Gerichten und Freude an deren literarischer Beschreibung hat. Kein Wunder, dass die Blechtrommel bei einer Eat Art Performance seinerzeit in Düsseldorf verwurstet wurde, da war nicht viel mehr drin, als Fett und Wasser in schnittfester Form. Ganz anders dieser Roman, der galant und rezeptfreudig daher kommt, sich dabei so leicht liest wie sich ein herrliches Soufflé weglöffeln lässt. Keine Frage, das die im Buch beschriebenen Rezepte alle auch eine Geschichte des Autors erzählen: das Menü, welches der Kunsthändler Feininger genießt, stammt im wirklichen Leben von Laurent Poulet und war für Stevan Paul die Erweckung in Richtung konsequenter Qualitätsproduktküche.
Was uns zur Eingangs gestellten Frage zurück kommen lässt: Was bleibt von einem Koch in Erinnerung? Es sind Bücher. Das erste nach der Bibel auf der Gutenbergpresse gedruckte Buch entstammt der Feder eines Kochs und es erfreute sich so großer Beliebtheit, dass wir den Text des ersten Rezeptes dieses Buches noch heute in kollektiver Erinnerung haben, auch wenn der Koch lange vergessen ist. Das Rezept ist uns als Kinderreim präsent, es beginnt mit den Zeilen: „Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen....“
Stevan Paul widmet seinen Debut-Roman - und an dieser Stelle verschmelzen Kulinaristik, Kunst und Schriftstellerei zu mehr als reinem Handwerk - dem viel zu früh verstorbenen Albert Bouley. Paul hat bei diesem grandiosen Koch in Ravensburg seine Kochlehre absolviert. Viele Passagen des Romans charakterisieren den Meister, dessen visionäre Kochkunst Paul ganz nebenbei eine Referenz erweist, indem er einen 30 Jahre alten Signatur Dish Bouleys in die gegenwärtige Zeit des Romans schmuggelt. Mehr als auf dessen Rezepte geht Paul auf die Philosophie seines Lehrers ein und schildert mit leichter Feder die Liebe dieses Mannes zu seinem Handwerk. Mit „Der große Glander“ hat er Albert Bouley ein Denkmal gesetzt. Und zugleich im Gedenken an den Meister eine Ode an das Leben verfasst: Das Leben, so wissen wir, ist endlich. Wir sollen es in vollen Zügen genießen.
Jetzt habe ich ganz vergessen, noch etwas zu Robert de Niro zu schreiben, aber lesen Sie selbst.
Stevan Paul – „Der große Glander“
mairisch Verlag, Hamburg 2016
ISBN 978-3-938539-40-8
Hardcover im Leineneinband (Buchgestaltung: Carolin Rauen)
Titelprägung
288 Seiten
Lesebändchen
20,00 €