Geschmack klar genießen

Lange führte das Thema alkoholfreie Getränke eine eher stiefmütterliche Rolle. Ganz so, als würde wir uns bei Weinen noch auf die Unterscheidung von Farben konzentrieren und Kaffee ausschließlich in Papier gefiltert zu uns nehmen. Die Entwicklung der Wein- und Kaffeewelt der letzten Jahrzehnte scheint an unserem Umgang mit alkohlfreien Getränken spurlos vorüber gezogen zu sein. Noch immer denken wir diese Kategorie vornehmlich in Wasser, Saft und Softdrinks. Was uns aber dabei entgeht, zeigt Nicole Klaus mit ihrem so fundierten wie anregenden Buch zur vielfältigen Welt der Getränke, die beleben, ohne zu sedieren. Gegen die Anästhesie des Alkohols setzt sie auf die Ästhesie des Geschmacks.  

Als gelernte Sommeliere in der Weinwelt zu Hause, beginnt die Reise in die alkoholfreie Getränkewelt so, wie der Wein in erster Linie im Restaurant gedacht wird: Als passender Begleiter zu den Speisen.

Beim Pairing steht die Speise an erster Stelle und das Getränk ist die dahinter positionierte Begleitung. Ein Getränk sollte die Speise nicht erdrücken und nicht selbst der Star auf der Bühne sein. Ein gereifter Burgunder würde ein Sushi geschmacklich demolieren. Aber ein schöner Tee aus Genmaicha lässt dem Sushi seine Bühne, seinen Aromen kommen voll zur Geltung, der Tee wirkt hier wie ein leichter Kaschmirschal: Nicht zu präsent, aber angenehm als wärmende Begleitung. Und es sind diese Bemerkungen der gelernten Sommeliere, die die Augen für die Möglichkeiten alkoholfreier Getränkebegleitungen öffnen. Wir sollten in der Tat dem Thema Alkoholfrei nicht nur in Sachen Speisebegleitung mehr Aufmerksamkeit widmen. Warum? Weil man schon an der Verwendung des Wortes unmittelbar feststellt, das es eben nicht der Normalzustand in unserer Gesellschaft ist. Treffen, Partys, gemeinsame Essen und Familienfeiern: Alkohol ist ein beständiger und sehr vielseitiger Begleiter. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, das diejenigen, die keinen Alkohol trinken möchten, auch heute noch unter Erklärungsdruck geraten. Es sollte – wenn überhaupt – eher andersherum sein. Aber wer wollte sich in einer Bar dafür entschuldigen, das er Alkohol zu sich nimmt? Eben! 

Schon gehen wir die Grundgeschmacksrichtungen durch. Lernen die Besonderheit verschiedener Zuckersorten und die kniffeligen Details zum Kauf von reinem Ahornsirup, machen Bekanntschaft mit Verjus und Essig, um die Säure strukturbildend ins Glas zu transportieren, erkennen das Glück im Bitteren und machen uns Gedanken zu Salz in Getränken, um dann von Umami auf den alkoholfreien Wohlgeschmack zu kommen und schon haben wir die Welt des Cocktail-Kochens in seinen Grundlagen durchstreift. Kurzweilig und informativ. Und auf einmal kommt es uns ganz selbstverständlich vor, eine Sojasauce gemeinsam mit Gorgonzola und verschiedenen Fruchtsäften als gleichberechtigte Zutaten für einen Drink zu erkennen, den wir einen der üblichen Cocktails auf jeden Fall vorziehen wollen, nicht nur im Hinblick auf die weitere Fahrtüchtigkeit.

Doch nach diesem Getränke-Grundstudium in Sachen alkoholfrei nimmt uns die kundige Autorin weiter an die Hand, um uns im atemberaubenden Tempo über Temperaturen, Rühr-und Rütteltechniken, die Verwendung von Kohlen- und Ascorbinsäure zu unterrichten, bevor wir dann ans Eingemachte die Tees, Limonaden und Getränke auf Essigbasis gehen. Und schon sind wir Fit für die kommenden Masterclasses.

Entalkoholisierte Weine und Tee

Der Titel kommt in seiner scheinbaren Sperrigkeit direkt auf den Punkt: Denn alkoholfreie Weine müssen zunächst eines sein: Klassische Weine und keine Traubensäfte. Diesen Weinen wird der Alkohol entzogen – ein aufwändiger Prozess, der darauf schließen lässt, das diese Weine eigentlich teurer sein müssten, als die Weine aus denen sie erst entstehen können. Die Entwicklung der alkoholfreien Weine hat zwar nicht erst gestern begonnen, aber erst allmählich gibt es hier spannende Getränke zu entdecken. Gleichwohl sollte man in den entalkoholisierten Weinen nicht den alleinigen Schlüssel suchen, um Weine zu ersetzen, sondern seinen Fokus auf die vielfältigen Möglichkeiten, jenseits des klassischen Weins als Speisenbegleiter setzen.

Tee ist als Getränk, wie auch als Speisebegleiter in seiner Charakterstärke, wie seiner Vielseitigkeit dem Wein in vielen Punkten ähnlich. Nun gibt es beim Wein natürlich mehr Rebsorten und mehr Anbaugebiete mit unterschiedlichen Charakteristika. Aber auch der Tee punktet durch stark unterschiedliche Sorten, Variantenreichtum im Geschmack und Veränderung in Aussehen, Farbe und Duft allein durch die Art seiner Zubereitung, seiner Temperatur und seiner Darreichungsform. Es gilt, Tee genauer zu studieren, denn man kann ihn durchaus bewerten, wie einen guten Wein und das vom Hügel seines Anbaus an. Denn auch beim Tee kommt es auf die Region, die Lage, den Jahrgang und natürlich - ähnlich dem Winzer – seinen Produzenten an: Welche Philosophie verfolgt er schon bei den Böden, welche bei der Bearbeitung der Teepflanzen, welche bei der Ernte und Verarbeitung? Dazu werden die Leser in diesem Buch fündig, denn die Autorin arbeitet hier so kenntnisreich wie ambitioniert und am Ende versteht man, weshalb Tee eine ernsthafte Alternative zu Wein sein kann, nicht nur wenn es um die Begleitung von Speisen geht.

Doch hier hört das Buch noch nicht auf, denn es öffnet den Horizont für nachhaltige Arbeit an der Bar und also bei der Zubereitung der alkoholfreien Getränke. Das fängt schon bei der Beschaffung an und so gibt es ein Kapitel zur sinnvollen Veredelung von Resten, sowie zum Foraging und zum Sammeln in Wald und Wiese.

Und dann fragt man sich, warum man genussvolle Getränke nicht in erster Linie ästhesierend, belebend ohne alkoholische Anästhesie, vorstellt. Es wird Zeit. Santé!

Tartuffel empfiehlt:

Nicole Klauss: Alkoholfrei. Grundlagen. Rezepte. Pairings. 336 Seiten. ISBN: 978-3-03902-168-0
2. Auflage, 2024, 36,00€