Gekochte Philosophie
„Einfachheit“ war die Dissertation von Malte Härtig überschrieben. Und mit diesem einen Wort brachte er das Wesen der japanischen Hochküche – der Kaiseki – auf den Begriff, den er sich vorher in über 400 Seiten akademischer Versenkung im Bergwerk des Begriffs erarbeitet hatte. Um dahin zu kommen, hatte er eine Kochausbildung in Deutschland absolviert und erlernte dann die Besonderheiten der Kaiseki Küche als Kochlehrling in Japan. Und vielleicht ist es diese Kunst - einen kompliziert erscheinenden Zusammenhang, seine Entstehungsgeschichte und kulturelle Determination nicht nur sprachlich zu analysieren, sondern eben auch praktisch zu erfahren und verdichtet auf den Punkt zu bringen -, der einen Erkenntnisgewinn in sich selbst trägt.
„Von Zen und Sellerie. Unsere japanische Küche – ein philosophisches Kochbuch“ ist also nicht, wie der oberflächliche Blick auf den Titel vermuten lassen könnte, ein typisches Produkt einer Wellnessindustrie, die ihre schmalen Erkenntnisse gerne in einem exotischen Licht mit dem Hauch von Philosophie – zumindest im Titel – veredeln möchte. Im Gegenteil. Und darauf macht schon das liebevoll erarbeitete Cover des im AT-Verlag erschienen Buches aufmerksam. Das unter goldenen Lettern abgebildete Sellerieblatt, erscheint wie aus einem Nebel aufzusteigen und wirkt so künstlerisch entrückt. Sellerie, so wird dem Betrachter klar, ist hier nicht einfach ein Gemüse, dass man nach erlernten Rezepten zerstückelt und zubereitet. Hier ist es mehr: Anregung zum Nachdenken und zum Dialog. Das dies kein Zufall ist, wird schon bei der Lektüre der Einleitung klar. Denn Koch und Fotografin befinden sich hier in einem Dialog, der sich aber nicht selbst gefällt, sondern den Leser im Blick behält. Wie bei Sokrates – dessen von Platon aufgezeichneten Dialoge ja als Wiege der europäischen Philosophie angesehen werden – entwickeln sich die Dialoge durch die Betrachtung der Dinge, welche hier – im Unterschied zum Symposium - die Dinge des Kochens, des Schreibens und des Fotografierens sind. Dabei definieren sich die handelnden Akteure eben noch nicht durch ihre Handlungen, sondern durch die Sprache darüber. Dialog, so wird hier gezeigt, steht am Beginn der praktischen Arbeit, zugleich aber ist sie die Reflektion der im Buch dokumentierten Leistung und fasst diese für den Leser zusammen. Das Nachdenken über die Arbeitet führt zu neuen Sicht- und Handlungsweisen. Ganz einfach.
Unsere Philosophie des Zen
In Vorwort zum Buch gliedert sich der Text an den Techniken der Küche. Kochen ist schneiden, Würzen ist Philosophie und vor dem Kochen stellt sich zunächst die Frage nach dem Wesen der Dinge. Was sich so banal anhört, ist ein zentraler Schritt des Nachdenkens vor der das Denken vollziehenden praktischen Tätigkeit. Wie kann ich ein Lebensmittel so verändern, um dessen Charakter und Aroma bestmöglich auf die Teller zu bringen? Mit anderen Worten: welche Schnitte sollten unternommen, wie viele Veränderungen durch Koch- und Würzvorgänge vorgenommen werden? Es ist die Art, das Kochen neu zu denken, es wegzuführen von übertünchenden Saucen, zu viel Gewürzen, Eintöpfen und zu langen Garzeiten. Die Arbeit in der Küche wird so zu einem verschwindenden Vermittler zwischen dem Lebensmittel und seiner Präsentation am Tisch. Betrachtet der Gast diese Präsentation, kann er über das Essen in einen stillen Dialog mit den Koch eintreten, sich Gedanken über dessen Tätigkeiten und Überlegungen machen und so die perfekte Grundlage für ein erstes Tischgespräch finden. Die Frage nach dem „Warum?“ eröffnet ja stets den Raum für praktische und philosophische Erörterungen.
Jahreszeiten
Diese Struktur behält das Buch auch in seinen nach Jahreszeiten unterteilten Kapiteln bei. „Was ist eigentlich der Frühling?“, steht da als erste Frage, die mit unterschiedlichen Erfahrungen beschrieben und eben nicht mittels einer Feststellung beantwortet wird. Natürlich, denn der Frühling ist ja auch so vielschichtig, wie die Veränderungen, die er nach einem langen Winter mit sich bringt. Die Rezepte – wie Klare Frühlingssuppe – unterstreichen diese Erfahrungen und führen mit leichter Hand in die Zubereitungstechniken der japanischen Küche, wie man sie bei uns einfach am Herd umsetzen kann. Der Staudensellerie taucht ein erstes Mal mit anderen zarten Gemüsesorten auf, um die Grundlage für ein Frühlingsgemüsetempura zu bilden und im nächsten Rezept im Zusammenspiel mit Kartoffeln in Miso den Bogen zu heimischen Geschmacksbilder zu ziehen, ohne auf die Unterschiede der verwendeten Zutaten verzichten zu wollen. Miso und Kombudashi sorgen hier im Zusammenspiel mit getrockneten Shiitakepilzen für ein Spiel komplexer Aromen, welches die Bitterkeit des Selleries einzubinden und den Esser zu begeistern versteht. Aufgelockert werden die einzelnen Rezepte durch Hinweise zum gelingenden Reiskochen, zur Tempuratechnik oder zur richtigen Matcha-Zubereitung. Spätestens, wenn man dann beim Quitten- und Holundergelee angekommen ist, wünscht man sich die reifen Früchte jetzt schon herbei. Aber bis dahin gibt es noch einiges zu Lesen, zu kochen und natürlich zu reden. Über Zen und Sellerie, eine kulinarische Philosophie, die ganz praktisch zu Dialog anregt.
Tartuffel empfiehlt:
Malte Härtig, Jule Felice Frommelt: Von Zen und Sellerie. Unsere japanische Küche – ein philosophisches Kochbuch. AT-Verlag Aarau und München 2019, 208 Seiten geb., 28,-€