Geduld
„Hühnersuppe heilt“, betitelte Wiglaf Droste einst ein von ihm geschriebenes Gedicht und empfahl die Suppe selbst herzustellen, um einer lästigen Erkältung den Gar aus und die Fluppe wieder an zu machen. Indem der kulinarische Freigeist das Rezept in Lyrik fasste, gab er auch an:
„Um sich königlich zu runden, braucht die Sache gut vier Stunden.“ Nun kann man bei einer handfesten Erkältung die Zeit am besten dösend vor dem Fernseher oder gleich im Bett verbringen. Was aber macht man, wenn man von Krankheit geschlagen und von Hunger geplagt ist? Man macht entweder in der Zwischenzeit etwas anderes, oder übt sich in Geduld.
Geduld, so heißt es, ist eine menschliche Tugend. Gewiss, betrachtet man sie von ihrem namhaften Gegenteil, der Ungeduld aus. Ungeduld kann der Tod eines jeden Gesprächs sein, aber auch – denkt man etwa an das Wippen eines nervösen Beines eines jungen Menschen, der einem in Bus oder Bahn gegenübersitzt, um an dieser Stelle lediglich ein harmloses Beispiel zu geben - die Nerven Unbeteiligter arg strapazieren. Doch ähnlich wie das Gute definiert sich die Geduld nicht über ihr scheinbares Gegenteil. Denn das Gegenteil von gut ist ja nicht schlecht, sondern schlicht das so allgegenwärtige wie unausrottbare „gut gemeint“. So, wie der Vater dem Kind, welches auf holprigen Wege stolpert und sich die Knie aufschlägt, noch einen Klapps auf den Hinterkopf gibt, um zu unterstreichen, es solle halt in Zukunft besser aufpassen, sagt man dann entschuldigend zum Kind. „Aber du kennst Vater doch, er hat es nur gut gemeint.“
Geduld aber trägt ihr Gegenteil schon im Namen: es ist die Duldung, das gerade noch Aushalten eines Zustands, den man aber nur gutmeinend hinnimmt, da man ihn oder seine Einstellung dazu nicht ändern kann oder will. Duldung will nicht ändern, sondern heimlich leiden. Duldung ist passiv und betet um Veränderung. Geduld hingegen möchte zielgerichtet warten und zur richtigen Zeit, vielleicht nur heimlich im Hintergrund, die richtigen Zutaten zusammenstellen. Geduld lässt der Mise en place Ruhe, um zum geeigneten Moment die Zeit schmeckbar werden zu lassen. Die angesprochene Hühnersuppe braucht ihre Zeit, dann aber entfaltet sie ihr volles Aroma und ihren Wohlgeschmack. Die Suppe wird den Kranken sicherlich nicht einfach heilen, aber sie gibt ihm Wärme und vielleicht auch schon wieder Zuversicht, zumindest darauf, dass er bald wieder auf die Beine kommt. Er braucht dafür lediglich noch ein wenig Geduld.