Fischbrötchen Deluxe
[Mohltied!]
Was fällt einem zu Norddeutschland ein, wenn man gerade mal nicht da ist? Neben vielen Dingen auf jeden Fall: Wellen, Meer, Fisch und Krabben. Und natürlich der Klabautermann, der einen daran erinnert, dass man Hunger, aber schon lange keine Fischbrötchen mehr genossen hat. Klar, es ist ein Klischee, dass man Fischbrötchen nur im Norden essen kann, denn die gibt es natürlich auch im südlicher gelegenen Binnenland zu erwerben. Aber die Brötchen der gängigen Ketten haben so ihre Mängel. Meistens sind schon die Brötchen an sich unaromatisch und verbreiten einen mehligen Hauch von Nichts. Die Fischstücke ersticken unter dicker Panade, die Fischfrikadellen leiden an lang nachhaltiger Überwürzung und Matjes im Brötchen kann man auch nicht rund ums Jahr, sondern nur zu seiner Saison essen. Mit anderen Worten: Das Fischbrötchen ist zu einem Klischee seiner selbst mutiert.
Und vielleicht, so möchte man ergänzen, ist die Rede von guten Fischbrötchen längst ein fester Bestandteil des Seemannsgarns, welches man sich da oben im Norden bekanntlich so gerne erzählt. Doch bei aller Liebe zum Klischee sollte man auch mal über den Tellerrand schauen und kurz über die Riesenwelle nachdenken. Nicht über die Riesenwelle an handgemachten Burgern, die das durch die Kettenfabrikation zum Klischee gewordene Wort des Burgers rundum erneuerte und in alle Munde brachte, sondern über die Riesenwelle, die aus dem sprichwörtlichen Nichts kam und über Jahrhunderte fester Bestandteil des Seemannsgarns war, aber im Binnenland von niemandem geglaubt wurde. Zu unwahrscheinlich erschien es, dass bei ruhiger See urplötzlich aus dem Nichts eine Welle auftauchen sollte, die höher als eine Schiff, ja sogar höher als ein großes Haus war. Mittlerweile zweifelt niemand mehr an dem Vorkommen solcher Riesenwellen, auch wenn man sie anders nennt. Doch diese Wellen sind Wellen spätestens seit der Tsunami Katastrophe im Jahr 2004 fest im kollektive Gedächtnis verankert. Liegt vielleicht doch viel mehr Wahrheit im Seemansgarn, als wir klischeehaft zu wissen glauben?
Fisch und Brötchen
Vielleicht muss man einfach das Klischee vom Fischbrötchen, welches sicherlich noch älter ist als Käptn´ Iglo, einfach mal über Bord werfen, um Platz für Neues zu schaffen.
Wie gut, dass sich in Eckard Voß und Tilmann Schuppius zwei wahre Experten in Sachen Kulinarik und Fischbrötchen zusammengetan haben, um genau dies zu tun. Gemeinsam begannen sie am blanken Schreibtisch Ideen für neue Arten an Fischbrötchen zu sammeln, um das altbackene Fischbrötchen neu zu denken und deren DeLuxe Ausgabe kulinarisch auf die Karte zu setzen. Passend zum Thema ergänzt sich hier die geballte Erfahrung rund um das Fischbrötchen, welche Tilmann Schupius in den vergangenen Jahren als Herausgeber des „Fischbrötchen Reports“ zusammengetragen hat mit dem Wissen um die kulinarischen Fähigkeiten der Köche an und um die Küste, denn Eckard Voß ist Herausgeber des Besser-Esser Magazins [Mohltied!].
Ausgerüstet mit einem klaren Konzept konnten die Beiden schnell die Herzen aller angesprochenen Köche entern und sie für das Thema, das Fischbrötchen nicht nur neu zu denken, sondern es mit einem abwechslungsreichen und feinschmeckeradäquaten Innenleben zu füllen, begeistern. Kein Wunder, dass das hieraus resultierende Magazin „Fischbrötchen Deluxe“ mit einem wahren Feuerwerk an tollen Ideen zum Thema Fischbrötchen aufwartet. Da kommt die Kabeljau-Frikadelle in einen Bier Burger Ban, der Matjes endlich mal mit hausgemachter Walnussmayonnaise in ein passendes Laugenbrötchen, das Mohnbrötchen erhält mit dem Karpfen einen netten Bewohner und der Saibling schlüpft begleitet von einer Kräuter-Emulsion ins frisch gebackene Kartoffelbrötchen. Das Klischee vom Fischbrötchens sollte man schleunigst über Bord werfen, denn damit haben diese ansprechenden Rezepte nun wirklich gar nichts mehr zu tun.
Ist das jetzt Seemannsgarn? Das kommt, wie wir gesehen haben, ganz auf die Sichtweise an, wahr ist es auf jeden Fall. Denn nicht nur die Varianten der verwendeten Fische sind mannigfaltig, ebenso sind im Magazin zahlreiche Rezepte für schmackhafte Brötchen versammelt. Alle Rezepte sind leicht zu Hause nach zu backen und einige würden sich auch für ganz andere Zutaten als Fisch eignen, aber an dieser Stelle macht der Klabautermann mal seinen Kopf zu und hat hier nicht das letzte Wort. Nicht nur die Brötchen können mehr Abwechslung als ein einfacher Bun ins Finger-Food bringen, auch die Fische bieten viel mehr Abwechslung und lassen der Phantasie viel mehr Spielraum, als ein schierer Beef-Pattie. Doch damit nicht genug, als Süßwassermatrose bekommt man auch noch passende Anweisungen, wie man Nordseekrabben fachgerecht pult und lernt, warum die Wittlinge etwas mit dem Krabbenpreis zu tun haben. Wer es nicht ganz so fischig mag: versammelt sind auch zahlreiche Surf- and Turf Rezepte, die Lust aufs Nachbauen der vielseitigen Varianten der Fischburger, ach, was sagt der Laie da: natürlich des Fischbrötchens machen. Deluxe versteht sich.
Kulinarischer Reiseführer
Und so ganz nebenbei merkt man, dass man hier einen kulinarischen Reiseführer in der Hand hält. Denn hier wurden Köche aus Norddeutschland angefragt, um rund um Fisch und Brötchen kreativ zu werden und mit der Lektüre entsteht der Wunsch, gleich mal in den Restaurants der Köche vorbeizuschauen, die solche schöne Ideen rund um den norddeutschen Klassiker entwickeln, um zu sehen und zu schmecken, was sie sonst noch auf die Teller zaubern. Mit an Bord des Magazins sind auch zahlreiche Sterneköche, von denen Dirk Luther direkt zum Modell avancierte und den Band samt seines grandiosen Fischbrötchens mit Stremellachs und Hüttenkäse auf dem Cover geschmackvoll präsentiert. Und das Konzept geht auf. Nicht nur versprühen die Rezepte der versammelten Köcheschar durch die Bank weg vielseitige Ideen, man merkt schon bei der Lektüre, dass hier ein Street-Food Klassiker das Potential entwickelt auch die gehobene Gastronomie zu entern. Das Magazin eröffnet durch seinen bunten Reigen an so abwechslungsreichen Fischbrötchen erst die Augen für die kulinarischen Möglichkeiten, die in diesem - ehemals altbackenen - Klassiker schlummern. Und ähnlich wie es dem Burger vor einigen Jahren gelungen ist, jenseits der Burgerketten in neuem Glanz zu erstrahlen, scheint dem Fischbrötchen eine glänzende Zukunft ins Haus zu stehen.
Weshalb allerdings in der Liste der Autoren Jutta Kürtz, die das grandios einleitende Essay zur Geschichte des Fischbrötchens - welches in ihrem Fall ein Krabbenbrötchen war - beigesteuert hat, ungenannt bleibt, wird sicherlich noch für einiges Seemannsgarn sorgen. Freuen wir uns also auf eine weitere Ausgabe dieses Magazins, dessen ansprechende Aufmachung in der ersten Auflage vergessen lässt, welche Pionierarbeit hier geleistet wurde.
Tartuffel empfiehlt: Mohltied! Sonderausgabe. Fischbrötchen Deluxe. Die besten Fischbrötchenrezepte von Spitzenköchen aus Schleswig-Holstein und Hamburg. 50 Rezepte für Fischbrötchen vom Feinsten und Backrezepte. 146 Seiten, 9,80€