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Ein Denkmal

Eckart Witzigmann beging am 04. Juli 2021 seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass hat er sich eine Bestandsaufnahme seines Wirkens vorgelegt. Und was für eine. Es ist ein Monolith dieses Jahrhundertkochs. Und es ist die Vorstellung des Meisters durch die Riege seiner Schüler. Ein Buch, das einen klassischen Kanon vorstellt, das zurückblickt und das auf dieser Grundlage Visionen entwickelt. Zwei Blickrichtungen, zwei Bücher in einem Schuber. Eine Meisterleistung.

Eckart Witzigmann – Was bleibt. Meine Vision

Eckart Witzigmann. Von den ersten Schritten an, die man im Bereich der engagierten Kulinarik unternimmt, begegnet man diesem Namen, diesem Mann, diesem Menschen. Und es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Faszination auch Köche, die selbst höchste Auszeichnungen erhalten haben, von diesem Kollegen und Menschen erzählen. Er ist einer von vier Menschen, die bisher mit dem Titel „Koch des Jahrhunderts“ geehrt worden sind. Die weiteren Köche dieser vom Gault-Millau ins Leben gerufenen Auszeichnung sind Paul Bocuse, Joël Robuchon und Frédy Giradet. Allein daran kann man erkennen, welche Leistungen dieser Mann für die Kulinarik, vor allem aber auch für die Entwicklung der deutschen Küche erbracht hat. Und so ist es nur folgerichtig, dass der Meister in seinem ersten Band zurücktritt. Unter dem Titel „Was bleibt“ lässt er Weggefährten und Schüler zu Wort kommen. Alle erzählen Erlebnisse, die sie mit dem in der Öffentlichkeit so ruhig wirkenden Menschen verbinden. Es sind sehr persönliche Einblicke, die einem nahe bringen, warum dieser Mann für die Kulinarik zu begeistern versteht. Sie erklären, warum die Qualität der Lebensmittel für ihn ebenso im Vordergrund steht, wie die Kunst, die eigene Kreativität jeden Tag neu zu wecken und sich von den marktfrischen Lebensmitteln inspirieren zu lassen. Auf diese Weise entsteht aus den einzelnen Mosaiksteinen nicht nur ein Portrait des Meisters, sondern auch ein Bewusstsein dafür, wie sehr er die deutsche Kochszene mit seinen Leistungen als Koch, besonders aber als Lehrer und Vorbild geprägt hat. So gesehen bekommt das Zitat von Wolfram Siebeck „Es gibt eine Zeit vor und nach Witzigmann“ eine noch weitreichendere Bedeutung.

Dazu werden die Rezepte von Eckart Witzigmann versammelt und unwillkürlich beschleicht einen das Gefühl einer kulinarischen Zeitreise. Was bedeutet eigentlich Klassik? Fragt man sich unwillkürlich, wenn man die zahlriechen Gerichte betrachtet, ihre Zutaten und Zubereitungsarten studiert.

Die Gerichte sind einem in der ein oder andere Art untergekommen, in verschiedenen Häusern, bei ganz unterschiedlichen Chefs. In ihrer schlichten Eleganz sprechen sie für sich und auch wenn sie in Details an die Gegenwart angepasst sind, haben sie nichts von ihrer zeitlosen Eleganz eingebüßt.

 

Meine Vision

 

Der Blick zurück nach Vorn beginnt mit einer Meditation über das Spiegelei. Und es ist diese Kunst, die einfachen Kochdinge nicht nur anzusprechen, sondern sie spannend und anschaulich zu beschreiben. Und ja. Warum sollte man nicht darüber nachdenken, wie das perfekte Frühstücksei zuzubereiten ist? Immerhin können wir uns an diesem einfachen Gericht jeden Morgen erfreuen, wir sollten seiner Zubereitung also ein paar Gedanken widmen. Über dieses anschauliche Beispiel öffnet sich der Blick auf das weite Feld der Kulinarik. Was Witzigmann dabei im Sinn hat, ist nicht die Welt der gehobenen Küche, sondern das Zusammenspiel von Lebensmitteln, ihrer Verwendung, unseren Essgewohnheiten und das Wissen über das Zusammenspiel von Ernährung und Gesundheit. Die Einführung eines derartigen Pflichtfachs in allen Schulen ist längst überfällig. Und er fordert eine Investition für die Zukunft unserer Kinder: Zeit sollen die Eltern investieren. Gemeinsame Zeit mit ihren Kindern. Gemeinsame feste Essenszeiten, gerne auch mit dazu eingeladen Freunden. Essen soll die Grundlage und den Ausgangsunkt für gesellige Abende sein, soll animieren, in der Küche zu probieren und zu experimentieren. Auch das Einkaufen sollte auf dem Programm stehen, um den Kindern eine Idee von sinnvollen Einkäufen, frischer Ware. „Kochen, schmecken, essen, genießen, Familie und Freunde – alles hängt zusammen. Unsere Kinder haben es verdient, dies gelehrt zu bekommen.“

Die Visionen, die Witzigmann hier ausbreitet, sind ein Spiegel seiner Kochkunst: gute Ideen sinnvoll kombiniert und von schlichter Eleganz. Geschmack steht bei ihm über der Verschnörkelung. Essen darf seinen sinnlichen Charakter nicht verlieren. Gerichte auf den Tellern sollen zum Genuss einladen, dazu zählt in erster Linie das gute Produkt und seine Zubereitung, durch das Schmecken entsteht der Geschmack, mit dem man begeistern und überzeugen kann. So wird auch die Sauce aus dem Bratensatz eines Naturschnitzels zu einem kleinen Fingerzeig, was kulinarisches Handwerk zu leisten vermag.

Die einzelnen Kapitel des Buches verdichten sich anhand der Lebenslinien des Autors zu einer anregenden Meditation über die Kunst des Kochens und seine Konzentration auf das Produkt. Ob er selbst heute noch so kochen würde, wie zu seiner Zeit in der Aubergine? In einigen Punkten sicherlich, er würde weiterhin einfache Zutaten wie Linsen, Sellerie oder Bete einsetzen und seine Klassiker neu interpretieren, um den Aspekt der Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen.

Und es wundert nicht, wenn Eckart Witzigmann eine neue Auszeichnung für grandiose Restaurants ins Gespräch bringt: Einen Étoile d´Or. Es geht ihm um eine Wertung jenseits des Zeitgeistes, die für Tradition und handwerkliche Perfektion steht. Für eine Küche, die sich rückblickend als klassisch im kulinarischen Sinne zu erkennen gibt. Für eine spezielle Zeit und eine spezielle Tradition steht.

Ein Freund von mir, selbst mit Michelinsternen ausgezeichnet, brachte es kurz nach dem runden Geburtstag von Eckart Witzigmann auf den schlichten Nenner: „In anderen Ländern hätte man ihm ein Denkmal errichtet. Bei uns aber hat man sein Restaurant geschlossen.“ Ein Denkmal ist dieses Buch in zwei Bänden. Und wer weiß. Vielleicht sollte man tatsächlich die legendäre Aubergine erneut öffnen und mit einem goldenen Stern versehen. Darin speisen könnte man die Klassiker des Meisters. Klassik wird schließlich in allen Kunstsparten geschätzt, da sie zeitlos ist und immer wieder zu gegenwärtigen Interpretationen Anlass gibt.

 

Tartuffel empfiehlt:

Christoph Schulte (Text)/Helge Kirchberger (Fotos): Eckart Witzigmann – Was bleibt. Meine Vision. Pantauro/Benvenuto Publishing, Salzburg und München 2021. 2 Bände im Leinenschuber. Band 1: 384 S., geb., Band 2: 208 S., 150 Euro

 

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