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Ducasse belegt Stullen

Alain Ducasse ist nicht nur ein Name. Er ist eine Auszeichnung, ein kulinarisches Wirtschaftsunternehmen und ein Sterneproduzent. Vom Guide Michelin erhielt er als erster Cuisinier zeitgleich dreimal die Höchstbewertung von drei Sternen für seine Restaurants. Seine Restaurants sind dabei nicht nur über ganz Paris sondern – mit Dependancen unter anderem in Italien, USA und Japan – tatsächlich über den gesamten Erdball verteilt.

Ducasse Nature – gesund, geschmackvoll, gelungen

Dieser Mann ist ein kulinarischer Tausendsassa, der gleichzeitig mehrere Projekte verfolgt. Alain Ducasse arbeitet an unterschiedlichen Enzyklopädien zur Grundlegung der Kochkunst des 21. Jahrhunderts, besitzt Bistros und Hotels und betreibt, als wäre das alles nichts, noch zwei Kochschulen. Jetzt legt er ein Buch mit dem Titel „Natur. Einfach, gesund und gut“ vor. Natürlich, wenn Ducasse auf dem Titel steht, kann man sich vorstellen, dass ein solches Buch in vorauseilendem Gehorsam direkt mit Preisen und wohlwollenden Kritiken überhäuft wird. Und so stellt sich in diesem Fall wirklich die Frage: Kann ein Mann des Jet-Set wie Alain Ducasse, sich so weit erden? Kann er den Untertitel „Einfach“ noch allgemeinverständlich in Rezepten und deren Umsetzung ausdrücken? Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Ja, er kann.

Es ist ein Vergnügen, dieses Buch zu lesen, die Aufmachung zu genießen und einzelne Rezepte einfach direkt einmal auszuprobieren. Das ist vielleicht auch das auffälligste an diesem Buch, es ist nicht nur durch seinen Einband, sondern auch durch seine Aufmachung in Zeichnungen, Erläuterungen, Bilder und Rezepte einfach anregend. Das liegt auch daran, dass Ducasse in diesem Buch Wert darauf legt, Gerichte zu verschlanken und gleichzeitig einige Komponenten als grundlegende Basics einführt.

Die Vorratskammer

So beginnt das Buch an einer Stelle, die von vielen anderen Kochbüchern oft ausgeblendet, oder in hintere Regionen verbannt wird: den Einkauf für die Vorratskammer. Selbstverständlich bekommt der Leser keine wirkliche Einkaufsliste in die Hand gedrückt, sondern vielfältige Anregungen, welche Dinge er ruhig mal auf Vorrat kochen kann, um schnell eine Grundlage für ein einfaches und leichtes Essen zur Hand zu haben. Es gibt Rezepte für Geflügelbouillon, Mürbeteig, eingelegten Knoblauch, Salz-Zitronen, aber auch für karamellisierte Tomaten oder für selbstgemachten Ketchup. Dann blättert man sich durch Rezepte, die man hier nicht erwartet hätte, wie etwa Guacamole, Hummus, Anchovispaste oder Tapenade. Doch diese traditionellen Gerichte erfüllen schnell einen grundlegenden Effekt: den Leser auf das reduzierte Konzept der Gestaltung von Buch und Rezepten einzustellen. Der Leser hat auf einmal gedanklichen Raum, um auf die Zeichnungen und kleinen Tipps von Ducasse und der Ernährungswissenschaftlerin Paule Neyrat zu achten. Ducasse kommentiert die Rezepte und die an diesem Buch mitwirkende Neyrat gibt Auskünfte zu den gesundheitlichen Aspekten.  Und plötzlich merkt man, dass auch scheinbar unplatzierte Bilder, wie das Herstellen eines Mörsers in diesem Zusammenhang einen Sinn ergeben: alles folgt der Deklination des Einfachen und des Guten.

Belegte Stullen

Aufmerksam wird man erst recht, wenn man staunend betrachtet, welche Sorgfalt einem Thema gewidmet wird, das man eher in deutschen Kochbüchern vermuten würde, obwohl es dort ebenfalls fast nie anzutreffen ist, da es vordergründig nichts mit Kochen zu tun hat: dem der belegten Brote. Hier geht es allerdings nicht einfach darum, Butter auf Stullen zu schmieren, sondern den Beleg sorgfältig vorzubereiten. Damit zeigt Ducasse, welche kulinarische Vielfalt im Zusammenspiel von Broten mit verschiedenen Belägen steckt: sinnvoll belegt machen sie weniger Arbeit als manch anderes Gericht, stellen aber eine vollwertige Mahlzeit dar. Und was spricht bei Licht betrachtet dagegen, grünen Spargel zu blanchieren, um ihn zusammen mit anderen Gemüsen, Frischkäse, Kräutern und Parmesanhobeln auf ein herzhaftes Bauernbrot zu geben? An dieser scheinbar profanen Stelle zeigt sich die Essenz des Bestrebens Ducasses: gute Produkte miteinander in Verbindung bringen, um einen einfachen Genuss zu zaubern, denn gut und einfach könnte alltäglich sein, doch vermissen wir zu oft im Alltag einfach gute kulinarische Genüsse.

Aber auch an dieser Stelle leisten die Sandwiches lediglich den Einstieg ins Thema Getreide. Schon sind wir in der Fülle der Teigfladen, der mit weißen Thunfisch, Rucola und karamellisierten Tomaten belegten Mohnknäcke, Tartes, würzigen Crêpes und Pizzen gefangen, bevor wir ins übrige Getreidefach mit Nudel-, Reis-, Dinkel-, Graupen- und Bulgurrezepten entlassen werden.

Suppen, Salate, Meer & Land

Suppen werden saisonal angeboten, da ist von der geeisten Melonensuppe bis zur Esskastaniensuppe mit Speck und Steinpilzen alles dabei, was das Suppenherz erfreut.  Viele Ideen liefert der Band bei Salaten und der Zubereitung von Gemüse, hier kommt man schon durch das schlichte Durchblättern Anregungen für den nächsten Einkauf, bevor man überhaupt bei den Fischen und Schalentieren gelandet ist. Auch hier präsentiert Ducasse klassische Gerichte wie gegrillte Sardinen mit Chermoula gemeinsam mit leichten Kompositionen wie den in Algendampf gegarten Merlan auf grünem Gemüsebett.

Die übersichtlichen Zutatenlisten, die Rezeptbilder, aber auch die Beschreibungen regen stets an, einfach selbst etwas auszuprobieren und die Anregungen individuell zu gestalten. Auch die Gerichte vom Land sind leicht interpretiert wie das Kaninchen mit Äpfeln oder die Hühnerbrust mit Wokgemüse. Dabei gefällt, das auch klassische Rezept wie ein Kaninchen-Rillette oder Pot-au-Feu stehen und auch vergessene Klassiker wie die Kalbsleber mit Topinambur finden sich hier in einfach eleganter Aufmachung, um an dieser Stelle gegen alle Regeln der Kunst von den Desserts einmal zu schweigen, auch wenn man sich die Esskastanien-Crêpes mit heißen Himbeeren ebenso ohne Saison vorstellen kann wie das Sommer- oder Winterobst aus der Pfanne.

Dieses Buch löst auch einen marginalen aber nicht unwichtigen Anspruch Ducasses ein, der die Süße der internationalen angebotenen Speisen kritisiert und das Fehlen des Bitteren kritisiert. Das Buch ist zwar keine bittere Bombe, dafür aber eine einfache Offenbarung, die keinerlei künstlicher Süße bedarf.

Für die Leser, die sich direkt daran machen wollen, die Gerichte nachzukochen, hält der Band ein kleines Heftchen mit dem Verzeichnis der Einkaufslisten bereit. Dieses Buch wird sicherlich nicht auf Grund eines vorauseilenden Gehorsams im Oktober von der Gastronomischen Akademie Deutschlands mit der Goldmedaille geehrt. Dieses Buch hat diese Auszeichnung einfach verdient.

Für Sie gelesen

Alain Ducasse und Paule Neyrat: Nature – einfach, gesund und gut; Hädecke Verlag

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