Die Essenz der Einfachheit
Malte Härtig, der mit seiner Doktorarbeit diesen Wiederspruch einging, denn sie trug den schlichten Titel „Einfachheit“, legt nun mit „Kaiseki“ die Essenz seiner Erkenntnisse vor. Dabei handelt es sich nicht – wie man vorschnell meinen könnte – um eine light- Fassung seiner Doktorarbeit. Es ist ein anderes Buch und – da vom wissenschaftlichen Formalismus entschlackt - viel näher am Thema. Denn es geht darum, die japanische Kochkultur nachvollziehen zu können. Wie aber nähert man sich als Fremder der japanischen Küche? Härtig unternimmt hier den Versuch, auf die Unterschiede und persönliche Irritationen zu achten, um allmählich verstehen zu können, weshalb es diese Unterschiede gibt. Erst dann lösen sich irritierende Wiedersprüche in Erklärungen auf. Das Fremde wird verständlich.
Fangen wir mit dem größten, dem für unser Verständnis grundlegenden Wiederspruch an, wenn wir an Essen und Restaurants denken. Kern der Idee des Kaiseki ist gar nicht ein Essen, auch wenn es eine feste Zahl von saisonal und regional geprägten 10-11 einzelnen Gängen in einem Menü gibt, so arbeiten diese lediglich auf das eigentlichen Ziel des Kaiseki hin, den Tee. Dabei geht es nicht schlicht um den das Menü krönende Matcha Tee, sondern in erster Linie um alle Momente der rituell inszenierten Teezeremonie – mit der auf die adelige und klösterliche Tradition des Teetrinkens in Japan angespielt wird. Der gegenwärtige Genuss wird historisch aufgeladen und zeremoniell kontextualisiert. Mit anderen Worten: Der Inhalt ist lediglich Beiwerk, entscheidend ist die Aussage und die Reinheit der Form. Eine Feststellung, die, wenn es um Essen geht, nicht nur leicht exotisch wirkt, sondern unseren Vorstellungen von Essen diametral entgegensteht. Und es ist das große Verdienst dieses kleinen Bandes, dass er diese kulturellen Unterschiede mit leichter Hand aufzeigt, ohne beim Leser Irritationen zu schüren, sondern im Gegenteil: Neugierde und Verständnis zu wecken. Denn schnell wird auch dem nach westlichen Standards sozialisierten Esser klar, das Essen stets mehr ist als reine Nahrungsaufnahme, warum also, so die hier aufgezeigte Prämisse, sollte man es nicht in erster Linie als Kultur und somit als Kommunikationsform des Koches mit seinen Gästen verstehen?
Der Besuch eines Kaiseki Restaurants, so zeigt Härtig auf, ist in erster Linie die Einladung des Kochs an seine Gäste zur schweigenden Kommunikation. Zahlreiche Restaurants zeichnen sich dadurch aus, dass die Gäste einzeln oder in Gruppen voneinander abgeschirmt sitzen und so ohne Ablenkung in den konzentrierten Dialog mit dem Koch treten. „Der Vorteil liegt auf der Hand. Man kann sich voll auf das Essen konzentrieren und die feine Atmosphäre dazu genießen. Man kann, um es mit dem Zen zu sagen, ganz im Moment sein.“
Sprechende Schale
Mit den Jahreszeiten wechselt auch das Geschirr. Während im Sommer kühles Glas vermehrt zu Anwendung kommt, sind es in den anderen Jahreszeiten, erdigere, wärmere Materialen und Farbtöne. Doch dem eingeweihten Betrachter können sich andere Assoziationen erschließen: Anhand des verwendeten Tons und des Stils kann man Rückschlüsse auf die Region ziehen. Der Töpfer, so sagt man in Japan, entwickelt das Potential der Erde - des Tons - und fragt sich, was er denn werden will, dabei soll die Erde so wenig Veränderung wie möglich erfahren, damit der Esser später noch die Idee der Erde in Händen hält.
Kochen ist Schneiden
Hamo. Ein schönes lautmalerisches Wort, welches in Japan den Aal bezeichnet, der auf Grund seiner Knochenstruktur viel Arbeit bei der Zubereitung macht, auf Grund seines Geschmacks jedoch sehr geschätzt wird. Und es ist kein Zufall, dass dieser Fisch eine unverzichtbare Zutat der Kaiseki-Küche darstellt. Denn der Aal konnte gut in das – für damalige Verhältnisse – weit vom Meer entfernte Kyoto transportiert werden, er überstand die Reise in mit Meerwasser gefüllten Fässern schadlos.
Im Kikunoi, einem der bekanntesten Restaurants Japans, wird der Fisch jeden Morgen nach der Ike Jime Methode getötet und dann den Gästen frisch serviert. Dies ist für den hiesigen Betrachter insofern bemerkenswert, als ein Fisch der nach dieser Methode zubereitet wird, bei uns erst einmal ein paar Tage Zeit zur Reifung erhält. Denn hier schätzt man neben dem Geschmack des Fisches, auch seine zarte Textur. In Japan jedoch kaut man gerne das sehr frische und noch harte Fleisch des Fisches.
Das Entscheidende am Hamo ist zum einen sein intensiver Geschmack, gleichzeitig aber auch der Umstand, dass sich die Meisterschaft des Kochs besonders bei diesem Fisch darin zeigt, wie gut er es versteht, mit seinem Messer umzugehen. Vor einem Jahrhundert wurde das Hamorkiri entworfen, ein extra scharfes Messer, dessen Funktion ausschließlich darin besteht, das Fleisch des Hamo essbar zu machen.
Tee
Und in diesem abschließenden Kapitel schließt sich der Kreis. Schon auf der ersten Seite des Buches erzählt der Autor in der Ichform und macht unverständlich klar, dass er sich von den formalen Schranken akademischer Betrachtung frei macht. Er erzählt seine persönliche Geschichte, die ihn nach der Ausbildung in einem Berliner Sternerestaurant nach Japan, genauer nach Kyoto führt, um hier nicht nur ein anderes Verständnis und eine andere Praxis von Küche vorzufinden, sondern, um in diesem Kosmos einzutauchen und ihn verstehen zu wollen. Und es ist dieser strukturalistisch inspirierte Kunstgriff, der aufzeigt, wie sehr das Ich selbst Träger einer Kultur und eines kulturellen Verständnisses ist. So erreicht dieses anspruchsvolle Buch eine Leichtigkeit, die dadurch entsteht, wenn man alles Überflüssige weglässt.
Kaiseki ist klar in der Analyse, leicht und verständlich geschrieben. Einfachheit auf hohem Niveau und somit auch formal eine gelungene Beschreibung der Kaiseki-Küche.
Tartuffel empfiehlt: Malte Härtig: Kaiseki – Die Weisheit der japanischen Küche. Mairisch Verlag Hamburg 2018, 128 Seiten Broschur 12,-€