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Dialog konturiert Handschrift - Sebastian Mattis

Um in die Küche von Sebastian Mattis zu treten, muss man über insgesamt 75 Weinlagen gehen. Denn so viele Gesteinsproben sind in den grauen Schieferboden des „Wein am Rhein“ eingelassen. Selbstverständlich aus den bekanntesten Weinlagen. Zeit für eine Einkehr.

Sebastian Mattis findet Geschmack im „Wein am Rhein“

Symbolisch – so könnte man sagen – hat Sebastian Mattis also einen sehr charaktervollen Gegenspieler zu seinen Tellern. Denn der Wein spielte, wie der Name es schon vermuten lässt, bisher die erste Geige im „Wein am Rhein“, hier genügt ein Blick auf die wirklich imposante Weinliste des Hauses. Doch hört man dem so höflichen wie gradlinig argumentierendem Küchenchef zu, dann merkt man, dass er offen für neue Ideen ist und Veränderungen voranbringen möchte. Küche ist für ihn kein abgeschiedener Raum, Kochen stets Dialog. Da trifft es sich, dass er in Melanie Panitzke, der Sommeliere des Hauses, nicht nur eine argumentationsfreudige Dialogpartnerin vorfindet, sondern zugleich eine Frau, die an der Aromenpaarung von Wein und Speisen mehr als rein professionelles Interesse bekundet. Und es ist eine kluge Entscheidung zwei starke Charaktere im Kölner „Wein am Rhein“ zum gemeinsamen Austausch anzuregen. Denn guter Wein verlangt nach eleganter Begleitung. Charakterstarke Aromen im Glas wollen durch gleichwertige Protagonisten auf den Tellern aufgefangen und akzentuiert werden. Für Sebastian Mattis ist die vor einem halben Jahr angetretene Stelle eine Herausforderung und zugleich die Möglichkeit seine Handschrift als Koch zu konturieren.

Erfahrungen

Oft wird die Frage gestellt, ob ein Koch schon über eine eigene Handschrift verfügt. Selten jedoch wird die Frage danach gestellt, wie ein Koch diese für sich entwickeln und ausprägen kann. Unbestritten bildet eine solide Ausbildung die Basis. Doch was muss dazu kommen? Ein offener Blick, Verständnis für Zusammenhänge, der Spaß an der täglichen Arbeit und die Bereitschaft sich neuen Herausforderungen zu stellen, sind die Grundlagen, um einen eigenen kulinarischen Charakter entwickeln und damit eine unverwechselbare eigene Handschrift präsentieren zu können. Massimo Bottura, der ebenso begnadete Rhetor, wie findige Küchenchef aus Modena hat es in einer flammenden Rede an den Köchenachwuchs auf den Punkt gebracht: „Seit offen für Neues. Scheut nicht die tägliche Arbeit. Nehmt keine Abkürzungen. Wenn ihr alles gelernt habt, um euer Handwerk zu meistern, vergesst alles und entwickelt Neues. Das zumindest ist das Ergebnis meines eigenen Weges.“ Was er dabei nicht eigens erwähnte, sind zwei kleine, aber dennoch entscheidende Punkte, die jeder, der sein Handwerk täglich trainiert, um es zu perfektionieren, bestätigen kann: Durch die tägliche Beschäftigung entstehen Situationen, welche Zufälle begünstigen. Diese Zufälle nicht als Störung des Betriebsablaufes zu verstehen, sondern als Moment des Innehaltens und der Interpretation, ist in vorliegenden Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Bottura – der angibt, dass man ihm nicht trauen, also seine Hinweise interpretieren und auf eigene Art umsetzen, solle – erwähnt an dieser Stelle nicht den „Fall“ des Zitronenkochens. Ein Zufall, da einem Kellner der Zitronenkuchen auf den Boden gefallen war. Dieser Unfall bescherte Bottura jedoch seinen bekanntesten Signature dish: „Oopps! I dropped the lemon tarte“ 

Herausforderungen 

Was aber sind geeignete Herausforderungen für einen gut ausgebildeten Koch, der über Neugierde und einen offenen Blick verfügt? Viele Köche haben sich in ihren Ausbildungsjahren mit anderen charakterstarken Kollegen in einer Küche gemessen und gegenseitig verbessert. Jörg und Dieter Müller entwickelten nicht zufällig in Wertheim das deutsche Küchenwunder. Denkt man an Marco Pierre White und Mario Bartoli, kann man erahnen, was für eine kreative Spannung in der Küche geherrscht haben muss, welche diese beiden Streithähne zeitgleich beherbergte. Insofern ist es für die Handschrift eines Kochs unerlässlich, wenn er sich neuen Herausforderungen stellt. Die Stelle als Küchenchef ist für Sebastian Mattis so eine solche Herausforderung. Nach mehr als 10 Jahren an einer der prominentesten Ess-Plätze Kölns, als Sous-Chef von Eric Menchon im Le Moissonnier erfordert dies völlig neue Überlegungen. Denn im Le Moissonnier gibt es ein klassisches Verfahren: Ideen werden in der Küche gesammelt und erst, wenn die Teller ausgereift sind, stellt sich die Frage nach einem passenden Wein. Nun aber bewegen sich Küche und Weinangebot auf Augenhöhe und fordern zum Dialog auf. Melanie Panitzke und Sebastian Mattis sind stets auf der Suche nach dem dritten Geschmack, der entstehen kann, wenn Speisen und Weine eine gelungene Kombination eingehen. Dazu bedarf es neben dem Dialog der beiden Protagonisten in Küche und Keller auch charaktervolle Hauptdarsteller auf dem Teller und im Glas.

Handschrift - Konturieren

Eric Menchon hat seinem Protegé stets viele Freiräume gelassen, die Sebastian Mattis nutzte, um vielfältige Erfahrungen zu machen. Seine Kreativität schöpft er mittlerweile aber aus anderen Inspirationsquellen: Eindrücke seiner Kindheit, das Wissen um die Gegenwärtigkeit der kulinarischen Geschmackserlebnisse, die an Vertrautes andocken, aber zugleich auf Neues hinweisen und damit den Geschmackshorizont erweitern. Offenheit gegenüber neuen Produkten und Aromenkombinationen sind dabei unverzichtbare Säulen. Hinzu kommt die Zusammenarbeit in einer hochmotivierten Küchenbrigade, in der sich Sebastian Mattis als perfekter Teamplayer erweist, der sich nicht einfach auf Anweisungen beschränkt, sondern eigene Ideen seiner Mitarbeiter fördert, um den gemeinsam eingeschlagenen Entwicklungsprozess voran zu bringen. Denn auch dies zeichnet die meist individuell verstandene Handschrift aus: die Steigerung des Selbstbewusstseins seiner Mitarbeiter durch teamverbessernde Handlungen. Zielführende Gedanken unterstreichen den Spaß an der Arbeit und das heißt auch Spaß am Spiel mit dem Essen: sinnvolle Dekonstruktionen erzeugen ein gekonntes Spiel mit Gewohntem und Überraschendem. Wie beim Buttermelk Fresh. Ein Dessert des Hauses, welches Erinnerung an das Eis im Schwimmbad weckt, aber gleichzeitig so elegant, vielschichtig, fruchtig daher kommt und in einer verspielten Säurebalance gefasst ist, die nichts mit dem süßen eindimensionalen Eis der Vergangenheit zu tun hat. Manchmal zeigt sich die Handschrift nicht durch einen Unfall, oder das Fallenlassen eines Zitronenkuchens. Manches Mal erkennt man sie im federleichten Spiel von Erinnerungen, Texturen und Aromen. So verlässt man das Restaurant nicht einfach weinselig, sondern mit einem Lächeln. Man hat  den Dialog zwischen Wein und Speisen geschmeckt und dabei einfach Genuss im „Wein am Rhein“ erlebt.

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