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Ungleichzeitig und ständig im Fluss - die Zeit. Astronomische Uhr in Prag |© Von Maros M r a z (Maros) - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org/w/index.php |Quelle: Wikipedia

Das erlebte Paradox

Wir alle kennen das Problem: Unsere moderne Gesellschaft verlangt nach immer mehr Gegenwart. Alles soll jetzt und sofort passieren. Dabei handelt es sich nicht nur um die Erfordernisse vielschichtiger Arbeitsprozesse, vielmehr stellen wir diese Anforderungen permanent auch in unserer Freizeit an uns selber. Wir lassen uns von den Zwängen der Gegenwart so sehr treiben, dass wir den Moment gar nicht mehr wahrnehmen. Zeit, einmal inne zu halten.

 

Zeit hat man nur, wenn man sie sich nimmt

Eine Meditation. Einmal in Ruhe darüber nachdenken, was das für ein Phänomen ist: Zeit. Wir alle, sagen wir, haben keine Zeit und doch – so kann man statistisch belegen – beträgt unsere Lebenserwartung rund 80 Jahre und damit ein paar Jahre mehr, als es der Generation unserer Großeltern im Durchschnitt zustand. Warum also, so könnte man fragen, nutzen wir diese Jahre nicht aus? Das Problem liegt in diesem so unscheinbaren Wort mit zeitintensiver Bedeutung: Nutzen. Schnell wird klar, dass es sich hierbei nicht um die Jahre unseres Lebens, sondern stets um die enge Taktung unseres Alltags handelt. Wir haben gelernt, Zeit zu nutzen und damit zerrinnt sie uns zwischen den Fingern. Dabei ist innehalten so lebensnotwendig, wie Muße entwickeln zu können. Jede Form von Genuss verlangt Zeit und ein gewisses Maß an Einkehr. Nehmen wir uns diese Zeit nicht – da wir ja durchaus etwas sinnvolles machen könnten – verlieren wir aber das Leben aus den Augen und funktionieren stattdessen nur noch. Funktion aber ist lediglich ein Korsett aus alltäglichen Notwendigkeiten und teilweise verinnerlichten Zwängen. Und ja, es stimmt, diese Notwendigkeiten fallen nicht vom Himmel und sie haben alle durchaus ihre Relevanz....bis zu einem gewissen Punkt, an dem das Ich zu seinem Recht gelangen sollte, sonst zerfließt es in den Strömen der Zeit, löst sich auf, und erscheint nur noch als gehetztes, unzufriedenes Subjekt, das keine Zeit mehr hat, eigenständige Gedankengänge zu formulieren und also der Redundanz – die sein Leben formt – auch sprachlich Ausdruck verleiht. Je enger das zeitliche Korsett, desto weniger Zeit haben wir zur Verfügung – wenn man so möchte, erkennt man hier eine funktionale Depression, die das Ich allmählich stranguliert, da sie ihm die Luft zum Atmen nimmt.

Moment mal

Moment mal, möchte man da nicht nur ausrufen. Innehalten, einfach einmal den Moment genießen, spüren, wie er sich anfühlt – dies ist ein erster Schritt. Ein weiterer ist, sich Zeit zu gönnen. Einfach so, ohne Programm, ohne Onlineshopping und ohne weitere Ablenkung. Fast schon schwierig in unserem Alltag, der gefüllt ist mit Ablenkungen aller Art. Schauen sie sich Kinder an, die einfach so in einem gerade erfundenen Spiel versinken. Für Kinder spielt Zeit keine Rolle, sie haben sie, sonst könnten sie nicht spielen. Sie haben Zeit, da sie sie verschwenden. Und so unterliegen sie nicht einem Diktat der Zeit, sondern können sie genießen. Denn erst auf diese Art kann man Zeit wieder erleben, genießen und sich selbst treiben lassen. Probieren Sie es aus. Es ist so einfach, man muss es sich nur wert sein und sich immer wieder ein gutes Stück Zeit gönnen. Der Effekt ist verblüffend, denn kaum wendet man sich der Zeit zu, verwandelt sie sich in einen Freund, sie hört auf, an einem vorbei zu rauschen, sie dehnt sich, füllt sich und wird zugleich stärker erinnert. Einfach so. Es ist eine alltäglich vergessene Alltagsweisheit: Will man Zeit haben, muss man sie sich nehmen und verschwenderisch mit ihr umgehen. Ein Genuss, frei von Nutzen und voller Sinn.

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