Curry und Ironie
Was Ungarn, Niederländer und Deutsche unbewusst verbindet
Wir alle wissen, was Ironie ist. Wir alle kennen Curry. Was aber hat Ironie mit dieser indischen Gewürzmischung zu tun?
Genau genommen ist unsere Aussprache des Wortes Curry schon unfreiwillig ironisch, denn wir betonen dieses Wort immer noch so, wie es zur Zeit seiner Einbürgerung im Englischen gesprochen wurde und verschweigen damit die eigentliche Herkunft der Würze. Aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten.
Man kommt dem Zusammenhang näher, wenn man sich die Beliebtheit verschiedener ungarischer Autoren bei unseren holländischen Nachbarn betrachtet. Das ist nun keine Ironie. Die Nachfahren der einstigen Kolonialmacht von Sumatra und Java laben sich noch heute gerne an exotisch gewürzten Speisen und einer Vielzahl von Curry-Gerichten. Als fast ebenso populär gilt in den Niederlanden die literarische Nahrung aus Ungarn. Verblüffend ist jedoch, dass gerade einer der bekanntesten ungarischen Autoren in den Niederlanden eher unbeachtet bleibt.
Péter Esterházys Sprachvirtuosität findet bei unseren Nachbarn nur wenig Resonanz, wo hingegen die Werke Sandor Marais sich in den Niederlanden großer Beliebtheit erfreuen. Warum das so ist, erklärt Agnes Kerekjarto, Dozentin für ungarische Literatur an der Universität Groningen. “Die sprachliche Virtuosität, wie sie Esterházy betreibt, hat in Holland keine Tradition, sie ist dem puritanischen holländischen Sprachgebrauch fremd, weshalb Esterházys Texte auch in der Übersetzung ungarische Texte bleiben. Er ist sozusagen ein Katholik in einer protestantischen Welt. Zudem ist die holländische keine verspielte Kultur, weshalb dem Leser Esterházys Ironie entgeht.
Die Ironie ist ja im Grunde eine Frucht der Ohnmacht, sie blüht vor allem in Ländern, in denen die Menschen ihre Geschichte nicht selbst gestalten, sondern nur erleiden. In den Augen der Holländer aber sind Probleme dazu da, gelöst zu werden. Sie verstehen nicht, warum einer ironisiert, statt zu handeln.”
Curry & Wurst
Curry wäre demnach eine ironiefreie Handlungsanweisung via Gaumen. Er hätte etwas Appellatives, Antreibendes, Esterházys wissensmächtige Ironie hingegen stünde als lähmendes, die Tat verstellendes Dekor da. Aber da irrt der Holländer und hier kann er zur Abwechslung was von seinem deutschen Nachbarn lernen, denn bei Curry gehts es hier zu Lande stets auch um die Wurst.
Denken wir an jene wirkungsmächtige Kreation, die 1949 Herta Heuwer in Berlin vorstellte. Sie versah die übliche Bratwurst mit einem Klecks Ketchup, bestäubte das ganze mit ein wenig Curry und läutete den Siegeszug der Currywurst in Nachkriegsdeutschland ein. Noch litt man arg an der jüngeren Vergangenheit, aber fand immerhin wieder so viel Zuversicht, dass man neuen, fremdländischen Genüssen nachging. Der von Heuwer gefundene Mix aus deutscher Wurst und exotischen Gewürzen unterlief ironisch die Kochtraditionen der NS-Zeit, die Eintöpfe und Pellkartoffeln propagiert hatte und traf damit den Zeitgeist, der sich am heimischen Herd neuen Eindrücken hingeben wollte.
Auch in Hamburg vollzog sich – wie Uwe Timm in seiner Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ erzählt – dieses Ritual. Dort war es Lena Brücker, die ihre Tomatensauce mit Curry würzte und so Geschmack auf Neues bereitete. Curry und Ironie sind bei Timm die ersten Frühlingsboten einer sich abzeichnenden Veränderung.
Letztlich haben der Curry und die Ironie eines gemeinsam: Sie lösen keine Probleme, würzen aber den Alltag und schärfen die Sinne. Während die Schärfe der Ironie noch mit der Analyse der bestehenden Probleme beschäftigt ist, deutet die Schärfe des Essens schon auf handelnde Veränderung. Das muss man den Holländern lassen.
Mehr auf Tartuffel:
Bücher: Heimat am Herd
Zutaten: Curry
Linktipps:
Uwe Timm: Die Entdeckung der Currywurst
Péter Esterházy: Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors. Geschichten und Aufsätze
Autor: Nikolai Wojtko
Datum: 4. Juli 2011