Comic
Bilder sind der Beginn der Geschichtsschreibung. Betrachten wir die Höhlenzeichnungen der anonymen Steinzeit-Maler, stellen wir fest, dass die Menschen schon vor der Ausbildung eines symbolischen Universums damit begannen, ihre Erlebnisse festzuhalten.
Sie malten Szenen der Jagd und des übrigen Lebens nach dem gemeinsamen Mahl auf die Wände und Decken der Höhlen, die ihnen Schutz vor Kälte und wilden Tieren boten.
Diese ersten Bildergeschichten sind, wenn man so möchte, eine beschreibende Sprache vor der geschriebenen Sprache und damit kulturhistorisch einzigartig. Beim Kochbuch verlief die Entwicklung genau gegenteilig: zunächst wurde die Sprache eingesetzt, um nur die Zubereitung eines Gerichts zu beschreiben. Genaue Angaben der Zutaten erfolgten erst viel später, als sich die Kochbücher auch an Laien und nicht mehr nur ausschließlich an Kochkundige wandten. Pellegrino Artusi, selbst kein Koch entwickelte in seinem Buch „Der große Artusi“ neben den Zutaten eine Sprache der Gerichte und Regionen und ebnete so der Einheit Italiens auf kochkultureller Ebene den Weg. Später bebilderten sich die Kochbücher zunehmend und seit kurzer Zeit gleichen sie sich durch Step by Step-Aufnahmen neben den Rezepten und den beschreibenden Erzählungen wahren Bildgeschichten an.
Insofern sind die Comics nahe Verwandte dieser neuen Kochbücher, gemeinsam ist ihnen die Bildgeschichte als Grundlage des literarischen und ästhetischen Genusses. Betrachtete man diese oft als disparat verstandenen Medien aus dieser Perspektive, ergeben sich verblüffende Zusammenhänge. Wie das Kochbuch galt auch der Comic lange Zeit nicht als ästhetisch, geschweige denn als literarisch beachtenswert. Die Zeiten haben sich geändert: Ein Kochbuch darf heute nicht unästhetisch sein, will es seine Leser gewinnen. Gleiches gilt seit geraumer Zeit für die Comics, bei denen sich mit der „graphic novel“ mittlerweile eine neue Form etabliert hat: Comics selbst werden so Literatur und zeigen den Kochbüchern den nächsten qualitativen Sprung auf. Nach der Adaption von Proust für den Comic sind wir also auf das literarische Kochbuch zum Wiederfinden der verloren geglaubten Zeit gespannt.