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Chef-Sache 2014: Gekochte Grundlagenforschung

Sie ist das Gegenteil von lautschreierischen Kochshows neben oder hinter der Mattscheibe: Auf der Chef-Sache sprechen internationale Sterneköche über den Stand ihrer Arbeiten, präsentieren ihre Teller und geben einen Einblick in ihre gedanklichen und praktischen Koch-Überlegungen. Unaufgeregt, präzise, schnörckellos, professionell.

Die Chef-Sache 2014 präsentiert sich geschmackvoll wegweisend

Die 6. Auflage der Chef-Sache präsentierte sich in diesem Jahr im Kölner Palladium. Und es scheint, als wäre sie nicht nur wieder ein Stück gewachsen, sondern als hätte sie ihren Ort gefunden. Mit der Fülle der Aussteller und den neuen Räumlichkeiten hat die Chef-Sache einen Qualitätssprung gemacht und sich als einzigartiger Branchentreffpunkt etabliert. Hoch dekorierte Sterneköche, wie Sven Elverfeld – in diesem Jahr nicht auf der Bühne – kommen mit ihrer Brigade nach Köln, um die Präsentationen der Kollegen zu studieren und sich auszutauschen. Die Chef-Sache ist mittlerweile die professionelle Kommunikationsplattform und kulinarische Ideenbörse in Deutschland, und damit etwas, was wir lange vermisst haben.

Dabei ist es bemerkenswert, mit wie viel Fingerspitzengefühl die Veranstalter Carola Gerfer-Ruhl und Thomas Ruhl die internationalen Chefs auswählen. Wie schon in den vergangenen Jahren besticht die Mischung aus deutschen und internationalen Chefs, die ein vielfältiges Spektrum an Koch-Philosophien aufzeigen. Denn neben der Präsentation ihrer Teller haben die Chefs genügend Raum, um sich durch einen Einspieler und persönliche Erklärungen vorzustellen. So erhalten die Besucher einen vertieften Einblick in das jeweilige Konzept. Welche Rolle spielt der Bau des Restaurants, wie weit sind die Region und ihre Produkte stilbildend? Welche Ideen werden beim Aufbau des Tellers und seiner Präsentation verfolgt, wie werden diese umgesetzt? Wann soll der Gast sich entspannen? Wann soll er überrascht werden? Wie viele Gedankengänge fügen sich zu einer Komposition?

Internationale Eindrücke der Regionen

Mit Kobe Desramaults, der in seinem belgischen Restaurant „In de Wulf“ eine konsequente Nova Regio Küche in minimalistischer Form umsetzt startete die Chef-Sache mit einem sehr schlüssigen Konzept und ausdrucksstarker Präsentation; dies sollte sich als durchgängiger roter Faden der gesamten Veranstaltung erweisen.
Eneko Atxa aus dem spanischen Baskenland legte zunächst großen Wert auf die Vorstellung seines „Hauses“, dem Restaurant „Azurmendi“. Der beeindruckende Glaspalast wirkt transparent, als wolle er die ihn umgebende Landschaft zugleich wiederspiegeln und einfangen. Das Dach trägt ein Gewächshaus, Erdwärme und Sonne liefern die Heizenergie. Im Inneren finden sich die Materialien der Region: Holz, Stein und Stahl. Gekocht wird vorzugsweise mit regionalen Produkten sowie innovativen und teilweise verblüffend einfachen Techniken. Der Gast soll nicht nur am Tisch sitzen sondern schon bei einem ersten Rundgang das Haus, die Landschaft einatmen und die ersten kulinarischen Eindrücke in sich aufnehmen.

Was aber ist neben den regionalen Lebensmitteln und Baumaterialien so landestypisch, dass es sich für einen besonders authentischen Stil einer Küche nutzen lassen kann? Diese Frage beschäftigt Virgilio Martinez aus Peru. Sein in Lima gelegenes Restaurant „Central“ gilt zur Zeit als beste Adresse in Lateinamerika und rangiert auf Platz 15 der besten Restaurants der Welt. Gemeinsam mit Wissenschaftlern erforscht Martinez die Biodiversität seiner Umgebung vom Pazifik bis hoch in die Anden. Dabei macht er seinen Gästen nicht nur typisch indianische Produkte zugänglich, sondern präsentiert ihnen im Geschmacksbild landestypische Gerichte mit bisher nicht genutzten Produkten wie Algenkugeln aus den Anden oder essbaren Lehm. All seine Gerichte arrangiert der junge Koch zu wahren Farbpaletten, welche die Geschmacksnuancen der jeweiligen Teller bereits optisch andeuten, bevor der feine olfaktorische Charakter Freude auf die Degustation bereitet.

Deutsche Chefs

Eine schwedische Kollegin fragte mich, warum es denn kein Manifest der Deutschen Spitzenköche gäbe? Es kann sein, dass ein Manifest gerade durch die ihm zu Grunde liegende Beschränkung erstaunliche Dinge hervorbringt. Aber hatte nicht auch Lars von Trier, Initiator des Dogma-Manifests, welches den skandinavischen Film zum ersten Mal nach Bergmann wieder in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit rückte, schon kurz darauf die selbst auferlegten Regeln des Manifests unterlaufen, um seiner Kreativität mehr Ausdrucksmöglichkeiten zu geben? Auch wenn die Nova Regio Küche erstaunliche und relevante Ergebnisse zeitigt, die in den kommenden Jahren die Art des Kochens verändern werden, sowohl hinsichtlich der verwendeten Produkte, ihrer Beschaffung und Zubereitung, so liegt eine wesentliche Stärke der deutschen Chef-Kochs in ihren so unterschiedlichen Zubereitungsarten. Was sowohl das Material, die Produkte als auch die Idee zur Gestaltung der Teller und des Menüs betrifft.

Am stärksten ist der Bezug zur Idee der Nova Regio Küche bei Andree Köthe vom „Essigbrätlein“ in Nürnberg zu spüren. Er begeisterte am zweiten Tag der Chef-Sache durch seinen sehr neugierigen Blick auf Produkte seiner unmittelbaren Umgebung. Man spürt richtig, dass hier ein Autodidakt über die auch nach jahrelanger Arbeit und Bildung immer noch ungeahnten Möglichkeiten spricht, welche die Pflanzen und Kräuter in seiner Nachbarschaft für ihn bereithalten. Die Vielschichtigkeit und schlichte Eleganz, die seine Teller ausstrahlen, spiegeln die Begeisterung des Kochs auf Porzellan. Dabei beschäftigt sich die Küche des „Essigbrätleins“ nicht nur mit dem Auffinden fast vergessener heimischer Produkte, sondern auch mit Fragen der kulinarischen Verwertung von Gemüseteilen, die oft als Abfall eben keine Verwendung finden. Ein Konzept, das sich in Teilen betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten widersetzt – schließlich tüftelt man an Dingen, die keinen Geldwert haben - um kulinarische Fragestellungen in den Mittelpunkt zu rücken. Eine Küche wie aus der Zeit gefallen, dabei äußerst innovativ und strukturiert durchdacht.

Christian Hümbs, Patissier des Jahres 2014 und laut Jürgen Dollase der zur Zeit spannendste Patissier, präsentierte seine salzig, erdig, süßen Kreationen in einer lockeren Abfolge. Fragte sich der Beobachter, weshalb es derart viele Elemente auf dem Teller sein müssen, so beruhigt schon der Blick auf den Teller, während die Degustation eine umfassend befriedigende Antwort gibt.

Schon in ihrer Optik erzählen Hümbs Teller Geschichten, zeigen Landschaften, oder thematisieren Jahreszeiten. Alle aber überraschen den Gast durch das Spektrum der Aromen und die Vielschichtigkeit der gustatorischen Eindrücke. Jeder Löffel, den man vom selben Teller probiert, ist einzig, immer wieder schimmern neue Aromenbilder durch, verstärken andere. Hümbs geht es nicht um Nova Regio sondern um die Ausleuchtung eines großen vielschichtigen Aromenbereiches, der eine Neudefinition des herkömmlichen Begriffs Dessert erfordert.

Kommunikative Leistung

Auch für Joachim Wissler, gerade zum Innovationschef des Jahres 2014 gekürt worden und als Koch der Köche fester und unverzichtbarer Bestandteil der Chef-Sache, stellt sich weniger die Frage des direkten regionalen Bezugs, als vielmehr die nach Perfektion auf dem Teller und bei der Gestaltung des Menüs. Wie kann man es dem Gast leicht machen? Wie kann man einen Teller aufbauen, ohne eine Ess-Anweisung geben zu müssen? Mit welchen Geschmacksbildern möchte man den Gast abholen? Wo möchte man ihn hinbringen? Dabei sind auch hier die optischen Bilder der Teller ein zentraler Aspekt von Wisslers Arbeiten. Mittlerweile stellt Wissler den kreativen Beitrag seines Teams heraus und dies ist symptomatisch für eine zentralen Herausforderung der Spitzengastronomie. Sie lebt von kreativer Kommunikation: Vom Austausch des Chefs mit dem Team, von den einzelnen Teammitgliedern bei der Erörterung von Ideen, von der allmählichen Verfeinerung und Umsetzung dieser Ideen, bis zum Gast, der hier eine Fülle an Kommunikation auf dem Teller präsentiert bekommt, um im besten Falle kommunizierend zu handeln. Mit der Zunge genießen und sie durch den Genuss zum sprechen zu bringen.

Diese gastrosophische Kommunikation im kulinarischen Entwicklungsland Deutschland in den Fokus zu rücken, hat sich die Chef-Sache zur Aufgabe gemacht. In ihrer sechsten Auflage meistert sie diesen Anspruch mit einer spielerischen Leichtigkeit, die einen die nächste Auflage im September 2015 mit Spannung erwarten lässt.

Ein Wort aber sollte man noch zu den Moderatoren auf der Hauptbühne verlieren. Bei Ihren Anmoderationen, besonders aber auch bei ihren präzisen Fragen und Diskussionsbeiträgen merkt man, mit wie viel Sachverstand und Vorbereitung Jürgen Dollase und Thomas Ruhl zu Werke gehen. Auf diese Art die Köche und ihre Werke in einem knappen treffenden Vortrag sensibel zu portraitieren, zeugt von großer Liebe zum Detail.

Den Veranstaltern Carola Gerfer-Ruhl und Thomas Ruhl muss man ein riesiges Kompliment dafür machen, dass sie die Chef-Sache nicht nur initiiert, sondern sie zu einem Format weiterentwickelt haben, dass in Zukunft wesentlich mehr mediales Echo erwarten lässt.

Linktipps

Hier geht es zu den Chef-Tellern.
Trailer der Chef-Sache 2014.
Chef-Sache im Internet

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