Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Bierbrauen im Mittelalter | Quelle

Von Jost Amman - Übertragen aus de.wikipedia nach Commons. Original uploader was AndreasPraefcke at de.wikipedia. Later version(s) were uploaded by Rainer Zenz at de.wikipedia., Gemeinfrei, commons.wikimedia.org/w/index.php

Bierarchäologie

Die Geschichte des Menschen nach seiner Sesshaftwerdung ist zugleich die Geschichte des Bieres. Die ältesten Funde, die den Genuss von Bier belegen, stammen aus der Gegend des heutigen Irans und datieren aus der Zeit 3400 vor Christus. Wahrscheinlich reichen die kulturellen Wurzeln von Bier noch weiter zurück.

Ägyptisches Urbier am Delaware

Heute nimmt man an, dass die Menschheit etwa zur selben Zeit den vergorenen Gerstensaft, den Vorläufer unseres Bieres, entdeckte wie die Gärung von Honig zur Herstellung von Met sowie von Fruchtsaft für die Obstweinproduktion. Schon um 3000 vor Christus, also vor über 5000 Jahren, wussten die Menschen in Mesopotamien zwischen zwanzig Sorten Bier zu unterscheiden. Ein paar hundert Jahre später, gegen 2100 vor Christus, sahen die Ägypten Bier auch als Medizin an. Dies belegt eine in Nippur gefundene Tontafel, die Bier zur medizinischen Verschreibung erwähnt.

Über Jahrhunderte galt Bier in weiten Teilen der Welt als Grundnahrungsmittel. Die Sumerer verbrauchten große Teile ihrer Getreideernte zur Bierherstellung. Seefahrende Völker nutzten das aufgrund des Alkohols länger als Wasser haltbare Bier als Nahrungsquelle auf den Schiffen und noch die kräuterheilkundige Hildegard von Bingen zog den Genuss von Bier dem von Wasser vor. Kein Wunder: Im Mittelalter wurde Bier vor allen Dingen gebraut, um den Durst auf gesunde Art zu löschen. So nahmen auch Kinder mehrere Liter dieses Getränks täglich zu sich. Die Geschichte des Biers als Nahrungsmittel ist demnach länger als seine Karriere als Genussmittel.

Noch für eine typische englische Familie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – zu einer Zeit, in der sich der Genuss von Kaffee allmählich ausbreitet – stellt Wolfgang Schivelbusch in seinem grundlegenden „Geschichte der Genussmittel“ fest, betrage der pro Kopf Verbrauch an Bier drei Liter täglich, die Kinder bereits eingeschlossen. „Das Bierbrauen gehört in dieser Zeit – obwohl es auch schon große Brauereien gibt – noch zur Hauswirtschaft wie das Brotbacken und das Schlachten. Es liegt in der Obhut der Hausfrau.“ Die heutzutage eher spöttisch verwendete Bezeichnung „Frauenbier“ für leichtere, aromatisierte Biermixgetränke hat also einen tieferen, dialektischen Sinn.

Da die Zubereitung und der Genuss von Bier seit mehr als 5000 Jahren eine zentrale Rolle im Leben der Menschen spielen, das Bier zwischenzeitlich so wichtig war wie das selbstgebackene und tägliche Brot, stellt sich unweigerlich die Frage wie das häuslich hergestellte Bier wohl geschmeckt haben mag.

„Midas Touch“ - Historische Rezeptur

Sam Calagione, Besitzers des „Dogfish Head“, einem Pub mit angeschlossener Brauerei in Delaware, ging dieser Idee nach und beschloss die Kostprobe aufs Exempel zu machen. Er machte ein altes ägyptisches Bierrezept ausfindig und braute ein Bier nach dieser Anleitung.

Zur Verkostung von „Midas Touch“, wie er dieses historische Bier nannte, lud er keinen geringeren als den Archäologen Patrick McGovern in seinen Pub. McGovern ist Fachmann in Sachen alter Getränke: Er hat nicht nur zahlreiche Artikel zu diesem Thema veröffentlicht sondern auch das bisher älteste Bier-Fundstück im Iran als solches identifiziert. Nun also sollte die praktische Weihung durch „Midas Touch“ erfolgen.

McGovern probierte das mittlerweile schon preisgekrönte Bier und fand es sehr gelungen. Ob er schon einmal etwas Vergleichbares getrunken habe, wurde der Archäologe vom Brauer gefragt. Nun sinnierte McGovern für einen Moment, dann leuchteten die Augen des Mannes. Ja, er habe mal etwas getrunken, das noch mehr Eindruck auf ihn machte als dieses historisch gebraute Bier. Er könne sich ganz klar daran erinnern, es war ein Riesling von der Mosel aus dem Jahr 1971. Als er diese Flasche gemeinsam mit seiner Frau trank, hatte der Wein etwas von Ambrosia, so der analytische Fachmann ganz metaphorisch und vielleicht auch ein wenig bierselig.

Für Sie gelesen
Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel. Fischer, Frankfurt/Main 2005
Bei Amazon zu erwerbenMehr auf Tartuffel
Bücher: Dialektisch trinken
Zutat: Alkohol

Zutat: Hopfen

 

Mehr auf Tartuffel

Fermentation bezeichnet die kulinarische Technik, die neben dem Kochen den Menschen ausmacht. Methoden der Fermentation finden sich in allen menschlichen Kulturen, sie haben unseren Speisezettel maßgeblich erweitert und damit unsere…

Was macht uns Menschen eigentlich zu homo sapiens? Ganz einfach: die Kultivierung von Feuer und Wasser zum Zwecke des Kochens. Das Feuer versetzt unsere Vorfahren in die Lage eine Vielzahl von Lebensmittel leichter verdaulich zu machen, das…

Hunger und Elend sind die Nullwerte der Gastrosophie. Das lehrt uns ein Roman, der einen Tag im Nachkriegsdeutschland beschreibt. Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ zeigt obendrein, dass Luxus sich nicht auf dem Teller entscheidet sondern…

Alfred Hitchcock unbestrittener Meister der Regie lernte sein Handwerk noch im Stummfilmmetier. Er drehte den ersten Tonfilm und schaffte es, nach der Ära der Schwarzweißfilme das Publikum auch mit Filmen in Farbe zu begeistern. Mit…

Linsenschleifen als gastrosophische Metapher

Von der Linse über die Linse zur Linse