Bangers & Mash
Keith Richards grandiose Biografie „Life“
Der Gitarrist, Songwriter und Sänger der Stones hat mit „Life“ nicht nur eine Geschichte des Rock ´n Roll vorgelegt, sondern vor allem ein sehr persönliches Selbstportrait. Spät, gegen Ende des Buches – und das darf man am Anfang ruhig verraten – macht Keith, der beinharte Bursche mit dem Totenkopfring, klar, dass er erst erzählen konnte, nachdem seine Mutter gestorben war.
Was er auf diesen letzten Seiten preis gibt, ist so komplett jenseits eines Melodrams ergreifend und eine wirklich rockige Geschichte. Erst das Urteil der Mutter machte den Jungen zum Gitarristen, eine Geschichte, die er nun – nachdem er an ihrem Totenbett ein letztes Mal Gitarre gespielt hat – endlich aufschreiben will.
Aufstieg aus dem Nichts
„Life“ eröffnet mit dem kometenhaft schnellen Aufstieg der Rolling Stones aus dem schieren Nichts. Indem sie den ursprünglichen Delta-Blues wiederaufleben ließen, hauchten sie dem weichen Rock neues Leben ein und trafen damit den unruhigen Nerv der Zeit. So entfachten sie sowohl auf Seiten der Fans als auch unterschiedlicher Staatsschutzorganisationen in Europa und USA eine lang anhaltende Hysterie. Um so verblüffender, dass die Band sich so lange gehalten hat. Denn damals gab es Produktionsbedingungen, die die Musiker im Anschluss an zwei Shows an einem Tag noch ins Studio zwangen, um ein Album aufzunehmen. Irgendwann, stellt Richards fest, gab es endlich mal nach vier Jahren Tourleben zwei freie Tage hintereinander. Auch insofern ist es verblüffend, dass die Jungs tatsächlich in die Jahre kommen konnten.
Natürlich erzählt Richards hier Rockgeschichte, porträtiert eine Unzahl von Musikern oder lässt sie selbst zu Wort kommen. Das Binnenverhältnis der Band durchleuchtet er ebenso wie die spezielle Beziehung der Glimmer-Twins Keith Richards und Mick Jagger. Und immer spricht hier jemand, der zwar eine Menge Lebenserfahrung gesammelt hat, sich deshalb aber weder erhaben noch langatmig gibt. Selbst wenn viele Geschichten jenseits des Rocks sich mehr um „Sex and Drugs“ drehen wie die Groupies um den Star, verliert „Life“ nie seinen Drive. Man möchte einfach mehr von good old Keith und seiner Sicht auf die Dinge erfahren.
Richards schreibt so offen von seinen Liebschaften wie von seiner Familie und darüber, weshalb er sich nie – wie Jagger – zum Ritter seiner Majestät schlagen ließe. Dabei erzählt er so frisch, dass man meinen könnte, dieser Mann will nicht seine Lebensgeschichte schreiben, sondern lediglich ein Zwischenkapitel vorlegen, um eine kleine Pause zu machen auf dem Weg zu den nächsten zwanzig Lebensjahren.
Seine Statements sind so kurz und prägnant wie seine Riffs auf der Bühne. In seinem Alter nimmt man sich nicht mehr die Zeit für große Geschichten, sondern kommt sofort zum Kern der Angelegenheit. Was man hier um die Ohren gehauen bekommt, ist eine beinharte philosophische Sicht auf die Dinge, ohne dass ein Wort zu viel geredet würde. Dabei aber groovt der gesamte Text, er vibriert und weckt die Lust auf mehr davon. Wittgenstein zum Abrocken.
Unglaublich? In welcher anderen Biografie von eigener Hand bitte findet sich denn etwas derart verkürztes und zugleich lakonisch liebevolles wie hier auf jeder Seite. „Later Mal“ als Keith Antwort auf das Ansinnen Marlon Brandos, doch einfach mal seine Frau zu schnappen, um gemeinsam in einem schönen Schlafzimmer einen Dreier zu starten. Besser geht’s nicht.
Rocker Richards am Herd
Und noch etwas verblüfft: Keith Richards kocht! Und das nicht nur auf einem Teelöffel. Nein er kocht tatsächlich und persönlich am Herd. Denn als Musiker, der das halbe Leben lang auf Tour war, hat er sich angewöhnt, immer dann zu essen, wann ihm danach ist. Also meistens nachts zwischen drei und fünf Uhr. Was es dann vorzugsweise gibt? Bangers ´n Match, also Stampfkartoffeln und Würstchen. Mit Liebe und philosophischer Sorgfalt zubereitet. Das Rezept von Keith Bocuse findet sich im Buch.
Mehr auf Tartuffel:
Phänomene: essiXtenz
Charaktere: Koch Magier Miraculix
Für Sie gelesen:
Keith Richards: Life
Wilhelm Heyne Verlag, München 2010, ISBN 978-3-453-16303-4, 736 Seiten,
Bei Amazon zu erwerben
Linktipp:
Portrait Keith Richards auf You Tube
Autor: Nikolai Wojtko
Datum: 20. Mai 2011