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Bahnrestaurant

Die Geschichte der Bahn ist zugleich eine Geschichte der Verköstigung. Mit den ersten Bahnstrecken entstanden die Bahnhofs-Buffets, an denen die Reisenden in Windeseile mit Proviant versorgt wurden, schließlich sollte die Fahrt so schnell wie möglich fortgesetzt werden. Da diese Art frühen Fast Foods aber weder auf den Geschmack der Reisenden traf, noch der Notwendigkeit der zügigen Erreichung des Zielorts dienlich war, verlegte man das Bahnhofsbuffet vom Bahnhof direkt in den Zug. Die Geburtsstunde der Zugrestaurants.

Vom Bahnhofsbuffet zu #bloggerinfahrt

Restaurant - Reise und Komfort

 

So punktete man mit Schnelligkeit bei der Reise und Komfort im Restaurant. Ein Blick auf die Speisekarten der damaligen Restaurants verrät, dass man zu Beginn des letzten Jahrhunderts nicht nur Wert auf ein mehrgängiges Menü legte, sondern auch ausgesuchte Weine des In- und Auslandes im Angebot hielt. Bedenkt man die Transportwege der damaligen Zeit, eine logistische Meisterleistung. Das Mittagessen, bestehend aus Suppe, Fisch oder Vorspeise, Gemüse mit Beilage, Braten mit Salat und Compott, Mehlspeise, Butter und Käse, konnten die Reisenden auf der Strecke Berlin-Basel im Jahre 1903 für 3 Mark – in etwa der Tagelohn eines Arbeiters - erstehen und zum selben Preis einen Bordeaux-Wein, oder einen etwas günstigeren deutschen Wein. Portwein und Sherry werden glasweise angeboten, während alle gelisteten Champagner auch in der halben Flasche verfügbar sind. Die Preise liegen um etwa 50 Prozent über denen normaler Restaurants dieser Zeit. Das Ziel dieses Angebotes lässt sich leicht ausmachen: die zahlungskräftige Klientel sollte nicht nur umworben, sondern rundum zufrieden gestellt werden. Denn unabhängig von den Zugrestaurants galt die Bahn – wir befinden uns noch im Zeitalter der Pferdedroschken -  als das modernste und angenehmste Transportmittel der Zeit. Der Speisewagen avanciert zum Aushängeschild der Bahnen, die eine Mobilität jenseits der alten Verkehrswege erst entwickeln mussten.

Tiefgreifende Veränderungen

In der Zwischenzeit hat sich Deutschland zu einer Nation der Autofahrer entwickelt. Die Klagen über die Verspätungen der Bahn sind so zahlreich, wie die Staus auf den Autobahnen, die gleichwohl wie eine täglich einbrechende Naturkatastrophe hingenommen werden. Die Geschichte der Bordrestaurants ließe sich an dieser Stelle – Buffetwagen, McTrain und Bordbistro problemlos weiter erzählen, jedoch ist lediglich ein zweites Ereignis von entscheidender Bedeutung. Der als Bahnsanierer bekannt gewordene einstige Vorstandvorsitzende Helmut Mehdorn erkannte in den Restaurants der Bahn – zusammengenommen immerhin eine Flotte von über 600 mobilen Restaurantbetrieben – auch nach der Umsetzung strengster Effizienskriterien, einen nicht zu sanierenden Teil der Bahn. Zu hoch waren immer noch die jährlich eingefahrenen Defizite. Die aus seiner Sicht konsequente Forderung nach Abschaffung der Bahnrestaurants und Bordbistros konnte er allerdings nicht durchsetzen, denn die Bahn erkannte erneut den Kundenbindungswert der mobilen Restaurantbetriebe. Daran ändern auch die jährlich, wenn die Bilanzen der Bahn vorgelegt werden, erneuerten Forderungen nach Schließung der Bordrestaurants nichts. Denn der Ausbau des Restaurantangebotes und die Verbesserung des Services werden mittlerweile als unabdingbar angesehen, da sie entscheidende Wettbewerbsvorteile im immer härter umkämpften Bereich des öffentlichen Personenverkehrs sind.

Kulinarische Jahresaktion der Bahn

Betrachtet man die aktuellen Speisekarten und die neuen Aktionen der Bahn vor diesem Hintergrund, erkennt man das beide Bereiche bedient werden sollen: Die Bahnrestaurants sollen effizient arbeiten und zugleich sollen junge Kunden für die Bahn begeistert werden. Insofern scheint es eine naheliegende Idee zu sein, Foodblogger zu einem realen Experiment einzuladen: Sie entwickeln jeweils ein Gericht, welches nach einer normalen Kontrollphase für jeweils zwei Monate in den Bordrestaurants angeboten wird. Auf den zugehörigen Platzdeckchen erhalten die Reisenden ein paar Infos zum jeweiligen Blogger und zu dessen Teller. Das Essen bekommt auf diese Weise nicht nur eine Geschichte, sondern es erhält auch ein Gesicht, eine Persönlichkeit, die gerade dadurch authentischer wirkt, als man sie eben nicht – wie bei einem TV-Koch – aus dem Fernsehen kennt. Mediale Bekanntheit wird mit fast nachbarschaftlicher Bekanntheit gekontert und die Rezepte bekommen ein leichtes, jugendliches Image. Zudem kündigen Foodblogger ihre Aktivitäten über die sozialen Netzwerke an und sorgen auf diese Weise für Aufmerksamkeit über den Bahntellerrand hinaus. Wer möchte, kann sich direkt über die Aktion im Netz informieren. Insgesamt werden sechs Blogger, bzw. Foodblogteams das Feld der Bordrestaurants bis Ende März 2018 bespielen.

#bloggerinfahrt - Dorothée Beil

Den Rezeptreigen eröffnet mit Dorothée Beil, eine Foodbloggerin, die über sich selbst ganz bescheiden sagt, dass sie gerne kocht. Doch die enthusiastische Münchnerin ist nicht nur eine Enthusiastin in Sachen Lebensmitteln und Zubereitungsarten, sie geht leidenschaftlich gerne essen und unterhält intensive Kontakte zu zahlreichen Köchen. Wer ihr einmal zugehört hat, wenn sie über Weißwurstrezepturen oder Semmelzubereitungen spricht, der würde ihr sofort blind ein Buch zur bayerischen Küche abkaufen, so sie in Zukunft eins schreiben sollte. Über die Entstehung ihres Bahnrezeptes gibt Sie selbst Auskunft, so dass man sich schon vor Abfahrt – wie in Zukunft auch bei den anderen an der Aktion teilnehmenden Bloggern und Bloggerinnen – ein Bild vom Teller und seiner Entstehungsgeschichte machen kann. Ihre „Hackfleischröllchen vom Lamm mit orientalischem Karottenpüree und Petersilie-Miez-Dip" versprechen eine Mischung aus Maghreb und frühlingshafter Wärme, ein sehr schönes Versprechen zu Beginn der Aktion im kalten April. In der Zusammensetzung ein in sich stimmiger Teller, auf dem die Komponenten ein klassisches Bild ergeben. Der Teller ist schön angerichtet und der Petersilien-Minz-Dip als kaltem Element so platziert, dass er den beiden warmen Komponenten nicht die Energie entzieht. Das Karottenpüree ist erfreulich dezent gewürzt und erzeugt tatsächlich einen Hauch Exotik. Dem Dip fehlt allerdings die Frische der Minze, man nimmt fast gar kein Kraut war. Die Hackfleischröllchen vom Lamm stellen leider ein technisches Problem in den Vordergrund. Sie weisen keinerlei Röstnoten auf und bieten durch ihre weiche Konsistenz nicht die Geschmacksfreude, welche die Würzung verspricht. Hier scheinen die Fehler weniger in der Vorbereitung als in der Zubereitung zu liegen. So überreicht man dem Gast auf diese Weise einen Teller ohne Biss: weiches, ungebratenes Fleisch, fluffiges Püree und dazu der Dip. Röstnoten und crunchige Elemente sind leider auf der Bahnstrecke geblieben. Die avisierten frischen Kräuter wurden durch ein Blatt Petersilie ersetzt, was für manchen vielleicht dekorativ sein mag, der Idee des Tellers aber eher abträglich ist. Andere Gerichte, die man sich als Referenz bestellt, machen dagegen erst recht keine gute Figur: die Mehrzahl der in der Speisekarte angebotenen Gerichte sind vergriffen. Für ein Logistikunternehmen wie die Bahn weniger Werbung, als Alarmzeichen in eigener Sache. Die einzigen Gerichte im Angebot überraschen: Die vegetarischen Bandnudeln mit Tomaten-Feta Sauce weisen mehr Zwiebeln als Tomaten auf und der rote Linsensalat kommt kühlschrankkalt und fad auf den Teller. Beide Teller lassen Würzung und Finishing vermissen. Schade, denn allein auf Grund der Freundlichkeit des Personals, aber auch auf Grund der auf der Speisekarte versammelten Ideen an Speisen und ihre abwechslungsreichen Auswahl, würde man gerne etwas anderes notieren.

Was tun?

Dies führt zurück zu den Eingangs genannten Aspekten: sollte man aus Gründen der Kostenersparnis die Bordrestaurants schließen? Auf keinen Fall. Die Restaurants und die in ihnen angebotenen Speisen und Getränke werden immer ein Aushängeschild der Bahn bleiben. Es ist, wie im März diesen Jahres zu Kritik an den Jahreszahlen der Bahn geschehen, verkürzt zu behaupten, die Defizite der Bordrestaurants müssten alle durch höhere Ticketpreise bezahlen. Die Bahn macht Gewinn, nicht trotz, sondern wegen der mobilen Restaurants, sie sind nach wie vor ein unschätzbares Kundenbindungselement. Ein Bahnvielfahrer bringt es auf den verblüffend einleuchtenden Punkt: „Wenn ich in der Bahn sitze, habe ich die Wahl, ob ich arbeiten, schlafen oder essen möchte. Gehe ich ins Restaurant, habe ich ein besseres Angebot als an den Bahnhofskiosken und ich spare mir das Einkaufen und Kochen.“ Nicht nur für Vielfahrer ist es von unschätzbaren Wert, neben der Überwindung einer bestimmten Distanz, auch die Möglichkeit zu haben, restauriert am Ziel anzukommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Es muss also gar nicht unbedingt ein mehrgängiges Menü wie in der Belle Époque sein.

Schaut man sich das aktuelle Angebot der Speisen und Getränke der Bordrestaurants insgesamt an, so merkt man, dass hier durch die Bloggerrezepte ein frischer Wind Einzug hält. Die Idee das Angebot von klassischen Gerichten um frische Foodbloggerrezepte zu ergänzen, ist sinnvoll und mehr als sympathisch. Nach langer Vorlaufzeit sollte allerdings auch die Umsetzung im Zug gelingen. Es handelt sich um Kleinigkeiten, die allerdings eine große Wirkung zeigen, man sollte sie in den Blick nehmen und in den Griff bekommen.

In diesem Sinne kann man der Aktion #bloggerinfahrt die heute in die 2. Runde geht, alles Gute und viele zufriedene Gäste wünschen.

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