Appetit ist Luxus, Hunger Not
Verschwendung als Lebensfreude oder die Ambivalenz des Luxus
Luxus ist ein begriffliches Vexierbild. Mit dem Bild des Luxus werden immer zugleich Sehnsucht und Leiden beschrieben. Luxus ist eine Belohnung für eine Anstrengung, oder ein langweiliges Leben in Annehmlichkeiten. Luxus kann Fluchtpunkt der Phantasie oder deren Beginn darstellen.
Ist nicht auch die Disziplin der Gastrosophie letztlich ein Luxus, den man sich nur leisten kann, wenn man seine Grundbedürfnisse befriedigt weiß? Denken wir uns eine Person, die direkt aus Max Webers „Protestantischer Ethik“ entschlüpft ist: ein streng protestantisch denkender homo oeconomicus zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, der alles weltliche Lustgebaren ablehnt. Lehnte ein solcher „Pietcong“ der Erweckungsbewegung unser heutiges alltägliches Leben nicht als rein vom Luxusdenken geleitet rundweg ab? Vielleicht veranschaulicht man die Ambivalenz des Begriffs Luxus durch eine gegensätzliche Denkbewegung: Luxus ist ein notwendiges Regulativ für das Alltägliche und Notwendige und zwar gesellschaftlich und nicht nur individuell.
Luxussehnsucht
Christine Weder und Maximilian Bergengruen haben sich den Luxus gegönnt, einen Band über den Luxus und – wie es im Untertitel heißt – die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne vorzulegen. Nicht nur Hegel sieht im Luxus einen Motor gesellschaftlichen Fortschritts, auch der Philosoph Hans Blumenberg erkennt im Luxus ein Bindeglied des Menschen in einer Gesellschaft. Dabei ist Luxus, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, kein verstaubtes, gestriges Thema, welches mit den Krisenerscheinungen der Moderne obsolet würde. Luxus ist ein Frage der Gegenwart. Es scheint, als würde die Krise die Sehnsucht nach Luxus gar befördern und der Luxus zwischen den Krisen ein recht beständiges Leben führen.
Schon im 18. Jahrhundert formuliert der später für die deutsche Rezeption zentrale Vertreter luxusaffiner Wirtschaftsdiskurse James Stuart, dass der Luxus nicht nur den Geschmack und die Lebensweise verfeinere, sondern vor allen unter den Menschen, die auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind, Beschäftigung schaffe und deren Erfindungsgeist anrege. Da bedingt der Luxus den homo oeconomicus und gleichzeitig kreiiert er dessen Grundlagen.
Ambivalente Natur des Luxus
Friedrich Schiller wird später davon sprechen, dass es erst der Luxus ist, der den Menschen zum Menschen werden lasse, denn durch ihn erhebe er sich aus dem bloßen Bereich der Bedürfnisse. Jedes ästhetische Streben ziele auf einen Überfluss, der über die schiere Notwendigkeit hinausgehe, womit Schiller eine Steilvorlage für Adorno liefert, der in der Kunst und im Luxus die Möglichkeit sieht, sich vom Zwang der Zwecke zu befreien. Dabei wohne dem Luxus stets die Gefahr inne, die reine Verschwendung zu begünstigen. In dieser dialektischen Sicht ist der Luxus bereits in seiner ambivalenten Figur erkennbar.
Das Buch wendet sich dem Phänomen Luxus in vier Abschnitten zu jeweils drei Aufsätzen zu. Im ersten Abschnitt wird die Perspektivenvielfalt des Begriffs analysiert, während sich die übrigen Abschnitte historisch unterscheiden: sie untersuchen das Phänomen Luxus im 18., 19. und 20. Jahrhundert.
Spannend für die soziologische und literaturwissenschaftliche Betrachtung wird der Begriff des Luxus, als er sich vom moralischen Feld abwendet und mit ökonomischen Begriffen besetzt wird. Gerade für die Entstehungsphase der Soziologie sei die ökonomische Verknüpfung des Begriffes zentral, so Dominik Schrage in seinem Aufsatz, da sich die junge Wissenschaft in ihren Anfängen besonders von ökonomischen Theorien leiten ließ und im Begriff des Luxus ein Verbindungsglied zwischen ökonomischer Notwendigkeit und gesellschaftlicher Praxis erkannte. Lässt sich noch bei den soziologischen Klassikern wie Sombart und Simmel nachzeichnen, dass Luxus als Distinktionsmittel gesellschaftlicher Eliten fungiert, so kann man spätestens mit Aufkommen des Massenkonsums in den modernen Gesellschaften von einer integrativen Wirkung des Luxus sprechen: eine Angleichung der Lebensweisen der gesellschaftlichen Mittelschicht unter Beibehaltung seiner distinguierenden Funktion.
Angenehmer Lebensstil
Doch auch die Literatur besetzt das Phänomen Luxus nicht nur in moralischer sondern stets auch ökonomischer Bedeutung. In Thomas Manns Buddenbroks fungiert Luxus nicht nur als Verschwendung ökonomischen Kapitals, sondern, wie Maximilian Bergengruen nachweist, auch des Nervenkapitals. Thomas Buddenbrok leidet unter einer Nervenschwäche, die sich im Symptom seines ungebremsten Hangs zum Luxus zeigt, welcher wiederum den wirtschaftlichen Niedergang beschleunigt. Heinz Drügh kann den Nachweis erbringen, dass Goethe in Wilhelm Meister einen Hang zum Luxus nachzeichnet. Gerade die Lehrjahre gäben sich mit verschwenderischer Detailverliebtheit daran, den zu überwindenden Luxus auszumalen. Die Lehrjahre selbst sind für sich begriffen schon ein Luxus, da sie nicht nur Zeit zur Bildung sondern Zeit als Ressource schlechthin liefere. Ein Luxus, den man sich in unserer schnelllebigen Zeit immer weniger gönnt.
Voltaire schrieb beispielsweise sein Lob der Stadt nicht nur, um die Zivilisationspolemik der Rousseauisten zu konterkarieren, sondern um eine Lobpreisung des städtischen Luxus vorzunehmen, der zum Glück und zur Annehmlichkeit der Menschen beitrage. Mit der Vorstellung des „angenehmen Daseins“ wird ein Stichwort geliefert, welches die Luxusdebatte nicht mehr allein als die rein ruinöse Verschwendungssucht des 18. Jahrhunderts begreift. Luxus wird, wie Günter Oesterle zu Beginn seines Aufsatzes „Der kleine Luxus“ herausarbeitet, als sachangemessen und funktional betrachtet. Mithin ist Luxus nicht nur erstrebenswert, sondern prägend für einen angenehmen Lebensstil. Luxus ist somit kein Snobismus, dem es lediglich um die Verschwendung, die Blendung und die Ausblendung von Genuss geht. Luxus wird hier als purer Genuss begriffen. Der ehemalige Luxus der Oberklassen ebnet so einer Konsumrevolution den Weg, mit der das Bürgertum sich gegen den Adel zu behaupten versteht. Die Verschwendung des Adels durch Prachtbauten und repräsentative Aufgaben wird nun durch Annehmlichkeiten auf technischen Gebieten, wie der Entwicklung der Kutsche und der Erfindung der Taschenuhr, aber auch auf sinnlichen Gebieten, wie durch angemessene Handschuhe, Halstücher und Kolonialwaren abgelöst.
Kulinarisches: der sinnliche Luxus
Mit der französischen Revolution hält der Luxus des kulinarischen Genusses mit der Öffnung erster Restaurants in Paris durch die ehemaligen Köche von den Höfen Einzug in die bürgerliche Welt. Die Entwicklung der Eisenbahn im 19. Jahrhunderts wird dazu dienen, dass man in Frankreichs Hauptstadt endlich ein reichhaltiges Angebot an frischen Meeresfischen zur Verfügung hat. Und es wird einen Zeugen dieser Entwicklungen geben, der selbst ein Meister des kulinarisch luxuriösen Lebens ist: Honoré de Balzac. Bernd Blaschke widmet diesem herausragenden Literaten in seinem Aufsatz „Luxus als Leidenschaft bei Honoré de Balzac“ eine Luxusanalyse von Werk und Person. Balzacs Leben war von Exzessen des Arbeitens im Wechsel mit Exessen des Konsumierens geprägt. Sein Hang zu guten Kleidern, üppig ausgestatten Wohnungen und vor allem zu ausschweifenden Gastmahlen korrespondiert mit seinen Schreiborgien. Sein Lebensstil ist dabei nicht nur verschwenderisch. Während der Schreibphasen ist er außerordentlich sparsam, ernährt sich von Nüssen und unendlichen Mengen Kaffees. Sobald er allerdings ein Projekt abgeschlossen hat, muss er sich durch Verschwendung belohnen. Selbst wenn er als Schriftsteller sehr gut verdient, übersteigen seine Ausgaben stets seine Einnahmen, wodurch er lange Zeit seines Lebens dazu gezwungen ist, seine Gläubiger durch neue Schreibprojekte zu beeindrucken und zu beruhigen. Diese abwechselnde Bewegung schlägt sich auch in vielen seiner Titel und Plotlogiken nieder, kein Wunder ist sie doch die Antriebskraft seines künstlerischen Schaffens und seines Lebens zugleich.
Schlaraffenland – Utopia des Luxus
In ihrem paradigmatischen Aufsatz „Literarischer Luxus im Umbruch“ widmet sich Christine Weder der Modernisierung des Schlaraffenlandes um 1700. In seiner „Geschichte der Abderiten“ entwirft Christoph Martin Wieland ein facettenreiches Bild vom müßiggängerischen Leben im Luxus. Der entscheidende Unterschied zu sonstigen Formen des Luxus besteht im Schlaraffenland allerdings im Mangel an Exklusivität. Hier steht der Luxus allen Bewohnern gleichermaßen zur Verfügung und damit nicht genug: auch die Arbeit wird allen Menschen abgenommen, womit sie schlechthin egalisiert werden. Gerade in diesem Bild erscheint wahre Dichtkunst, denn in den „Abderiten“ zeigt sich nichts so offensichtlich, wie die Phantasie, die Gabe des Autors zu luxurieren. Letztlich, das wusste schon der französische Theologe François de Salignac de la Mothe Fénelons, produziert der pure Überfluss beim Menschen nur Überdruss.
Denken wir an Fénelons Phantasmagorie des Schlaraffenlands aus dem 17. Jahrhundert zurück, wird die Ambivalenz des kulinarischen Luxus sofort sinnfällig. Was wäre, wenn jeglicher Luxus allen Menschen aller Zeit nicht nur geboten würde, sondern die Menschen täglich in Prasserei schwelgen? Fénelons gibt eine überraschend einfache Antwort: In einer solchen Gesellschaft gibt es eine Ware, die sich mit weitem Abstand der größten Beliebtheit erfreut und daher auch die höchsten Preise erzielt, da sie extrem knapp und sehr begehrt ist: der Appetit.
So kehrt die Moral über die Hintertür zurück. Denn während der eigentliche Luxus in der sinnenreichen Befriedigung des Appetis siedelt, ist der einfache Hunger schlichte Not. Gleichzeitig weiß die Luxusdebatte, dass der Überfluss auch das Ende des Geniessens in sich trägt.
Für Sie gelesen
Christine Weder, Maximilian Bergengruen (Hg.): Luxus. Die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne. Wallstein Verlag Göttingen 2011. 304 Seiten geb., 24,90€