Alphons Silbermann
Die Begeisterung für Musik erbt er von seiner Mutter. Vor dem Fleiß des Vaters versucht er sich zu schützen. Vergeblich wie sich rückblickend feststellen lässt. Denn Alphons Silbermann ist nicht nur ein Dandy, er wird auch Jurist, Musiksoziologe, Kommunikationswissenschaftler und Publizist. Doch das allein, macht noch keinen gastrosophische Kopf aus Silbermann. Dazu bedarf es einer Qualifikation, die der universitären Karriere existentiell vorausgeht. Der gefeierte Soziologe ist nämlich der Gründer der ersten Fast-Food-Kette Australiens.
Alphons Silbermann ist ein waschechter Kölner. 1909 als Sohn eines Druckereibesitzers geboren, studierte er Jura, Musikwissenschaften und Soziologie in Köln, Freiburg und Grenoble. 1933 promoviert er bei Hans Kelsen an der Universität Köln zum Dr. jur. Scheinbar glänzende Aussichten, doch Silbermann ist Jude und hat unter dem rassistischen Regime der Nationalsozialisten, die schon früh bis in die Hochschulen durchregieren, keine Zukunft. Direkt im Anschluss an die Promotion muss er seine Anstellung als Justizreferendar aufgeben und flieht vor den Nazis zunächst in die Niederlande, dann nach Paris.
In der Stadt an der Seine wird eine Champagnerlaune zum Fingerzeig des Schicksals. Er fasst mit seinem Partner Charles den Entschluss nach Australien auszuwandern. Ein hochtrabendes Unterfangen, denn Beide haben nicht die geringste Ahnung, was sie in Australien erwartet, geschweige denn wie sie die Schiffspassage bezahlen sollen oder auch nur an die notwendigen Ausreisepapiere gelangen können.
Mit viel Glück und einem Versicherungsbetrug gelingt es 1938 die Fahrt ans andere Ende der Welt aufzunehmen. In Sydney angekommen ist Silbermann fest entschlossen, in einer Küche eine Anstellung zu finden. Schließlich kommt er direkt aus Frankreich, dem Land des kulinarischen Genusses, und der Mann vertraut auf seine kulinarische Vorbildung.
Schon nach dem ersten australischen Frühstück ist er sich sicher, dass er in Down under als Restaurateur sein Glück versuchen muss. Dabei sind es seine Geschmacksnerven, die ihn auf diese Chance hinweisen. Denn es handelt sich bei diesem Frühstück um ein „barbarisches Gemisch aus geschmorten Würsten, aufgeweichtem Stockfisch, in Speckfett schwimmenden Eiern, hochgesüßter Orangenmarmelade und in Milch ertränktem Tee.“
Silver´s Food Bar
Bald erhält der Emigrant tatsächlich die Möglichkeit, sich als Küchenmanager zu betätigen, wenn auch, wie er feststellen muss, zu einem Lohn weit unter Tarif. Einmal in der Branche fällt ihm auf, dass alle gastronomischen Dienstleistungen in Australien von Ausländern erbracht werden. Lebensmittelgeschäfte führen fast nur Italiener oder Griechen. Der später so erfolgreich Soziologe legt also gastrosophisch den Grundstein für sein empirisches Denken: Er beobachtet die Gegebenheiten, macht sich Gedanken über die beste Lage eines möglichen Restaurants und ist ganz begeistert von den neuen einfachen Gerichten, die das Land für ihn bereithält. Schnell ist der Entschluss gefasst, ein Lokal zu eröffnen, welches den Menschen einfache Gerichte, wie Hamburger und Pfannkuchen anbietet. Doch zunächst bleibt das Problem der Finanzierung.
Jetzt lernt der spätere Professor die Grundsätze einer erfolgreichen Finanzierung wissenschaftlicher Projekte. Zunächst wird er mit seinen geringen Geldforderungen abgewiesen. „Ja, hätte er furchtlos und frivol das Vier- bis Fünffache verlangt, gerne wäre man ihm entgegengekommen, womit ihm eine Unterrichtsstunde über Finanzierungsgebaren zugute kam, deren er sich bestens erinnerte, als er sich Jahrzehnte später zur Finanzierung von wissenschaftlichen Projekten an Forschungsgemeinschaften wandte: je bescheidener die verlangte Geldsumme, desto sicherer die Ablehnung.“
Doch schon bald wird seine „Silver´s Food Bar“ erfolgreich laufen und genug Geld einbringen, um die Eltern aus Europa nach Australien zu holen. Sein Vater übernimmt die Buchhaltung und kurze Zeit später eröffnen sie den zweiten von insgesamt acht Läden. Silbermann ist der Gründer der ersten Fast-Food-Kette Australiens. Dank des wirtschaftlichen Erfolges seiner Restaurants kann Silbermann seine Arbeiten zur Musiksoziologie wieder aufnehmen. Wenig später erhält er eine Stelle als Dozent am Staatskonservatorium in Sydney. Die Veröffentlichungen seiner Studien ermöglichen es ihm, als Wissenschaftler nach Europa zurück zu kehren. Ab 1950 hält er Vorlesungen an der Sorbonne, später in Lausanne, Bordeaux und Köln.
Erst 1970 erhält er seine deutsche Staatsbürgerschaft und seinen akademischen Titel als Dr. jur. zurück. Im selben Jahr ernennt ihn die Universität zu Köln zum Professor für Massenkommunikation, Kunst- und Musiksoziologie. Alfred Biolek macht den gefragten und streitbaren Rhetor zu seinem „Haussoziologen“. Von Silbermann lernt er neben vielen Aspekten der Massenkommunikation auch die kulinarischen Grundlagen kennen und schätzen.
Alphons Silbermann stirbt am 4. März 2000 in seiner Geburtsstadt Köln, als hochverdienter Emeritus und praktizierender Gastrosoph.